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Laufen lernen
16.04.2002 (GE 8/2002, Seite 485) Der neue Haushalt und die damit einhergehende Debatte haben zum x-ten Male ein gefährliches Defizit an Willenskraft, Mut und Weitsicht gezeigt.
Und da sich dieses Unvermögen mit dem Doppelhaushalt bis mindestens Ende 2003 perpetuieren wird, wird das Desaster stündlich größer und die Existenz Berlins als eines eigenständigen Bundeslandes immer fraglicher. Wie Kleingemeinden in der Uckermark könnte Berlin demnächst unter Staatsaufsicht gestellt werden.

Die Essenz der jetzigen Situation findet sich in einigen wenigen Hinweisen, Tatsachen, Zahlen und Interviews so konzentriert wieder, daß sie - die Essenz - eigentlich wie Säure brennen müßte:
Thilo Sarrazin, angetreten als Wildpferd, ist gezähmt in den Korral zurückgekehrt und tritt nur noch gelegentlich nach hinten aus. Zufrieden sei er nicht, sagt er, vermutlich räsoniert er mächtig, aber eben nur inwendig (wie schon Friedrich der Große einmal in anderem Zusammenhang spottete).
Christiane Krajewski, die Vorgängerin, resignierte schon früher. Schade. Denn sie, und nur sie, hätte wohl das Zeug gehabt, Strukturen aufzubrechen, Mentalitäten zu ändern und damit wahrhaftige Visionen zu verwirklichen. Ein Damenopfer - diesmal nicht auf Bundes-, sondern auf Landesebene. Nicht in der CDU, sondern in der SPD!

Daß kaputtgespart würde, sagen viele - und alle reden Quatsch mit Soße! Vielleicht wird gelegentlich an der falschen Stelle gespart, aber insgesamt sind die Kosten der Stadt von einer Höhe, daß ein Unternehmer in gleicher Lage wie der Regierende illiquide einschlafen und insolvent aufwachen würde. Die Schlußfolgerung, da könne nur noch der Bund durch direkte Übernahme konkreter Hauptstadtfunktionen helfen, ist schon wieder Quatsch, diesmal ohne Soße. Mit den paar Euro, die auf den Bund im Kultur- und Wissenschaftsbereich noch abgewälzt werden könnten, ist wenig zu erreichen.

Brächte schließlich eine Klage gegen den Bund (auf Gewährung höherer allgemeiner Finanzhilfen) mehr ein als eine gerichtliche Niederlage und saftige Anwaltskosten? Mit Sicherheit nicht! Frau Krajewski, die zu diesem Thema überhaupt das beste Interview gegeben hat (FAZ, Berliner Seiten vom 23.3.) sagte: „Eine Klage ohne eigene Anstrengungen läuft ins Leere.“ Und weiter: „Man könnte ja auch statt ‚sparen‘ mal den Begriff ‚Geld intelligenter ausgeben‘ wählen“.

Das Tüpfelchen aufs i setzte dieser Tage das DIW mit seinem Wochenbericht Nr. 10/2002. Berlin und seine Strukturen werden dort so nüchtern analysiert und mit anderen Städten und Regionen verglichen, daß es weh tut. Schließlich der Vergleich mit Hamburg, das auch seine Probleme hat, man denke nur an Schill und die innere Sicherheit. Gibt Hamburg das Geld mit vollen Händen aus, während Berlin demnächst vor Auszehrung nicht mehr laufen kann? Die Zahlen des DIW werden selbst den kundigen Beobachter überraschen: Im sogenannten Kernhaushaltsbereich beschäftigte Berlin im Jahr 1995 56,8 Staatsbedienstete pro 1.000 Einwohner, Hamburg dagegen nur 47,8 Personen. Im Jahre 2000 waren es in Berlin nur noch 49,3 Personen. Annäherung an Hamburg? Irrtum, denn bis 2000 hatte Hamburg unterdes auf 37,1 Beschäftigte pro 1.000 Einwohner abgebaut! Die Personalverminderung betrug also in Berlin 13,2 % in fünf Jahren, in Hamburg dagegen 22,4 %.

Hamburg gehört zu den sogenannten Geberländern im Finanzausgleich. Nur dadurch, daß es selbst stärker spart als Berlin, ist Hamburg in der Lage, Berlin Hilfestellung zu leisten, siehe oben.
Berlins Haushalt ist verfassungswidrig, weil die Kreditaufnahme viel höher ist als die Investitionen, die finanziert werden. Berlins Haushalt ist sittenwidrig, weil Berlin von anderen die Karre ziehen läßt, selbst aber den Kutscher spielt mit der Begründung, das Laufen sei zu anstrengend.
Autor: Dietmar Otremba