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Recht  →  Miet- & Zivilrecht


Rauchen auf benachbarten Balkonen: Mieter haben keinen Unterlassungsanspruch
Schutz vor Passivrauchen contra freie private Lebensführung
25.07.2014 (GE 12/2014, S. 722) Mieter einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus haben in der Regel gegen andere Mieter keinen Anspruch darauf, das Rauchen auf dem benachbarten Balkon zu fest bestimmten Tageszeiten zu unterlassen. Dies entschied das Landgericht Potsdam mit sehr ausführlicher Begründung und Erörterung aller denkbaren wechselseitigen Ansprüche von Mietern. Das Landgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
SACHVERHALT: Die Streitparteien sind Mieter von Wohnungen in einem Mehrfamilienhaus in Potsdam. Die Kläger wohnen im 1. OG, die Beklagten im EG. Die Balkone beider Wohnungen liegen übereinander, sind jeweils überdacht und an den Seiten verkleidet. Die Beklagten nutzen ihren Balkon mehrmals täglich zum Rauchen. Die Kläger als Nichtraucher fühlen sich durch aufsteigenden Zigarettenrauch in der Nutzung ihrer Wohnung und des Balkons gestört. Wie viel und wie oft die Beklagten auf ihrem Balkon täglich rauchen, ist zwischen den Streitparteien strittig (zwischen zwölf und 20 Zigaretten). Die Kläger mochten erreichen, dass die Beklagten zu bestimmten Tageszeiten nicht rauchen, dass sie das Badezimmerfenster nachts geschlossen halten und den Aschenbecher auf dem Balkon täglich mehrmals leeren; dieser Punkt ist in der Berufung nicht mehr im Streit, weil die Beklagten inzwischen einen selbstschließenden Aschenbecher benutzen. Die Kläger begründen ihren Antrag im Wesentlichen mit Geruchsbelästigungen und den Gefahren des Passivrauchens. Das AG hat die Klage vollumfänglich abgewiesen, die Berufung hatte keinen Erfolg.


DAS URTEIL: Das Landgericht prüft die Ansprüche der Kläger unter verschiedenen Gesichtspunkten: Besitzstörung wegen verbotener Eigenmacht, Ansprüche wegen Gesundheitsverletzung und Ansprüche aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis. In allen drei Fällen verneint das Gericht Ansprüche der Kläger. Besitzschutzansprüche: In den Besitz der Kläger werde nicht eingegriffen. Ein solcher Eingriff liege nur dann vor, wenn etwa der Zugang des Besitzers zu den Räumen erschwert, behindert oder vereitelt werde. Den Balkon hätten die Kläger aber betreten können, wie schon die zahlreichen Aufzeichnungen über den Zigarettenkonsum der Beklagten sowie die vom Balkon der Beklagten gefertigten Fotos belegten. In der Störung des subjektiven Wohlbefindens liege aber kein Eingriff in den Besitz. Allerdings könnten psychische Einwirkungen durchaus als Besitzstörung gewertet werden, wie z. B. übermäßiger Lärm, Lichtreflexe, Gase und ähnliche Immissionen. Bei der Auslegung solcher Besitzstörung werde darauf zurückgegriffen, dass die Befugnis eines Besitzers (hier des Mieters) nicht weitergehen könne als die eines Eigentümers. Der könne bestimmte negative Einwirkungen vom Nachbargrundstück (Entziehung von Licht und Luft) auch nicht abwehren. Im Übrigen gehöre das Rauchen in der Mietwohnung grundsätzlich zum vertragsgemäßen Gebrauch, und aus diesem Grunde könne das vertragsgemäße Verhalten eines Mieters nicht zugleich eine verbotene Eigenmacht gegenüber einem Mitmieter darstellen. Gesundheitsverletzung: Die Gesundheit sei grundsätzlich ein geschütztes Rechtsgut, die Rechtsprechung gewähre einen verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch, wozu auch eine erstmals drohende Beeinträchtigung gehöre. Drohende Gesundheitsverletzungen der Kläger durch aufsteigenden Zigarettenrauch hätten aber nicht festgestellt werden können. Die Erkenntnisse über die Schädlichkeit des Passivrauchens genügten dafür nicht, weil das Passivrauchen nur das Einatmen von Rauch aus der Raumluft umfasse, was mit dem Rauchen außerhalb geschlossener Räume nicht vergleichbar sei.
Ansprüche aus einem Schutzgesetz (z. B. aufgrund der Nichtrauchergesetze des Bundes und der Länder) kämen nicht in Betracht, denn diese Schutzgesetze regelten lediglich das Verbot des Rauchens in den dort genannten vollständig umschlossenen Räumen (Hotels, Gaststätten etc.). Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis: Denkbar seien Ansprüche aus dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis. Treu und Glauben (§ 242 BGB) könne die Ausübung gewisser, sich aus dem Eigentum ergebender Rechte eines Grundstückseigentümers aber unzulässig machen. Jedoch nur in Ausnahmefällen. Allerdings habe der Bundesgerichtshof die Gewährung von Ansprüchen aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis zwischen Mietern untereinander abgelehnt. Aber selbst wenn man grundsätzlich Ansprüche aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis auch Mietern und nicht nur Grundstückseigentümern zugestehe, stehe den Klägern hier ein solcher Anspruch nicht zu. Im Verhältnis zwischen Vermieter und rauchendem Mieter sei das Rauchen vom vertragsgemäßen Mietgebrauch gedeckt. Im Verhältnis zwischen Mieter und dem nichtrauchenden Mietnachbarn des Rauchers sei streitig, ob ein Mangel der Wohnung des Nichtrauchers vorliege, wenn Rauch bei geöffnetem Fenster oder geöffneter Balkontür eindringe.
In den bisher von der Rechtsprechung behandelten Fällen der vorliegenden Konstellation (Mieter gegen Mieter) sei jeweils kein Unterlassungsanspruch zugestanden worden.
Dass sich im vorliegenden Fall die Kläger als „strikte Nichtraucher” durch den Tabakrauch belästigt fühlen, sei nachvollziehbar. Würde man aber dem rauchenden Mitmieter das Rauchen untersagen, kollidiere das mit dem grundgesetzlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Freiheit auf private Lebensführung.
Ein Anspruch auf Geschlossenhalten des Badezimmerfensters bestehe schon deshalb nicht, weil nicht bewiesen sei, dass die Beklagten abends oder nachts im Badezimmer rauchten und der Rauch anschließend in das geöffnete Fenster der klägerischen Schlafzimmer ziehe.
Ebenso habe von Anfang an kein Anspruch auf Leerung von Aschenbechern bestanden. Rauch gehe von gefüllten Aschenbechern nicht aus. Die Geruchsintensität sei auch geringer als beim Rauchen selbst. Das Landgericht hat allerdings Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, weil die Belange des Nichtraucherschutzes vor Beeinträchtigungen durch Passivrauchen mit dem Grundrecht auf private Lebensführung immer wieder kollidieren können.


(Den Wortlaut des Urteils finden Sie in GE 2014, Seite 801)