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Des Kaisers neue Kleider
27.08.2001 (GE 16/2001, 1077) Man fühlt sich an das Märchen von Hans Christian Andersen erinnert. Da verklagt ein Rechtsanwalt die Bewag, weil die Bundestarifordnung Elektrizität ihm dazu nach seiner Auffassung eine Handhabe gibt.
Und das Landgericht Berlin ihm. Der Anwalt hatte sich die Bundestarifordnung Elektrizität angesehen und gleich in § 1 Absatz 1 Satz 1 die programmatische Bestimmung gefunden, daß Stromtarife „den Erfordernissen einer möglichst sicheren und preisgünstigen Elektrizitätsversorgung … genügen“ müssen.
Als die Bewag im Rahmen der Liberalisierung der Strommärkte den Preis für die Kilowattstunde sozusagen über Nacht um 10 Pfennig senken konnte, reagierte der Anwalt wie das Kind in Andersens Märchen und schloß messerscharf: Wenn es jetzt plötzlich soviel billiger gehe, könne die Bewag den Strom vorher nicht „möglichst preisgünstig“ angeboten haben.
Und siehe da: Das Landgericht Berlin scheint der Argumentation gefolgt zu sein. Zwar liegt die Urteilsbegründung noch nicht vor, doch spricht manches dafür, daß die Richter die Beweislast für die Frage, ob die Stromtarife „möglichst preisgünstig“ sind, umdrehen.
Nämliches hat das Landgericht Berlin bereits in Prozessen von Haus & Grund Berlin gegen die Berliner Wasserbetriebe getan. Üblicherweise ist der Kunde - ob er nun Strom abnimmt oder Wasser - gar nicht in der Lage zu überprüfen, ob derartige Preise angemessen sind oder nicht. Wenn ein Ver- oder Entsorgungsunternehmen sich bei einer nicht ohne weiteres aus sich heraus erklärbaren Preissenkung oder -erhöhung auf den Standpunkt stellt, die Preise seien staatlich geprüft und genehmigt worden, kommt es schon vor, daß Gerichte das benutzen, was in Anwaltskreisen salopp „Substantiierungsklatsche“ genannt wird. Vielfach wird diese Strafe für Bequemlichkeit nach entsprechender Mühe in der nächsten Instanz wieder aufgehoben.
Während die Berliner Zeitungen von einem „ Musterprozeß“ schreiben und davon, daß der Bewag nun eine Prozeßwelle wegen zu hoher Strompreise drohe, hält das Unternehmen die Entscheidung für eine absolute Einzelentscheidung und keinen Präzedenzfall. Das Urteil weiche „überraschend von der sonstigen Berliner und bundesweiten Rechtsprechung vom Amtsgericht bis zum Bundesgerichtshof ab und stelle erhöhte Anforderungen, welche Unterlagen zur Tarifprüfung vorzulegen seien“, erklärte die Bewag. Bisher habe es stets ausgereicht, wenn die Unternehmen ihre Genehmigungsunterlagen sowie eine Kostenträgerrechnung vorgelegt hätten.
Im Falle der Musterprozesse von Haus & Grund Berlin gegen die Berliner Wasserbetriebe haben solche Unterlagen weder dem Landgericht noch dem Kammergericht ausgereicht. Letzteres hat vielmehr selbst nach einer weiteren Substantiierung durch die Berliner Wasserbetriebe einen wissenschaftlichen Gutachter beauftragt, der zur Zeit an der Frage sitzt, ob die Berliner Wasserpreise angemessen sind oder nicht.
Für die Strompreise wird letztlich nichts anderes gelten. Daß eine öffentliche Stelle die Angemessenheit prüft, ist noch längst kein Beweis dafür, daß die Preise „möglichst günstig“ sind. Das sieht übrigens auch der Bundesgerichtshof nicht anders. Inwieweit die öffentlichen Prüfer mit ihrer Arbeit ohnehin nicht heillos überfordert sind, soll gar nicht weiter vertieft werden.
Die Bewag sieht natürlich die Gefahr, daß jetzt eine Prozeßwelle auf sie zurollt, weil Hinz und Kunz Geld zurückhaben wollen. Im Zuge unserer Amerikanisierung (unzutreffend „Globalisierung“ genannt) bekommen wir langsam auch amerikanische Verhältnisse in unserem Recht. Muster: Anwalt beschäftigt sich mit einem Problem, das möglichst viele betrifft, wendet sich an die Medien, die jeden Tag neues Futter brauchen, und fischt auf diese Weise Mandanten. Möglichst viele eben, weil es natürlich für einen Anwalt am wirtschaftlichsten ist, wenn er nur einen Schriftsatz auszuarbeiten braucht, den er ein paar hundertmal vervielfältigen kann und dabei jeweils nur das Rubrum ändern muß.
Gerade Großunternehmen müssen heutzutage tagtäglich damit rechnen, in solche Situationen zu geraten. Heute sind es die Versorger, morgen die Entsorger, übermorgen die Telekommunikationsunternehmen mit ihren Antennenwäldern. Die Amerikanisierung hat uns im Griff. Wir sollten uns daraus lösen, was im konkreten Fall der Strompreise nur heißen kann: Erst einmal ein paar Watt herunterdimmen, prüfen, wie die zweite Instanz ihre Entscheidung begründet, und möglicherweise auch noch abwarten, was die dritte Instanz dazu sagt. Neben dem Berliner Landgericht liegt eine kleine Kneipe mit dem beziehungsreichen Namen „Zur letzten Instanz“. Die sollte der Kadi sein, nicht die erste.
Als die Bewag im Rahmen der Liberalisierung der Strommärkte den Preis für die Kilowattstunde sozusagen über Nacht um 10 Pfennig senken konnte, reagierte der Anwalt wie das Kind in Andersens Märchen und schloß messerscharf: Wenn es jetzt plötzlich soviel billiger gehe, könne die Bewag den Strom vorher nicht „möglichst preisgünstig“ angeboten haben.
Und siehe da: Das Landgericht Berlin scheint der Argumentation gefolgt zu sein. Zwar liegt die Urteilsbegründung noch nicht vor, doch spricht manches dafür, daß die Richter die Beweislast für die Frage, ob die Stromtarife „möglichst preisgünstig“ sind, umdrehen.
Nämliches hat das Landgericht Berlin bereits in Prozessen von Haus & Grund Berlin gegen die Berliner Wasserbetriebe getan. Üblicherweise ist der Kunde - ob er nun Strom abnimmt oder Wasser - gar nicht in der Lage zu überprüfen, ob derartige Preise angemessen sind oder nicht. Wenn ein Ver- oder Entsorgungsunternehmen sich bei einer nicht ohne weiteres aus sich heraus erklärbaren Preissenkung oder -erhöhung auf den Standpunkt stellt, die Preise seien staatlich geprüft und genehmigt worden, kommt es schon vor, daß Gerichte das benutzen, was in Anwaltskreisen salopp „Substantiierungsklatsche“ genannt wird. Vielfach wird diese Strafe für Bequemlichkeit nach entsprechender Mühe in der nächsten Instanz wieder aufgehoben.
Während die Berliner Zeitungen von einem „ Musterprozeß“ schreiben und davon, daß der Bewag nun eine Prozeßwelle wegen zu hoher Strompreise drohe, hält das Unternehmen die Entscheidung für eine absolute Einzelentscheidung und keinen Präzedenzfall. Das Urteil weiche „überraschend von der sonstigen Berliner und bundesweiten Rechtsprechung vom Amtsgericht bis zum Bundesgerichtshof ab und stelle erhöhte Anforderungen, welche Unterlagen zur Tarifprüfung vorzulegen seien“, erklärte die Bewag. Bisher habe es stets ausgereicht, wenn die Unternehmen ihre Genehmigungsunterlagen sowie eine Kostenträgerrechnung vorgelegt hätten.
Im Falle der Musterprozesse von Haus & Grund Berlin gegen die Berliner Wasserbetriebe haben solche Unterlagen weder dem Landgericht noch dem Kammergericht ausgereicht. Letzteres hat vielmehr selbst nach einer weiteren Substantiierung durch die Berliner Wasserbetriebe einen wissenschaftlichen Gutachter beauftragt, der zur Zeit an der Frage sitzt, ob die Berliner Wasserpreise angemessen sind oder nicht.
Für die Strompreise wird letztlich nichts anderes gelten. Daß eine öffentliche Stelle die Angemessenheit prüft, ist noch längst kein Beweis dafür, daß die Preise „möglichst günstig“ sind. Das sieht übrigens auch der Bundesgerichtshof nicht anders. Inwieweit die öffentlichen Prüfer mit ihrer Arbeit ohnehin nicht heillos überfordert sind, soll gar nicht weiter vertieft werden.
Die Bewag sieht natürlich die Gefahr, daß jetzt eine Prozeßwelle auf sie zurollt, weil Hinz und Kunz Geld zurückhaben wollen. Im Zuge unserer Amerikanisierung (unzutreffend „Globalisierung“ genannt) bekommen wir langsam auch amerikanische Verhältnisse in unserem Recht. Muster: Anwalt beschäftigt sich mit einem Problem, das möglichst viele betrifft, wendet sich an die Medien, die jeden Tag neues Futter brauchen, und fischt auf diese Weise Mandanten. Möglichst viele eben, weil es natürlich für einen Anwalt am wirtschaftlichsten ist, wenn er nur einen Schriftsatz auszuarbeiten braucht, den er ein paar hundertmal vervielfältigen kann und dabei jeweils nur das Rubrum ändern muß.
Gerade Großunternehmen müssen heutzutage tagtäglich damit rechnen, in solche Situationen zu geraten. Heute sind es die Versorger, morgen die Entsorger, übermorgen die Telekommunikationsunternehmen mit ihren Antennenwäldern. Die Amerikanisierung hat uns im Griff. Wir sollten uns daraus lösen, was im konkreten Fall der Strompreise nur heißen kann: Erst einmal ein paar Watt herunterdimmen, prüfen, wie die zweite Instanz ihre Entscheidung begründet, und möglicherweise auch noch abwarten, was die dritte Instanz dazu sagt. Neben dem Berliner Landgericht liegt eine kleine Kneipe mit dem beziehungsreichen Namen „Zur letzten Instanz“. Die sollte der Kadi sein, nicht die erste.
Autor: Dieter Blümmel






