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Nach wie vor heiß umstritten
Neue Kündigungsfristen und ihre Anwendung auf alte Formularverträge
14.03.2002 (GE 5/02, Seite 310) Am 1. September 2001 ist die Reform des Mietrechts in Kraft getreten. Die damit einhergehenden asymmetrischen Kündigungsfristen1) kommen dem Mieter sehr weit entgegen.
1. Abgrenzung
Die neuen Fristen gelten für Kündigungen, die dem jeweiligen Vertragspartner ab dem 1. September 2001 zugegangen sind. Nach § 573 c Abs. 1 Satz 1 BGB ist die Kündigung spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf des übernächsten Monats zulässig. Das Gesetz gestattet damit dem Mieter eine regelmäßige Kündigungsfrist von drei Monaten. Gemäß § 573 c Abs. 4 BGB kann von dieser Frist zum Nachteil des Mieters nicht abgewichen werden. Bereits nach kurzer Geltungsdauer hat sich in der Praxis der Rechtsanwendung ein Problem herauskristallisiert: Wann kommt die Übergangsvorschrift des Artikels 229 § 3 Abs. 10 EGBGB bei alten Mietverträgen zur Anwendung oder - zugespitzter formuliert - wann sind Kündigungsfristen als vertraglich vereinbart anzusehen?

2. Annäherung
Unstreitig findet Artikel 229 § 3 Abs. 10 EGBGB keine Anwendung, wenn der Mieter am 1. September 2001 oder danach ein seit fünfzehn Jahren bestehendes Mietverhältnis kündigt, dem ein Mietvertrag zugrunde liegt, der keine besonderen Kündigungsfristen festschreibt. Eine vertragliche Vereinbarung liegt insoweit nicht vor, so daß vom Mieter lediglich die neue, dreimonatige Frist zu wahren ist. Ebenso unstreitig findet Artikel 229 § 3 Abs. 10 EGBGB keine Anwendung, wenn der Mieter bei gleicher Sachlage kündigt, der Mietvertrag aber einen Verweis auf die gesetzlichen Kündigungsfristen enthält. In diesem Fall findet seit dem 1. September 2001 § 573 c Abs. 1 Satz 1 BGB Anwendung. In vielen Altverträgen finden sich allerdings im Bereich der Kündigungsfristen teilweise wörtliche Wiedergaben des ehemals gültigen § 565 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB. Hier stellt sich seit einiger Zeit nun die Frage, ob es sich dabei um vertragliche Vereinbarungen im Sinne des Artikels 229 § 3 Abs. 10 EGBGB handelt, mit der § 573 c Abs. 4 BGB abbedungen wird, oder ob es sich um eine der Information dienende Wiedergabe des gültigen Gesetzeswortlautes handelt, mithin die Übergangsvorschrift nicht zur Anwendung gelangt.

3. Ansichten
Entsprechend der beiden möglichen Antworten gibt es im Schrifttum zwei sich diametral gegenüberstehende Ansichten. Dabei stützen sich diejenigen, die der Wiedergabe des Gesetzeswortlautes zu bloßen Informationszwecken das Wort reden, in erster Linie auf die Beratungen im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages2). Hiernach soll ausnahmsweise eine echte Vereinbarung vorliegen, wenn sich aus dem Vertragskontext oder sonstigen Umständen bei Vertragsschluß ergebe, daß die Parteien ein besonderes Interesse an der Geltung der gesetzlichen Fristen gehabt und gerade vor diesem Hintergrund diese Regelung ganz bewußt getroffen hätten. In der Mehrzahl der Formularverträge werde dies allerdings nicht der Fall sein, so daß die Übergangsvorschrift keine Anwendung finden dürfte3). Es komme darauf an, ob die Kündigungsfristen tatsächlich vereinbart worden seien, ihnen also von den Parteien eine besondere eigenständige (konstitutive) Bedeutung zugemessen wurde. Bei Verweisung oder bloßer Wiederholung spreche schon auf den ersten Blick eine Vermutung dagegen4). Dieser Ansicht treten einige Autoren5) entgegen und argumentieren in erster Linie mit einem Rechtsentscheid des Kammergerichts6). Dieser Rechtsentscheid erging zu einem in der ehemaligen DDR verwendeten Formularvertrag. Nach dem in der DDR geltenden ZGB konnte der Mieter mit einer Frist von zwei Wochen kündigen. In den erwähnten Formularverträgen war diese Frist vielfach wiedergegeben. Im Zuge der Einheit Deutschlands trat an diese Stelle im ZGB die Regelung des BGB. Bereits in diesem Zusammenhang wurde die Ansicht vertreten, daß die zweiwöchige Kündigungsfrist aus den Formularverträgen gegenstandslos geworden sei, da die Wiedergabe gesetzli-cher Bestimmungen in einem Formularvertrag lediglich informatorischen Charakter habe7). In dem Rechtsentscheid zu dieser Frage wertete das Kammergericht diese Meinung als offensichtlich nicht haltbar8). Vielmehr werden nach Auffassung des Gerichts alle in einen Vertrag aufgenommenen Regelungen Bestandteil der vertraglichen Regelung, unabhängig davon, ob sie zwingendes oder dispositives Recht enthalten9).

4. Diskussion
Den Ausführungen des Rechtsausschusses ist insofern zuzustimmen, wenn der betreffende Mietvertrag lediglich „auf die gesetzlichen Fristen“ verweist. Dies ist richtigerweise auch anzunehmen, wenn eine Verweisung speziell auf § 565 BGB a. F. erfolgt. Etwas anderes ergibt sich aber dann, wenn auf das Gesetz in keiner Form Bezug genommen wird, sondern der Wortlaut des § 565 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB a. F. wiedergegeben wird. Hier kann nicht von einem lediglich der Information oder Klarstellung dienenden „Abschreiben“ gesprochen werden. Vielmehr muß in diesem Fall von einer vertraglichen Vereinbarung im Sinne des Artikels 229 § 3 Abs. 10 EGBGB ausgegangen werden. Das soweit ersichtliche schriftliche Material zu dieser Frage ist von großer Unsicherheit gekennzeichnet. So lehnen sich diejenigen, die die Anwendbarkeit des Artikels 229 § 3 Abs. 10 EGBGB in diesen Fällen verneinen, an die recht schwache und wenig überzeugende Meinung im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages an10). Dessen Stellungnahmen zu diesem Problem sind zum einen von nicht begründeten Behauptungen und zum anderen von einer latenten Unsicherheit geprägt. So wird formuliert, daß die Übergangsvorschrift „keine Anwendung finden dürfte“11). Andererseits wird deklaratorisch festgestellt, daß eine entsprechende Wiedergabe des Gesetzeswortlautes „keinen Vereinbarungscharakter hat“.12) Warum der Rechtsausschuß ebenfalls davon ausgeht, daß bei einem entsprechenden Mietvertrag die Parteien den Gesetzeswortlaut vollständigkeitshalber und nur zur bloßen Information aufgenommen hätten, bleibt ebenfalls ohne Erläuterung. Bei § 565 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB a. F. handelte es sich nicht um eine zwingende Norm. Die Vertragsparteien hatten hier innerhalb eines gewissen Spielraums die Möglichkeit, wirksame, von der gesetzlichen Norm abweichende Fristen zu vereinbaren. Wenn nun kein Verweis auf gesetzliche Fristen, kein Verweis auf eine entsprechende Norm im BGB stattfindet oder in sonstiger Form der Entschluß deutlich wird, daß sich die Kündigungsfristen an der aktuellen Gesetzeslage orientieren sollen, so fällt es trefflich schwer, dennoch davon auszugehen, daß nichts anderes als die im Gesetz normierten Fristen gelten sollen. Vertragsbestimmungen, wie sie in den diskutierten Altverträgen enthalten sind, können nicht - entgegen ihrem klaren Wortlaut - dahin uminterpretiert werden, daß eine Regelung in Wirklichkeit gar nicht gewollt ist und stattdessen die jeweilige gesetzliche Regelung gelten soll13).
Der Rechtsausschuß sieht dagegen Kündigungsfristen als tatsächlich vereinbart an, wenn ihnen von den Parteien eine „besondere eigenständige (konstitutive) Bedeutung“14) zugemessen wurde. Eine Erklärung, wie dies nach langer Mietdauer, und nichts anderes ist bei vielen Altmietverträgen der Fall, noch zu klären sein soll, bleibt der Rechtsausschuß schuldig. Bei Regelungen mit einem Wortlaut wie „Die Kündigungsfristen betragen …“15) muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß diesen von den Vertragsparteien eine ebenso besondere, eigenständige Bedeutung zugemessen wurde wie anderen Bestimmungen des Mietvertrages16). Eine andere Beurteilung würde einer lebensnahen Betrachtung des Sachverhalts nicht genügen. Die Vertragsfreiheit gestattet den Parteien bei Abschluß eines Mietvertrages, zwischen vertraglichen Vereinbarungen und der Bezugnahme auf gültiges Recht zu unterscheiden. So können die Vertragsparteien insbesondere bei den Kündigungsfristen eine Bestimmung bewußt treffen wollen, um möglichen Gesetzesänderungen vorzubeugen. Fehlt demnach eine eindeutige Bezugnahme auf das Gesetz, wird die Gesamtheit der mietvertraglichen Regelungen vom Gestaltungswillen der Parteien umfaßt17). Eine andere Sichtweise würde einzelne Regelungen zu „leeren Hülsen“18) verkommen lassen und gesteigerte Rechtsunsicherheit verursachen. Auch die Ansicht, die Wiedergabe der bisherigen gesetzlichen Fristen in Mietverträgen sei regelmäßig unwirksam, da sie im Lichte des neuen Rechts betrachtet gegen § 9 AGBGB verstießen19), greift zu kurz. Diese Kündigungsfristen entsprachen bis zum Inkrafttreten der Mietrechtsreform im letzten Jahr dem Gesetz. Es handelte sich dabei nicht um eine zwingende Vorschrift. Eine unangemessene Benachteiligung, die gegen Treu und Glauben verstößt, kann daher nicht festgestellt werden. Vielmehr kommt hier die Übergangsvorschrift des Artikels 229 § 3 Abs. 10 EGBGB zum Tragen. Und auch der Rechtsausschuß stellt klar, daß vertraglich vereinbarte Kündigungsfristen dann fortgelten, sofern sie nach bisherigem Recht zulässig waren20).

5. Schlußbemerkung
Bereits nach kurzer Geltungsdauer der neuen Kündigungsfristen in § 573 c hat sich herauskristallisiert, daß die neue gesetzliche Regelung unterschiedlich verstanden werden kann. Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages hat während seiner Beratungen in Erwägung gezogen, eine Klarstellung an entsprechender Stelle vorzunehmen21). Im Hinblick auf den großen Teil alter Mietverträge wäre eine solche Klarstellung hilfreich, wenn nicht sogar zwingend erforderlich gewesen. Eine baldige Gesetzesänderung zum Zwecke der Rechtssicherheit wäre die beste Lösung.

Fußnoten:
1) Zur Frage, ob asymmetrische Kündigungsfristen einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 GG darstellen, vgl. Börstinghaus in NZM 2002, 49 (50).
2) Palandt, 61. Auflage, § 573 c Rn. 3; Rips, Das Mieterlexikon, S. 275; im Ergebnis auch so Eisenschmid in WM 2001, 215 (220).
3) BT-Drucksache 14/5663, S. 83.
4) BT-Drucksache 14/5663, S. 83.
5) Börstinghaus in NZM 2002, 49 (53); Beuermann/Blümmel Das neue Mietrecht 2001, § 573 c, S. 211; Börstinghaus/Eisenschmid Arbeitskommentar Neues Mietrecht, 2001, § 573 c, S. 520; Blank/Börstinghaus Neues Mietrecht 2001, § 573 c, S. 151.
6) GE 1998, S. 177 f.
7) Beuermann in GE 1993, 1298 (1298).
8) KG RE vom 22. Januar 1998, GE 1998, 177 (178).
9) GE 1998, 177 (179).
10) So z. B. Gramlich, § 573 c, S. 166 „Die unveränderte Wiederholung der gesetzlichen Fristen im Mietvertrag reicht wohl nicht aus.“
11) BT-Drucksache 14/5663, S. 83.
12) BT-Drucksache 14/5663, S. 83.
13) KG, RE vom 22. Januar 1998, GE 1998 177 (177).
14) BT-Drucksache 14/5663, S. 83.
15) Von einer wörtlichen Wiedergabe der alten Vorschrift kann im strengen Sinne sowieso nicht ausgegangen werden. Meistens finden sich eben solche Formulierungen in den Mietverträgen, die sich hinsichtlich der Fristenstaffelung an den alten § 565 Absatz 2 Satz 1 und 2 anlehnen. Die sonstige Wortwahl entspricht in den seltensten Fällen dem genauen Wortlaut der Vorschrift. Insofern kann auch nicht von einer „unveränderten Wiederholung“ (so Gramlich, § 573 c, Seite 166) oder einem „bloßen Abschreiben“ (so Rips, Das Mieterlexikon, Seite 275) die Rede sein.
16) Zu Parallelwertungen in der Arbeitsgerichtsbarkeit vgl. Börstinghaus in NZM 2002, 49 (52).
17) Blank/Börstinghaus, § 573 c, Rn 11.
18) KG, RE vom 22. Januar 1998, GE 1998, 177 (177).
19) So Eisenschmid in WM 2001, 215 (220).
20) BT-Drucksache 14/5663, S. 83.
21) BT-Drucksache 14/5663, S. 83.
Autor: Rechtsreferendar Stefan Muhle, Berlin