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Held oder (H)ampelmann
05.11.2001 (GE 21/2001, Seite 1421) Es ist doch ausgesprochen lächerlich, wie der Wahlverlierer Frank Steffel jetzt von Wahlbetrug zu reden, nur weil der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, und seine kongeniale Finanzsenatorin ihre Spar- und Kürzungsliste erst vorgelegt haben, als die Tinte auf den Wahlscheinen getrocknet war. Sicher, daß viele Berliner jetzt das Gefühl haben, der freundliche Herr Wowereit habe sich über Nacht in eine Krake verwandelt, die in allen Taschen auch noch nach der letzten Schlafmünze sucht, stimmt. Aber Wahlbetrug?
Meyers Lexikon definiert Betrug allgemein wie folgt: „Verschaffung eines Vorteils durch Täuschung“.

Wer ehrlich mit sich und seinen Mitmenschen umgeht, muß einräumen: Weder liegt Täuschung vor, noch hat sich jemand einen Vorteil verschafft - wenn überhaupt, dann haben sich die lange regierenden Christdemokraten einen Vorteil verschafft, weil die Suppe, die sie den Berlinern eingebrockt haben, jetzt andere auslöffeln müssen.

Zur Täuschung: Daß Politiker jedweder Farbe vor den Wahlen anders reden als sie hinterher handeln, wissen die Bürger doch längst. Daß man ihnen vor den Wahlen das Blaue vom Himmel verspricht und nach den Wahlen die Steuern erhöht, auch. Oder daß man - das neueste „Riester-Modell“ - mal schnell per Gesetz die Mindestreserve in der Rentenkasse senkt, damit die Beiträge zur Rentenversicherung wenigstens stabil bleiben (sie - die Beiträge und nicht die Mindestreserve - zu senken, hatte man bekanntlich „versprochen“). Nach all dem könnte die wahre Täuschung doch nur darin bestehen, daß Politiker halten, was sie versprechen. Vor solcher Täuschung sind wir gefeit.

Und im übrigen muß man zum kleinen Wahlsieger Wowereit sagen, daß ihm am wenigsten Wahlbetrug zu beweisen sein wird. Er war doch der einzige Kandidat, der das Wort „Einschnitte“ öfter als einmal in den Mund genommen hat. Daß er dabei so spitzbübisch dreinguckte, daß alle glaubten, er meine das nicht so, jedenfalls nicht so ernst, ist ja nicht seine Schuld. Schließlich hätte jeder Berliner, der sich für sein Gemeinwesen interessiert und nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, auch vor der Wahl wissen müssen, daß kein deutsches Gericht das Konkursverfahren gegen die Stadt eröffnen würde. Mangels Masse.

Eine solche Stadt in den nächsten Jahren regieren zu dürfen, kann man auch nicht ernsthaft als Vorteilsverschaffung begreifen wollen - jedenfalls wenn man unterstellt, daß der künftige Senat die finanziellen Probleme der Stadt wirklich angehen will. Unterstellen darf man das nicht, wie zehn Jahre Große Koalition aus roten Sozialisten und schwarzen Sozialisten gelehrt haben, wurde da doch ein Wechsel nach dem anderen ausgestellt, ohne die Aussteller gefragt zu haben, wer die Wechsel denn mal einlösen würde.

So ist auch das, was unter dem Begriff „Giftliste“ Ende Oktober aus der Senatsverwaltung für Finanzen nach draußen drang, jedenfalls nicht als Handlungsanleitung fürs Regieren geeignet, sondern nur fürs Weiterwurschteln. Ohne auf die Details einzugehen, kann man sagen: Hier versucht man bestenfalls, den Bürgern die letzten Krümel aus der Tasche zu saugen - aber das wird nicht reichen.

Die große Last, die das Land Berlin zu schleppen hat, war und ist sein öffentlicher Dienst. Dessen Muskelmasse sitzt dort, wo verwaltet wird statt unterrichtet, wo gebremst wird statt bewegt, verhindert statt befördert. Wenn einer zu fett geworden ist, muß man ihn hungern lassen, damit er wieder beweglich wird. Die Vorstellung, daß ausgerechnet die Parteien des öffentlichen Dienstes der Bundesrepublik, die SPD, und die Nachfolgepartei der Partei des öffentlichen Dienstes der früheren DDR, die PDS, das schaffen sollen, hätte schon was Komisches gehabt.

Eine rot-rote Koalition, von einer Opposition umzingelt, die immerhin drei Viertel der Wähler argumentativ erreichen könnte, wäre dagegen eine lustvolle Vorstellung gewesen.

Daß bei einer Ampelkoalition das liberale Element ausreicht, um den öffentlichen Augias-Stall auszumisten, ist bislang nur ein Wunsch, eine Hoffnung - mehr nicht.
Rexrodt hat die Wahl: Held oder (H)Ampelmann.
Autor: Dieter Blümmel