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Auf Sie mit Gebrüll
14.12.2001 (GE 24/2001, Seite 1625) Nun kommt sie doch noch zum Einsatz, diese Überschrift, die schon das Editorial für die Ausgabe 21 trug und dann noch geändert wurde in „Held oder (H)Ampelmann“, weil – entgegen meiner sicheren Erwartung, es werde zu einer rot-roten Koalition kommen – plötzlich eine Ampelkoalition als realistisches Ziel gehandelt wurde. Jetzt sind wir zurück auf Los, ein bitteres Los für die Stadt.
Gewollt hat die Ampelkoalition keiner von denen, die da Tag und Nacht angeblich um eine Koalitionsvereinbarung gerungen haben. Die einen folgten Kanzlers Wunsch und bremsten am Ende den Vormann elegant aus.

Und auch die FDP – jedenfalls ihr Berliner Vormann – hat die Ampel nicht wirklich gewollt. Günter Rexrodt hat Wahl und Koalitionsverhandlung geschickt auch für die eigene Positionierung genutzt: Wer das Berliner liberale Innenleben kennt, konnte schon im Wahlkampf ahnen, daß auf Rexrodts großen Plakaten – „Mister Wirtschaft statt Mißwirtschaft“ – die kleine Silbe „ni“ fehlte. Nicht „Mister“, sondern „Minister Wirtschaft“ sollte die Botschaft heißen. Minister für Wirtschaft in einem sozialliberalen Kabinett Schröder/Westerwelle ist Rexrodts Ziel. In einer Ampelkoalition in den ärmlichen kirchturmpolitischen Berliner Provinzialniederungen hätte er sich bei dieser Konstellation bestenfalls den Titel „Mister Mißwirtschaft“ verdienen können. Warum sollte er?

Die Grünen in Berlin sind mehrheitlich noch die alten Kämpfer aus der Alternativen Liste und nicht vergleichbar mit den Bundes-Bündnisgrünen vom Schlage eines Fritz Kuhn oder Rezzo Schlauch; an der Spree wird noch geströbelt. So war es denn für die Strippenzieher Strieder und Wowereit ein Leichtes, zum richtigen Zeitpunkt mal den Liberalen und mal den Grünen die Stöckchen so hinzuhalten, daß die sich zu springen weigerten, wozu sie wörtlich aufgefordert waren.

Die Koalitionsverhandlungen waren nichts anderes als die Vorbereitung für das beliebte Schwarzer-Peter-Spiel. Es ist kein Zufall, daß der Rote Peter wie weiland Ziethen aus dem Busch mit seinem Vorschlag kam, an der Steuerschraube zu drehen. Das war sozusagen die rote Kelle für die ganz Begriffsstutzigen bei den Liberalen, die ernsthaft ampeln wollten, und der Versuch, die Liberalen für das Scheitern der Ampel verantwortlich zu machen. Nun gibt es also eine Ampel, die nur noch über Rotlicht verfügt und bekanntlich alles zum Stehen bringt. Die Berliner SPD hat ihren Traumpartner PDS, Lafontaine im fernen Saarland hat sein Weihnachtsgeschenk, und der Seeheimer Kreis der rechten Sozis kann nur noch beten, daß Gysi nicht zum Alptraumpartner wird, denn dem Mediengenie ist es ziemlich egal, wer unter ihm Regierender Bürgermeister ist.

Klaus Wowereit muß aufhören, nur den Regierenden Bürgermeister auf Partybühnen zu geben. Er muß die Rolle mit Schweiß ausfüllen. Dort, wo die Schönen und die Reichen und alle, die es werden wollen, aus Schuhen den Champagner trinken, findet er die Mühseligen und Beladenen nicht. Und auch die nicht, die den größten Teil der Arbeitsplätze schaffen. Die trifft er nur, wenn er sich den Mühen der Ebene unterzieht, wo die wirklichen Helden des Lebens wachsen.

Die Aufgaben, vor denen jeder Senat steht, übersteigen, wenn wir ehrlich sind, menschliche Kräfte. Ein Herkules wäre notwendig, um den Augiasstall auszumisten, den ganze Kohorten roter und schwarzer Sozialisten in dem ehrlichen Bemühen, das Stimmvieh wenigstens weich auf Stroh zu betten, hinterlassen haben. Nur ist Wowereit kein Herkules, und Gysi schon gar nicht. Und der Ersatz der schwarzen durch tiefrote Sozialisten muntert bestenfalls Naive auf. Aber das Stimmvieh fühlt sich auch nicht mehr wohl in dem Stall und wäre beim Ausmisten behilflich, denn es gibt auch kein frisches Stroh mehr – aber reden muß man mit dem Stimmvieh schon und nicht nach Gutsherrenart glauben, Sparen könne man nur rigoros von oben verordnen. So manche Belegschaft in diesem Land hat ihre Firma und damit ihren Arbeitsplatz durch materiellen Verzicht gerettet – der halbe Osten arbeitet so, auch wenn Gewerkschafter solches Verhalten nicht gerne in der Öffentlichkeit breitgetreten sehen.

Wer in dieser Stadt eine Zerreißprobe vermeiden will, muß den Versuch machen, mit den gesellschaftlichen Gruppen in einen ernsthaften Dialog zu treten. Dort gibt es vielfach mehr Lösungskompetenz als bei den parteipolitischen Eliten. Und vielleicht hört ja einer auch mal hin, wenn die Bürger sagen: Reden sie mit uns. Sonst gilt: Auf sie mit Gebrüll!
Autor: Dieter Blümmel