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Aufgeblasen
28.06.2001 (GE 12/2001, 785) Einer meiner Freunde hat eine kleine Firma in Berlin. Ihm sind in den letzten drei Monaten zwei langjährige Mitarbeiter von der Fahne gegangen und in den öffentlichen Dienst gewechselt. Tüchtige Leute, aber keine gesuchten Experten - nein, „nur“ zwei Bürokräfte.
Die eine ist nun Hausdame im ohnehin überflüssigen Senatsgästehaus, die andere wird Sekretärin bei einem Bezirksbürgermeister. Dabei befinden sich 8.500 öffentlich Bedienstete im Personalüberhang - sie werden also fürs Däumchendrehen bezahlt -, aber die Politik ist nicht in der Lage, zwei Wald- und Wiesenstellen aus dem Personalüberhang zu besetzen. Das ist eines der Berliner Probleme.

Bis 2005 muß die Abfallentsorgung dieser Stadt auf neue Füße gestellt werden, weil ab da Hausmüll nur noch nach entsprechender Vorbehandlung (biologischer oder thermischer) auf den Deponien abgelagert werden darf. Bis Mitte Juni hatte das zuständige Berliner Unternehmen (BSR) kein Konzept für diese Dringlichkeitsaufgabe vorgelegt, und der Senat hat keines beschlossen. Ein Privatunternehmen (ALBA) hat ein tragfähiges Konzept dafür bereits vor Monaten vorgestellt - mit niedrigeren Kosten für die Bürger, vernünftiger Weiterverwertung (Methanol- und Energieproduktion) und der Chance, wenigstens einen Teil des Mülls privaten Wettbewerbern zu überlassen. Was geschieht? Der SPD-Teil des Senats setzt seinen grünen Partner, der einer wettbewerblichen Öffnung aufgeschlossen gegenübersteht, so unter Zeitdruck, daß jedenfalls ein Teil der Grünen schon wieder davon flötet, man wolle „die BSR wettbewerbsfähig machen” - was vermutlich noch länger dauert als das Abschalten der Atomkraftwerke. Das ist eines der Berliner Probleme.

Da treffen sich dieser Tage auf einer Konferenz Wohnungswirtschaftler, die nicht mehr aus noch ein wissen, weil ihr gesamter Sozialwohnungsbestand keine Perspektive mehr hat, nachdem sie einst in dem Glauben gebaut haben, das Land Berlin wisse, welche Verpflichtungen es eingegangen sei und welches Vertrauen es erzeugt habe, als es Kostenmieten von über 40 Mark pro Quadratmeter bewilligte. Das ist eines der Berliner Probleme.
Daß Berlin als Folge der Einmauerung des Westteils und der kompletten Ausbildung einer gesamtstaatlichen Verwaltung im Ostteil 49 Mitarbeiter je 1.000 Einwohner im öffentlichen Dienst hat, während Hamburg mit 32 und München mit 25 auskommen, daß Berlin 13 Beamte im Ruhestand je 1.000 Einwohner durchfüttert, München nur 6,5 und Hamburg nur 9,5 - das ist eines der Berliner Probleme. Die Liste ließe sich fortsetzen - eine Mixtur aus - auch - verschuldetem und - vielfach - den Umständen geschuldetem Handeln.

Ich finde deshalb, die sollten sich - vom „Spiegel” über die „Süddeutsche” bis hin zum Bundesfinanzminister Eichel - nicht so aufblasen, als ob sie alle den Stein der Weisen erfunden hätten. Vor allem Eichel, der die Hand auf der Kasse hält. Der Mann hat mit seinem Kanzler dankbar den Konjunkturschwung mitgenommen und flugs zu seinem eigenen gemacht, zu dem sein Vorvorgänger Waigel den Grundstein gelegt hatte. Seit Waigel hat sich die Vermögensvernichtung durch Inflation verdreißigfacht.

Im übrigen ist es mit den Parteien wie mit den Menschen. Es gibt welche, die das Geld besser beieinanderhalten und welche, deren Stärken mehr im Ausgeben bestehen. Sozialdemokraten haben tendenziell eher zu den letzteren gehört. Deshalb ist auch der Versuch, die finanziellen Probleme Berlins unter sozialdemokratischer Führung lösen zu wollen, vergleichbar mit dem Kunststück, einem hungrigen Hund das Würstchenapportieren beizubringen. Das wäre auch aussichtslos mit einer CDU, die in der Tradition von Diepgen und Landowsky, beide sozialdemokratischer als der jetzige Regierende es je sein wird, weiterwurstelt.

Wie das in Berlin in den nächsten Monaten und Jahren weitergeht, ist völlig offen - auch ob der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit ein Steher oder eine Eintagsfliege ist, die vom Landesvorsitzenden Strieder nach der Wahl abgeklatscht wird. Konzepte hat Wowereit bisher keine vorgelegt, die Koalitionsvereinbarung mit den Grünen ist offenbar auf einem Bierdeckel entstanden. Immerhin hat der neue Regierende eine taktisch ausgefuchste, erfahrene Altherrenriege aufs Kreuz gelegt und es geschafft, durch zwei Tabubrüche über Nacht bekannt zu werden - mit einem Doppelpaß sozusagen die Abwehr ausgehebelt und der CDU-Hoffnung Steffel auch noch einen Beinschuß verpaßt. Die gegenwartsorientierte Spaßgesellschaft von heute mag das. Solche Qualitäten reichen nicht zur Lösung der Berlin-Krise. Aber schließlich war Wowereit bisher vor allem für Überraschungen gut.
Autor: Dieter Blümmel