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Durchbruch? Durchmarsch?
12.07.2001 (GE 13/2001, 869) Jede Stadt, vor allem jede große Stadt, ist ein riesiger Müllproduzent. Je verdichteter der Lebensraum ist, desto höher ist das Müllaufkommen. Berlin ist damit der größte Müllproduzent in Deutschland, das Sammeln und Beseitigen von Müll ist deshalb eine erstrangige kommunalpolitische Aufgabe.
Von der richtigen Einschätzung der Bedeutung und Größe der Aufgabe ist in Berlin derzeit nichts zu spüren - und war es auch nicht in den letzten Jahren. Dabei war spätestens seit 1998 klar, daß Handlungsbedarf bestand.
Die Verordnung über die umweltverträgliche Ablagerung von Siedlungsabfällen eröffnet ab dem Jahre 2005 für die Lagerung von Abfällen im Prinzip nur noch zwei Möglichkeiten:
- Abfall muß vorher thermisch (Verbrennungsanlagen) oder
- mechanisch-biologisch vorbehandelt werden.

Nur was dann noch übrig bleibt, darf auf die Deponien wandern. Stichtag dafür ist der 1. Juni 2005. Die Abfallablagerungsverordnung gilt unmittelbar für die Betreiber von Anlagen - also etwa von Deponien -, Ausnahmen von den Vorgaben sind nicht möglich, eine Mißachtung der Regelungen stellt wohl einen Straftatbestand dar. Mit einfachen Worten: Wenn die Berliner Stadtreinigungsbetriebe nach dem 1. Juni 2005 die nicht vorbehandelten Abfälle auf ihren Deponien lagern würden, würde der Vorstand der BSR strafrechtlich belangt.

Merkwürdigerweise hat der Zeitdruck die Verantwortlichen nicht zu allzu großer Eile veranlaßt. Der Berliner Senat legt erst im Jahre 2000 den Entwurf eines Abfallwirtschaftsplans für Siedlungsabfälle vor, obwohl er schon vor einem Jahr über das Stadium eines Entwurfs hätte hinaus sein müssen.
Noch länger Zeit ließ sich der zuständige Eigenbetrieb BSR mit konkreten Vorschlägen. Zuständig deshalb, weil gesetzlich geregelt ist, daß Abfälle aus privaten Haushalten (Hausmüll) sowie sonstige Abfälle zur Beseitigung (überlassungspflichtige Abfälle) durch die BSR zu entsorgen sind.

Immerhin ist ungewiß, was nach dem 1. Juni 2005 mit rund 500.000 Tonnen Berliner Müll geschieht. Das ist die Größenordnung, für die derzeit die Verarbeitungskapazität fehlt, um die Anforderungen der Abfallablagerungsverordnung zu erfüllen.
Schneller mit Ideen zur Hand war die Privatwirtschaft. Der Abfallentsorger ALBA legte bereits im Februar ein Konzept zur Abfallbehandlung in Berlin vor, die Berliner Stadtreinigungsbetriebe erst Ende Juni. Gravierender Unterschied zwischen beiden Konzepten: Die BSR setzten in erster Linie auf Verbrennung und eine Erweiterung des Standortes Ruhleben, ALBA dagegen auf eine neue Wertschöpfungskette, die darin besteht, daß der Müll getrocknet und zum Teil zu Sekundärbrennstoffen, zum Teil zur Herstellung von Vorprodukten (sog. Pellets) etwa für die Herstellung von Methanol verwertet wird. Ein Konzept, das natürlich den Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus mehr aus der Umweltseele sprach als das BSR-Pyromanenszenarium.
Das alles hätte den Eigenbetrieb sicherlich nicht sonderlich gestört, wäre es mit der großen Koalition so weitergegangen wie bisher. Dann hätten die BSR und die beiden großen Koalitionäre nach bewährtem Muster und am Parlament vorbei (siehe 15-Jahres-Monopol-Vertrag) bei Nacht und Nebel ein Abfallbeseitigungskonzept speziell für die BSR beschlossen und basta!

Diesem Plan machten die politischen Zeitläufe einen Strich durch die Rechnung: Grün war plötzlich wieder eine Macht und hatte sich schon vor Monaten auf das Thema eingeschossen. Eine von den Grünen veranstaltete Podiumsdiskussion machte den BSR-Verantwortlichen schnell klar, daß sie gegen eine grüne Wand fahren würden.

Und da geschah ein Wunder: Über Nacht bewiesen die BSR eine Flexibilität, die sie bisher noch nie an den Tag gelegt hatten (vgl. z. B. den Schriftwechsel Seite 882): Sie warfen ihr eigenes millionenteures Gutachten in den Papiermüll und einigten sich in Nacht und Nebel mit den neuen Koalitionären auf ein völlig anderes Konzept, auf das sie zwar BSR draufschrieben, wo aber fast nur ALBA drin ist.
Und es stimmten an und ein die Jubelchöre von SPD und Grünen und sangen das Lied vom Durchbruch in der Abfallwirtschaft, der aber nur wieder ein Durchmarsch war wie gehabt, und der die Chance vertut, bei der Berliner Müllbeseitigung und -verwertung wenigstens eine kleine Öffnung für den Wettbewerb zu schlagen. Ganz abgesehen davon, daß die einzige BSR-eigene Idee, nämlich eine Vergärungsanlage zur Gasproduktion in Schöneiche zu bauen, weder durchgerechnet noch auf ihre technische Machbarkeit durchgeprüft ist. Und wer weiß, was die Brandenburger dann noch für Sand ins Getriebe kippen …

Autor: Dieter Blümmel