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Recht  →  Miet- & Zivilrecht


Ungeminderte Mietzahlung bei coronabedingter Schließung von Gewerberäumen
Das Verwendungsrisiko trifft den Mieter
21.12.2020 (GE 22/2020, S. 1459) In der staatlich verordneten Schließung der Verkaufsstätten des Einzelhandels im Zuge der Corona-Epidemie liegt kein Mangel der Mietsache, der zu einer Minderung berechtigte. Die Schließung kann erst dann zu einem Anspruch auf Anpassung des Vertrags unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage führen, wenn es aufgrund dessen für den Gewerberaummieter zu existentiell bedeutsamen Folgen kommt.
Der Fall: Die Parteien streiten um die Zahlung von Gewerberaummiete für den Monat April 2020. Die Klägerin vermietet an die Beklagte Gewerberäume „zur Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie aller Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs“. Die Beklagte betreibt mehrere Tausend weiterer solcher Läden in Deutschland und einigen europäischen Ländern.
Im Zuge der Corona-Epidemie verordnete das Land Hessen die Schließung sämtlicher Verkaufsstätten des Einzelhandels in der Zeit vom 18. März bis zum 20. April 2020. Die Beklagte verzeichnete unternehmensweit gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2018 und 2019 im März 2020 einen Umsatzrückgang um 54 % und im April 2020 einen solchen von 41 %. Die Schließung der Filialen führte zu einer erheblichen Liquiditätslücke, so dass die Beklagte im April 2020 keine Miete zahlte. Sie meint, für die Zeit der Schließung nicht zur Mietzinszahlung verpflichtet zu sein.

Das Urteil: Das LG Frankfurt/Main gab der Klage der Vermieterin statt. Die Beklagte ist zur vollen Mietzahlung verpflichtet, in der staatlich verordneten Schließung der Verkaufsstätten des Einzelhandels liegt kein Mangel der Mietsache i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Ein Mangel setzt voraus, dass der tatsächliche Zustand der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten Zustand abweicht. Wenn Parteiabreden zur Beschaffenheit der Mietsache fehlen, wird der zum vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben nach der Verkehrsanschauung bestimmt.
Bei der Vermietung von Gewerberäumen können privat- oder öffentlich-rechtliche Hindernisse zu einem Mangel führen. Voraussetzung ist aber, dass die Beschränkungen der konkret vermieteten Sache ihre Ursache gerade in deren Beschaffenheit und Beziehung zur Umwelt haben, und nicht in den persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters. Durch hoheitliche Maßnahmen bewirkte Gebrauchsbeschränkungen können deshalb nur dann einen Mangel begründen, wenn sie unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der konkreten Mietsache in Zusammenhang stehen; Maßnahmen, die nur den geschäftlichen Erfolg des Mieters beeinträchtigen, fallen in dessen Risikobereich.
Die hoheitlichen Maßnahmen dienen hier dem Schutz der Bevölkerung vor allgemeinen gesundheitlichen Gefahren. Sie knüpfen nicht unmittelbar an die konkrete Beschaffenheit der Mietsache an, sondern allgemein an die Nutzungsart sowie den Umstand, dass in den betroffenen Flächen Publikumsverkehr stattfindet und dadurch Infektionen begünstigt werden.
Es liegt auch kein Wegfall der Geschäftsgrundlage vor. Durch die staatlich verordnete Schließung der Verkaufsstätten des Einzelhandels ist der Vermieterin die Gebrauchsgewährung nicht unmöglich geworden. Zwar konnte die Beklagte die Mietsache während der behördlich angeordneten Schließung nicht als Verkaufsraum nutzen. Damit hat sich jedoch lediglich das Verwendungsrisiko verwirklicht, welches allein die Beklagte zu tragen hat. Die Klägerin hat der Beklagten die Mietsache in gebrauchstauglichem Zustand bereitgestellt. Der Umstand, dass die Nutzung für die Beklagte nicht wie von ihr beabsichtigt möglich war, liegt nicht an der Mietsache selbst.
Die Beklagte hat auch keinen Anspruch auf Vertragsanpassung unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage.
Es steht bereits nicht fest, dass die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie sich bewusst gemacht hätten, dass es für die Dauer eines Monats zu einer staatlich verordneten Schließung der Verkaufsstätten des Einzelhandels kommen würde. Jedenfalls ist der Beklagten das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht unzumutbar.
Eine Vertragsanpassung unter diesem Gesichtspunkt setzt nach der Rechtsprechung des BGH voraus, dass dies zur Vermeidung eines untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden und damit der betroffenen Partei nach Treu und Glauben nicht zuzumutenden Ergebnisses unabweislich erscheint. Dass die erzwungene Schließung hier zu existentiell bedeutsamen Folgen für die Beklagte geführt hätte, ist nicht dargelegt. Die Beklagte beschränkt sich darauf, Liquiditätsengpässe für den Zeitraum der Schließung geltend zu machen. Solchen Liquiditätsengpässen trägt jedoch bereits Art. 240 § 2 Abs. 1 Satz 1 EGBGB Rechnung, der den Mieter vor der Kündigung schützt, soweit er, bedingt durch die Corona-Pandemie, seine Miete vorübergehend nicht pünktlich zu leisten imstande war.

Anmerkung: Wie vorstehend die 15. ZK entschied auch die 5. ZK des LG Frankfurt/Main (GE 2020, 1252), das LG Mannheim (GE 2020, 1253) und das LG Heidelberg (GE 2020, 1184); a. A. ist das LG München (in dieser Ausgabe Seite 1493). Klarheit in die Divergenzrechtsprechung wird wohl erst der BGH bringen.

Den Wortlaut finden Sie in GE 2020, Seite 1495 und in unserer Datenbank.


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