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Fristenberechnung
Verspäteter Einwurf in den Hausbriefkasten
08.02.2002 (GE 03/02, Seite 157) Wer persönlich oder durch Bevollmächtigten ein Schreiben im Briefkasten des Mieter deponiert, ist in der Regel auf der sicheren Seite. Das gilt allerdings nicht, wenn der Brief am letzten Tag der Frist und nach 16 Uhr eingeworfen wird.
Der Fall: Der Vermieter hatte eine Mieterhöhung durch den Hausmeister am 30. Juni 2000 zwischen 16 und 17 Uhr in den Hausbriefkasten des Mieters einwerfen lassen. Das Verlangen als solches war in Ordnung und führte zum Erfolg. Allerdings kam es für den Wirksamkeitszeitpunkt auf den Zugang beim Mieter (§ 558 b Abs. 1 BGB) an.

Das Urteil: Das LG Berlin, ZK 65, Einzelrichterin, kam zum Ergebnis, daß das Verlangen erst als am 1. Juli 2000 zugegangen gilt. Denn nach 16 Uhr brauche der Mieter nicht mehr damit zu rechnen, daß noch Post eingeworfen wird.

Kommentar: Das Urteil liegt auf der Linie der bisherigen Rechtsmeinung. Grundlage ist der auch im Urteil zitierte § 130 BGB, der allerdings nur „lapidar” festhält, daß die Willenserklärung in dem Zeitpunkt wirksam wird, in welchem sie zugeht. Das ist von der Rechtsprechung dahin interpretiert worden, daß der Zugang vollendet ist, wenn die Kenntnisnahme durch den Empfänger möglich und nach der Verkehrsanschauung zu erwarten ist. Das Landgericht meint beim Einwurf in den Briefkasten, daß eine Privatperson - und das ist ein Wohnraummieter - nach 16 Uhr nicht mehr in den Briefkasten schauen müsse, da üblicherweise die Post, aber auch private Zustelldienste, bis zu dieser Zeit abgeliefert haben würden. Dieses Ergebnis ist jedoch kritisch zu hinterfragen:
Selbst bei der Post ist bei inzwischen auch dort knappem Personal nicht mehr ohne weiteres davon auszugehen, daß alle Post bis 16 Uhr abgeliefert ist. Die Zeiten, in denen der Postbote schon vormittags durch ist, sind sicher vorbei. In Krankheitszeiten braucht der Vertreter länger, weil er die Route nicht kennt und teilweise das doppelte Pensum hat. Somit ist jedenfalls die Frist von 16 Uhr zu einengend (18.05 Uhr nach BayVerfGH NJW 1993, 518, 519: Beurteilung unter dem Leitgedanken, wie das Risiko des rechtzeitigen Zugangs einer Willenserklärung zwischen Absender und Empfänger zumutbar und billigem Rechtsempfinden entsprechend zu verteilen ist). Im übrigen gibt es jetzt zunehmend Privatzustelldienste, die inzwischen auch in Berlin von Behörden genutzt werden. Hier werden schriftliche Zusendungen überwiegend nicht innerhalb bestimmter Routen zugestellt, sondern punktuell zu ganz unterschiedlichen Zeiten.
Neuerdings stellt sich das Problem des Zugangs von Erklärungen in Textform - auch das Mieterhöhungsverlangen nach § 558 a ist in Textform zu erklären. Die Zugangsvorschrift des § 130 BGB gilt auch hier. Zugang in Textform bedeutet auch Zugang per Fax, Computerfax oder eMail. Selbst wenn diese modernen Formen auch in Zukunft wenig genutzt werden dürften (Beweis des Zuganges?), stellt sich doch die Frage, wann hier eine Kenntnisnahme zu erwarten ist. Muß der Mieter vor dem Schlafengehen zum Faxgerät laufen, muß der Computer zur Anzeige von eMails nur bis 16, 18 Uhr oder noch bis zu einem späteren Zeitpunkt laufen? Gegenüber Behörden, Gerichten und dergleichen gilt der Grundsatz, daß man Fristen voll ausschöpfen darf, die volle Überlegungszeit hat. Dementsprechend kann z. B. bei Gericht eine Rechtsmittelschrift noch am letzten Tag bis 24 Uhr eingeworfen werden. Deshalb sollte der Trend dahin gehen, auch im privaten Rechtsverkehr einen Zugang bis 24 Uhr zuzulassen (was natürlich bewiesen werden müßte).
Für die derzeitige Praxis allerdings ist ganz eindringlich davor zu warnen, mit der Abgabe von Willenserklärungen derart lange zu warten. Die Mietvertragsparteien sind auf der sicheren Seite, wenn sie den letzten Tag der Frist besser ausklammern, jedenfalls noch am Tag davor einwerfen (lassen). Bei Aufgabe zur Post muß man jedenfalls auch die Postlaufzeiten, die sich zunehmend erhöhen, in Rechnung stellen, denn es kommt auf den Zugang beim Empfänger, nicht auf die Absendung an.
LG Berlin, Urteil vom 13. November 2001- 65 S 132/01 - Wortlaut Seite 193
Autor: Klaus Schach