Ein „Herr“ wurde 80

22.05.2001 (GE 10/2001, 644) Zu seiner Zeit war ein Wort noch ein Wort und die Immobilienwelt, vor allem die Berliner Immobilienwelt, noch in Ordnung.

Ein Bleistift zum Rechnen war gewünscht, besonders spitz mußte er allerdings nicht sein, als Dr. Erich Marx Mitte der 60er Jahre nach Berlin ging, wo er eine Bauträgergesellschaft gründete und sich auf den Bau und Betrieb von Kliniken und Rehabilitationszentren sowie Hotels spezialisierte. Der promovierte Jurist Marx wurde das, was man einen erfolgreichen Baulöwen nannte. Freilich einer, der doch ein gut Stück anders war als seine Kollegen. Während die ihren neugewonnenen Reichtum in Ferrari-Sammlungen oder ähnliche Nichtigkeiten investierten, wandte der Arbeitersohn Marx sich der Kunst zu. Was er alles sammelte, ist im Hamburger Bahnhof zu besichtigen, als Dauerleihgabe: eine recht umfassende Sammlung der Kunst des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts. Beuys, Warhol, Lichtenstein und und und. Rund 70 % der im Hamburger Bahnhof zu sehenden Kunst stammen aus der Sammlung Marx. Einfach war das nicht, bis der ehemalige Baulöwe und jetzige Kunstmäzen Erich Marx und der Berliner Senat zusammenkamen, aber letztlich zählt das Ergebnis: Die Marxsche Sammlung ist ein Teil der Kulturstadt Berlin. Ihr Begründer wurde Ende April 80 Jahre alt. Aber „Baulöwe” und „Kunstmäzen” beschreiben den Dr. Erich Marx nur unvollständig. Er war auch immer ein „Homo politicus”. Als Anfang der 80er Jahre ein gewisser Dr. Richard von Weizsäcker Regierender Bürgermeister von Berlin wurde und zunächst mit einem Minderheitensenat regieren mußte, weil eine linkslastige FDP keine Koalition eingehen wollte, war es Dr. Erich Marx mit zwei, drei anderen engagierten Berliner Bürgern, die einige hundert neue Mitglieder für die FDP warben und so die Voraussetzungen für eine recht stabile Koalition zwischen CDU und FDP in Berlin in den 80er Jahren schufen. So viele gibt es nicht mehr, aber Erich Marx hat die Bezeichnung verdient: Ein „Herr” wurde 80.