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Berliner Luft
26.07.2001 (GE 14/2001, 941) Berliner Jungens, die sind richtig, Berliner Jungs sind auf dem Kien … erinnern Sie sich noch? Das war auch so ein Lied aus bedrängter Zeit (erst die Blockade, später die Mauer), das Mut machte, das Identifikation stiftete, das zum Durchhalten zwang. Ist es anwendbar auf die drei Berliner Jungs, die nun antreten, die Macht im Lande Berlin zu erstreiten „mit keinem Sechser in der Tasche“, aber mit einem Anspruch im Kopf, der einen Stoiber erblassen lassen könnte?
Bei allem vollmundigem Getöse bleiben doch einige Tatsachen zu beachten, die nichts mit Grundsätzen, viel jedoch mit praktischen Problemen zu tun haben.

Einerseits: Daß die Änderung der Koalitionen erst jetzt und nicht schon nach der letzten Wahl stattfand, hat ja nicht nur eine Menge mit Wortbruch, mit Frust, mit Entschlußlosigkeit und mit gespielter Empörung zu tun. Es mißachtet vor allem völlig, daß die praktische Arbeit in den Bezirken seit nun zwei Jahren behindert wird und die Entscheidungsfindung zum Erliegen gekommen ist. Vor nunmehr zwei Jahren begann nämlich der letzte Wahlkampf. Kaum war dann gewählt, kaum waren - Ende 1999, Anfang 2000 - die neuen Bezirksämter konstituiert, zog viel schlimmeres Unwetter auf: die Bezirksreform. Mit Ausnahme dreier Bezirke, die unangetastet blieben, setzte allüberall ab Herbst 2000 erneute Lähmung ein, die im Jahre 2001 nur langsam wich.
Noch ehe nun der bürokratische Gaul zu traben begann, noch ehe auch endgültig für den Bürger klar war, ob der Prenzlauer Berg jetzt Pankow hieß oder Pankow zum 2. oder 3. Bezirk mutieren sollte, platzte die Koalition und mit ihr - ohne eigentliche Not - die Gesamtheit aller Bezirksregierungen. Zum dritten Mal in zwei Jahren geht nun in den fusionierten Bezirken das Gerangel um Posten und Einfluß los. Eine Stadt, die so pleite ist, daß jeder Hochstapler vor Neid erblassen müßte, leistet sich eine Ineffizienz, die den Handwerkern, den Mittelständlern, den leitenden Angestellten zu unerwünschten Adrenalinstößen verhilft. Ein jeder, der an der Produktion dieses Horror-Szenarios beteiligt war, egal aus welcher Partei also, gehe in sich. Hoffentlich findet er da etwas. Um gutes Gewissen kann es sich dabei eigentlich nicht handeln.

Andererseits: Daß die PDS demnächst direkt mitregiert oder zumindest zu den tolerierenden neuen Strippenziehern gehören dürfte, sorgt bei so manchem in dieser Stadt für Alpträume, die zu deutlicher Zunahme des Schlaftablettenverbrauchs führen dürften. Das sind die Leute mit den Grundsätzen und dem guten Erinnerungs-vermögen. Daß demgegenüber das kurze Gedächtnis der Sozialdemokraten unter professionellen Aspekten effizienter und zielorientierter sein könnte, ist offenkundig. Projekte wie der Flughafenbau - in bisheriger Größe - und die Vereinigung der Länder Berlin und Brandenburg werden mit der PDS quasi problemlos zu machen sein, von den Grünen ganz zu schweigen. Die Einsparung von 10.000 oder 15.000 Stellen des öffentlichen Dienstes wird darüber hinaus leichter, wenn man Gregor Gysi beim Wort nehmen kann.
Schließlich die Frage: Rechtfertigen diese praktischen Vorteile die Regierungsbeteiligung einer Partei mit solch degoutantem Vorleben wie dem der PDS/SED? Das ist natürlich auch eine Frage des guten oder schlechten Geschmacks, der hehren Grundsätze oder des bedenkenlosen Opportunismus‘. Jeder darf da seine eigene Sicht der Dinge haben. Als Unternehmer erwarte und verlange ich aber, daß das Taktieren und Finassieren ein Ende nimmt und endlich stabile Verhältnisse hergestellt werden, rote Socken hin, weiße Kragen her. Was da an demokratischem Kleinholz produziert wurde, ist schlimm. Schlimmer wäre es, wenn es nicht beseitigt würde. Egal, wie das Ergebnis der Wahlen lauten wird: Die demokratische Grundordnung ist nicht in Gefahr.
Autor: Dietmar Otremba