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Recht  →  Miet- & Zivilrecht


Friedenspflicht gegenüber der Hausgemeinschaft
Auch psychisch Kranke müssen Ruhezeiten einhalten
04.09.2019 (GE 15/2019, S. 940) Stört ein Mieter den Hausfrieden derart, dass sich die übrigen Hausbewohner dem nicht entziehen können (hier: Beleidigungen, nächtliches Flaschenwerfen über den Balkon und Feuerwehr- sowie Polizeieinsätze besonders zur Nachtzeit), so verstößt er in einem Maße gegen die Friedenspflicht, dass eine Kündigung gerechtfertigt sein kann. Das ist auch dann der Fall, wenn es sich um einen psychisch kranken Mieter handelt.
Der Fall: Die Beklagte ist seit Dezember 2016 Mieterin einer Wohnung. Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, zu deren Symptomen u. a. das Beleidigen von Hausnachbarn gehört. Im August 2017 mahnte der Vermieter (Kläger) sie wegen häufiger massiver Ruhestörungen ab. Sie habe, insbesondere nachts, lang anhaltendes Geschrei angestellt und sonstigen Lärm verursacht. Sie habe, sehr häufig grundlos und insbesondere nachts, Polizei und Feuerwehr gerufen, die Ruhe des Hauses gestört, Türen aufgebrochen und beschädigt sowie im Treppenhaus und in der Wohnung geraucht.
Nach dieser Abmahnung kam es bis etwa Ende September 2017 zu einer längeren Ruhezeit, in der die Beklagte nicht auffällig war und eine Traumatherapie durchführte. Mit anwaltlichem Schreiben vom 9. August 2018 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte, verwies auf mehrere Abmahnungen in der Vergangenheit und nahm Bezug auf Vorfälle in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli 2018, in der die Beklagte aus dem Fenster vorbeilaufende Passanten beschimpft und sogar eine Bierflasche nach den Passanten geworfen habe. Wegen dieses Verhaltens mahnte der Kläger die Beklagte wegen der schweren Verletzung des Hausfriedens erneut ab und kündigte für den Fall der Wiederholung eine fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung des Mietverhältnisses an.
Mit Anwaltsschreiben vom 16. August 2018 kündigte der Kläger das Mietverhältnis entsprechend der Ankündigung wg. Beleidigung einer Nachbarin als „Nazi-Schlampe“ und weiterer Beleidigung eines Mitmieters als „Scheiß Araber“. Der Vermieter erhob Räumungsklage mit der Begründung, dass den Mitmietern die ständigen Beleidigungen, das Angstmachen und auch das Werfen von Bierflaschen durch die Beklagte nicht mehr zuzumuten sei. Das Amtsgericht erhob umfangreichen (Zeugen-) Beweis.

Das Urteil: Das Amtsgericht verurteilte die Beklagte zur Räumung und Herausgabe der gemieteten Wohnung mit einer großzügig bemessenen Räumungsfrist bis 30. November 2019. Die fristlose Kündigung sei wirksam. Die Kündigung vom 16. August 2018 stützte sich auf die Beschimpfung, Beleidigung und Bedrohung der Nachbarin und die Beleidigungen gegenüber dem weiteren Nachbarn. Die darin enthaltene Störung des Hausfriedens stelle eine Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag daran. Die erforderliche Abmahnung liege vor.
Unter dem Hausfrieden sei die gemäß § 241 Abs. 2 BGB aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme folgende Pflicht zu verstehen, sich bei der Nutzung der Mietsache so zu verhalten, dass die anderen Bewohner desselben Hauses nicht mehr als unvermeidlich gestört werden („Friedenspflicht gegenüber der Hausgemeinschaft“). Diese werde jedoch gestört durch ein Verhalten, dem sich die weiteren Mieter der Hausgemeinschaft aufgrund der Beleidigungen und des Flaschewerfens über den Balkon zur Nachtzeit nicht entziehen könnten.
Es gelte dabei generell, das hausfriedensstörende Gesamtverhalten zu betrachten. Anderenfalls müsste jede einzelne Beleidigung zunächst abgemahnt werden, und diese konkrete Beleidigung müsse sich wiederholen. Dies sei jedoch abwegig. Vielmehr müsse aus der Abmahnung deutlich werden, dass jedwede Störung des Hausfriedens zu unterbleiben habe. Soweit die Beklagte bestritten habe, dass die Vorfälle, die Gegenstand der Abmahnung gewesen seien, stattgefunden hätten, stehe zur Überzeugung des Gerichts nach Durchführung der Beweisaufnahme das Gegenteil fest.
Es möge für die Beklagte – wie für alle anderen Wohnungsuchenden in Berlin – nicht einfach sein, eine neue Wohnung zu finden. Dies könne aber kein Argument sein, einen derart belastenden Zustand nicht zu beenden. Die von der Beklagten – wenngleich krankheitsbedingt – ausgehenden unberechenbaren Störungen würden aber alle Mieter im Haus belasten, und zwar auch gerade zur Nachtzeit, wenn jeder zur Ruhe kommen möchte und nicht durch Beleidigungen und auch Feuerwehr- oder Polizeieinsätze aus dem Schlaf gerissen werden wolle. Hier sei ein Maß der Zumutbarkeit überschritten, das von Mietern in anders gelagerten Fällen als Toleranz gegenüber psychisch kranken Menschen erwartet werden könne.
Es stehe daher zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Störungen ein Ausmaß hätten, welche auch bei der gebotenen Rücksichtnahme auf psychisch erkrankte Menschen nicht mehr hingenommen werden könne. Die Mitbewohner im Haus würden durch das Verhalten der Beklagten ganz erheblich in ihrem Ruhebedürfnis –insbesondere zur Nachtzeit – gestört.

Den Wortlaut finden Sie in GE 2019, Seite 969 und in unserer Datenbank.


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