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Im Sumpf
08.06.2001 (GE 11/2001, 713) 110 Millionen DM hat die renommierte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG kürzlich als Schadensersatz zahlen müssen, weil sie eine Bilanz in Höhe von 3 Milliarden DM als ordnungsgemäß attestiert hatte, die in Wahrheit nur auf Scheingeschäften beruhte. Man habe sich nichts vorzuwerfen, hieß es, zahle aber trotzdem freiwillig, damit der gute Ruf nicht in einem jahrelangen Prozeß Schaden nähme.
Was lehrt uns das für Berlin, wo in einer wichtigen Konzernbilanz seit kurzem fast 6 Milliarden DM in Schall und Rauch aufgegangen sind? Ich fürchte, wenig. Zwar wird auch hier nach dem Motto „Haltet den Dieb” inzwischen lautstark gefordert, die verantwortlichen Wirtschaftsprüfer und Manager finanziell zur Verantwortung zu ziehen. Aber wie stellt man das an? Gegen KPMG war professionell ermittelt worden, und der Gläubiger war fest entschlossen, notfalls diesen Prozeß bis zur letzten Instanz zu führen. Da war keine Scheindrohung ausgesprochen, sondern mit viel Aufwand und Gründlichkeit und ohne Rücksicht auf unbequeme Wahrheiten ein ernsthaftes Verfahren vorbereitet worden. 110 Millionen DM bekommt man nicht geschenkt.

Wer sollte in Berlin mit dieser Entschlossenheit die erforderlichen Aufträge erteilen, und wer entscheidet über ihre Bezahlung? Vielleicht der - zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser Zeilen noch amtierende - Chef des Konzerns, der sich über den hartnäckigen und sachverständigen Widerstand einer ganzen Abteilung gegen die Aubis-Kreditvergabe zusammen mit dem Vorstandsvorsitzenden einer Tochtergesellschaft einfach hinwegsetzte? Oder einer der Rechtsanwälte, die Leitungsfunktionen im Konzern wahrnehmen und gleichzeitig Sozien derjenigen Anwaltsbüros sind, die seit Jahren den Konzern und seine Töchter als „unabhängige Organe der Rechtspflege” beraten? Das Ergebnis der da mit Augenzwinkern in Auftrag gegebenen - und trotzdem sicherlich teuren - Expertisen können wir uns schon jetzt vorstellen: „Rechtslage unklar, Sachverhalt schwierig aufzuklären, Gegenseite hat gute Argumente, Risiko eines Prozesses ist hoch: abzuraten.” Das mag im Einzelfall sogar richtig sein. Nur werden wir nie erfahren, in welchen Fällen es falsch ist, weil die Wahrheit nur erfährt, wer sich um sie bemüht, und zwar redlich. Da reicht es nicht aus, sich vorzunehmen, nur Rechtsanwälte mit der Prüfung zu beauftragen, die bisher nicht in Berlin tätig waren, was - nebenbei - den Durchblick nicht unbedingt erleichtert. Entscheidend ist vielmehr der Prüfungsauftrag. Und den muß jemand formulieren, der weiß, um was es geht und gleichzeitig wirklich wissen will, worum es ging, als die Milliarden ausgegeben wurden, die nun fehlen.

Gibt es im Konzern der Bankgesellschaft oder im Kreis der seine Gesellschafter vertretenden Persönlichkeiten jemanden, der jenseits kurzfristiger Effekthascherei wirklich Interesse hat, solcherart Fragen zu formulieren und die individuellen (Un-) Verantwortlichkeiten aufzuklären? Nein, Krisenbewältigung geht vor. Und wenn die Krise „bewältigt” ist, wird wieder in die Zukunft geblickt und nicht in die Vergangenheit.

Ein kleiner Tip: Wie wäre es mit der Gegenwart? Der Bankkonzern ist ja nicht der einzige Landesbesitz, dessen Rendite weit hinter den Zinsen jener Kredite zurückbleibt, von denen das Land zur Zeit lebt. Wer geht also wann (und wie redlich) hinsichtlich des übrigen Landesbesitzes der Frage nach, welche Personen und Strukturen im Bereich der Leitung und Kontrolle dieses Landesbesitzes für diesen Zustand verantwortlich sind? Antwort: Niemand, solange nicht auch dort die Gewährträgerhaftung ausgerufen werden muß oder demnächst der Insolvenzverwalter die Macht in irgendeiner landeseigenen Gesellschaft übernimmt.

Und dann gibt es noch den § 7 Abs. 2 der Landeshaushaltsordnung in der Fassung des Verwaltungsreformgesetzes vom 17. Mai 1999, wonach die Verwaltung insgesamt verpflichtet ist, „in geeigneten Fällen privaten Anbietern die Möglichkeit zu geben, darzulegen, ob und inwieweit sie staatliche Aufgaben oder öffentlichen Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeiten ebenso gut oder besser erbringen können”. Alle uns bekannten Interessenbekundungen in dieser Art - ob im Bereich der Rechtsberatung oder des facility management oder sonstwo - sind bisher in den Papierkorb gewandert. Das Personal ist da und muß sowieso beschäftigt werden, auch wenn es teurer ist.
Münchhausen hatte - so sagt man - die Fähigkeit, sich am eigenen Schopf aus dem Wasser zu ziehen. Wir Berliner bezweifeln, daß daß dies möglich ist, und bleiben deshalb lieber weiter im Sumpf sitzen.
Autor: RA Dr. Klaus-Martin Groth