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„Mietendeckelgesetz verfassungsgemäß“ – jetzt sind so gut wie alle denkbaren Auslegungen vertreten
Mietberufungskammer 66 des Landgerichts Berlin
08.09.2020 (GE 16/2020, S. 1023) Die – neben den Kammern 63, 64, 65 und 67 für Berufungen in Mietsachen zuständige – Zivilkammer 66 des Landgerichts Berlin hat im Urteil vom 31. Juli 2020 - 66 S 55/20 - die Auffassung vertreten, dass nach ihrer Ansicht die Vorschriften des Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung (MietenWoG Bln) – auch als sog. „Berliner Mietendeckel“ bezeichnet – als verfassungsgemäß anzusehen sind. Allerdings könnten diese Vorschriften trotz des gesetzlichen Stichtags vom 18. Juni 2019 Mieterhöhungen der Vermieterseite erst ab dem Inkrafttreten dieses Gesetzes am 23. Februar 2020 und nicht schon für die Zeit zwischen diesem Stichtag und dem Inkrafttreten dieses Gesetzes verhindern.
Der Fall: In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit hatte das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg in Berlin ein Mieterhöhungsverlangen der Vermieterseite vom 18. Juni 2019 – und damit genau vom gesetzlichen Stichtag – im Rahmen einer Klage auf Zustimmung zur Erhöhung der monatlichen Nettokaltmiete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete zu prüfen. Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg hatte die Klage der Vermieterseite in der ersten Instanz mit der Begründung abgewiesen, das mit der Klage geltend gemachte Mieterhöhungsverlangen für die Zeit ab dem 1. September 2019 sei auf ein nach den §§ 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln und 134 BGB verbotenes Rechtsgeschäft gerichtet, da ein Mietzins verlangt werde, der die am 18. Juni 2019 – dem Stichtag des Gesetzes – wirksam vereinbarte bzw. geltende Miete überschreite.

Das Urteil: Auf die dagegen eingelegte Berufung des klagenden Vermieters hat die ZK 66 die Entscheidung der ersten Instanz allerdings nur im Ergebnis bestätigt. Die Kammer – so die bislang nur mündlich vorgetragene Urteilsbegründung – sehe das Gesetz zum sog. „Berliner Mietendeckel“ weder formell noch materiell als verfassungswidrig an, sodass keine Vorlage nach Art. 100 GG an das Bundesverfassungsgericht geboten sei. Das Bundesverfassungsgericht habe bisher lediglich im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes die Frage nach der Gesetzeskompetenz des Landes Berlin für das MietenWoG Bln als „offen“ bezeichnet und damit eine Tendenz nicht erkennen lassen. Da die Kammer selbst nicht zu Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit gelangt sei, sei das Verfahren auch nicht auszusetzen, sondern das als wirksam erachtete Gesetz anzuwenden.
Allerdings sei das MietenWoG Bln als ein Verbotsgesetz mit zivilrechtlichen Folgen nach § 134 BGB erst am 23. Februar 2020 in Kraft getreten. Der in diesem Gesetz enthaltene Stichtag am 18. Juni 2019 stelle zwar einen materiell maßgeblichen Bezugspunkt für die Ermittlung der absolut (noch) zulässigen Miethöhe dar, ändere aber nichts daran, dass das gesetzliche Verbot höherer Mieten zum Stichtag am 18. Juni 2019 noch nicht existiert habe, sondern erst ab dem 23. Februar 2020 gelte. Daher sei eine höhere Miete als die am Stichtag vereinbarte bzw. geltende Miete erst ab dem März 2020 für den monatlich zu zahlenden Mietzins verboten.
Das Mieterhöhungsverlangen für die Zeit ab dem 1. September 2019 bis Ende Februar 2020 verstoße daher zwar nicht gegen das gesetzliche Verbot des MietenWoG Bln, überschreite aber im konkreten Fall die ortsübliche Vergleichsmiete, sodass die Klage auf Zustimmung zur Erhöhung der Miete für den Zeitraum vom 1. September 2019 bis Ende Februar 2020 aus diesem Grunde keinen Erfolg habe, weshalb die Berufung insgesamt unbegründet und zurückzuweisen sei.
Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig; gegen die Nichtzulassung der Revision kann Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt werden.

Anmerkung: Dass die Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH, sofern sie erfolgt, Erfolg haben dürfte, ist kaum zweifelhaft. Nach § 543 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) findet die Revision zwar nur statt, wenn sie das Berufungsgericht zugelassen hat. Nach § 543 Abs. 2 ZPO ist sie aber zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Alle drei Gründe liegen ersichtlich vor, so dass man mit Recht fragen kann, was die Kammer geritten hat, die Revision nicht zuzulassen. Richtigerweise hat die ZK 65 in ihrer Entscheidung vom 15. Juli 2020 - 65 S 76/20 - (Wortlaut Seite 1057) diese Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im vergleichbaren Fall als gegeben angesehen. Nicht einmal bei der Revisionszulassung sind die Mietenkammern sich einig. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird immer dringlicher. D. B.

Den Wortlaut finden Sie in GE 2020, Seite 1061 und in unserer Datenbank.


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