Grundeigentum-Verlag GmbH
grundeigentum-verlag
Verlag für private und unternehmerische Immobilien
Anzeige

Archiv / Suche


Mehr als 130.000 Wohnungen stehen leer
Ermächtigungsgrundlage – was ist das? Strieder hält an Zweckentfremdungsrecht fest
08.02.2001 (GE 3/2001, 164) Der Berliner Senat nimmt an, daß die Bevölkerung der Stadt in den nächsten Jahren weiter zurückgeht und rechnet deshalb in den nächsten zehn Jahren mit einem Dauerleerstand von 100.000 Wohnungen (derzeit sind es nach Strieders Berechnungen 132.000).
Der Senator für Stadtentwicklung, Peter Strieder, gab Mitte Januar auf seiner Jahresanfangs-Pressekonferenz einen Überblick über Themen und Schwerpunkte der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Jahr 2001. Wichtigste Botschaft für die Wohnstadt Berlin: Die notwendige Fluktuationsrate an Wohnungen beträgt 50.000, der Leerstand ist mehr als doppelt so hoch. Damit räumt der zuständige Senator zwar nur mittelbar, aber dennoch außergewöhnlich deutlich ein, daß es keinerlei Rechtsgrundlagen mehr für die Anwendung etwa der Zweckentfremdungsverbot-Verordnung, der Wohnungsbedarfsgebiets-Verordnung und des Wirtschaftsstrafgesetzes gibt.

„Keine Wohnungsknappheit“
Erstmals, so Senator Peter Strieder, „haben wir in Berlin keine Wohnungsknappheit oder gar Wohnungsnot, sondern deutlich mehr Wohnungen, als vom Markt nachgefragt werden. Der Wohnungsleerstand in der Stadt liegt z. Zt. bei über 100.000 Wohnungen, also bei über 5 % des Wohnungsbestandes (rd. 1,85 Mio. Wohnungen). Das sind deutlich mehr als die rd. 50.000 Wohnungen Fluktuationsreserve, die ein funktionierender Wohnungsmarkt für Umzüge und Modernisierungsmaßnahmen im Wohnungsbestand benötigt.“ Eine Leerstandsberechnung durch die Stadtentwicklungsverwaltung ergab 132.000 leerstehende Wohnungen derzeit.
Langfristige Prognosen seien im Wohnungssektor immer sehr schwierig. Dennoch könne man davon ausgehen, daß der derzeitige Wohnungsleerstand keine kurzfristige Erscheinung sei, die schon bald vom Markt absorbiert wird. Vielmehr spreche alles dafür, daß „wir uns im gesamten Jahrzehnt auf eine Leerstandsquote von um die 100.000 Wohnungen einstellen müssen”, erklärte Strieder.
Nach den von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung erstellten Bevölke-rungsprognosen sei mit einem deutlichen Rückgang der Leerstandsquote nur dann zu rechnen, wenn es zu einer verstärkten Zuwanderung komme. Angesichts des Sterbeüberschusses brauche Berlin in den nächsten zehn Jahren eine Zuwanderung aus dem Ausland von ca. 200.000 Menschen.
Während in den anderen neuen Bundesländern alles darauf hindeute, daß der mit dem Verlust an Industriearbeitsplätzen verbundene Wohnungsleerstand auf Dauer für die Kommunen nicht verkraftbar sei, werde es in Berlin einen großflächigen Abriß, wie er vereinzelt vorgeschlagen werde, nicht geben. Hierfür bestehe aus wohnungswirtschaftlichen Gründen keinerlei Veranlassung. Da es aber bei der entspannten Gesamtsituation am Wohnungsmarkt nicht mehr nötig sei, „um den Erhalt jeder einzelnen Wohnung zu kämpfen“, erhöhten sich die Chancen zur städtebaulichen Aufwertung.
Die Kosten des Wohnungsleerstands der 15 städtischen Wohnungsbaugesellschaften, so Strieder, betrugen im Jahr 1999 166,6 Mio. DM. Das waren 6,77 % der Sollmieten in Höhe von 2,46 Milliarden DM. Die Stadt müsse aufpassen, daß ihre Gesellschaften mit dauerhaftem, hohem Leerstand nicht in wirtschaftliche Probleme geraten.

Leerstände dürften nicht ganze Stadtteile infizieren, deshalb brauche man weiterhin Investitionen, vor allem in die Sanierung. Nachdem die quantitativen Engpässe der 90er Jahre abgebaut werden konnten, könne Berlin sich in der jetzigen Dekade qualitativen Aspekten zuwenden. Es werde daran festgehalten, Wohnungsbauangebote in der Innenstadt und in den von Wasserlagen geprägten Räumen des Westens und Südostens bereitzustellen. Strieder rechnet mit dem Bau von etwa 50.000 im wesentlichen freifinanzierten Wohnungen bis 2010. Damit wird das Wohnungsbauziel von 150.000 WE aus dem Stadtentwicklungsplan Wohnen deutlich nach unten korrigiert.

Mietereigentum
Die Förderung der Eigentumsbildung durch das Land Berlin habe eine grundsätzlich neue Ausrichtung erfahren. Im Vordergrund stehe vor allem der Erwerb von Wohnungen im Bestand, neue innerstädtische Wohnformen im Geschoßwohnungsbau und das Genossenschaftswesen. Für die Unterstützung zur Gründung von Genossenschaften, den Erwerb von Wohnungen durch Mieter und den Bau von Eigenheimen wird in diesem Jahr insgesamt ein Programmvolumen von 143,1 Millionen DM (mind. 2.000 WE) bereitgestellt.

Bau: Mehr Beschäftigung
Kritik an Firmen
Die bauausführende Wirtschaft Berlins und der damit zusammenhängende Arbeitsmarkt seien im abgelaufenen Baujahr 2000 die Sorgenkinder des Berliner Senats gewesen, sagte Strieder (und die Betroffenen behaupten, von dieser Sorge nicht viel gespürt zu haben). Besonders bedrückend sei die schlechte Verfassung des Arbeitsmarktes für Bauarbeiter gewesen. Im Durchschnitt des Baujahres 2000 waren 27.611 Bauleute ohne Beschäftigung, das waren 1.400 Arbeitnehmer mehr als im Jahresmittel 1999.
Das gesamte Bauvolumen für das Jahr 2000 werde nach vorläufigen Schätzungen rd. 24 Mrd. DM betragen haben. Es böte, so Strieder, im Prinzip ausreichend Beschäftigung für die verfügbaren Berliner Arbeitnehmer des Baugewerbes, die einheimischen Kapazitäten könnten gut ausgelastet sein. Aber der Anteil der Berliner Produktion am gesamten Bauvolumen werde kleiner und der Anteil der importierten Bau- und Dienstleistungen größer, weil die Berliner Firmen allzu häufig öffentliche Aufträge an Subunternehmen außerhalb Berlins weiterreichten. Viele Firmen beschäftigten selbst gar nicht mehr genug Arbeitnehmer, um die Aufträge abzuarbeiten und beabsichtigten von vornherein, die Aufträge an Unternehmen außerhalb Berlins weiterzugeben. Diese Praktiken sollen stärker als bisher begrenzt werden. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung arbeite gegenwärtig an einer Regelung zur verbindlichen Verpflichtung der Auftragnehmer, die Zahl ihrer eigenen Arbeitskräfte zu benennen. Für den Fall der Auftragserteilung habe das Unternehmen diese Arbeitskräfte auch für den Auftrag einzusetzen bzw. im Falle der Kapazitätsauslastung zusätzlich Bauarbeiter einzustellen.

Abfallwirtschaft
Zum Striederschen Imperium gehört auch die Abfallwirtschaft.
In Berlin hat sich die zur Beseitigung anfallende Menge an Siedlungsabfällen von 1992 mit 2.352.000 Mg auf 1999 mit 1.270.000 Mg verringert. Dies bedeutet eine Reduzierung um rd. 46 % innerhalb von sieben Jahren. Die Verwertungsquote ist im gleichen Zeitraum von rd. 10 % 1992 auf rd. 33 % 1999 gestiegen und hat sich damit verdreifacht. Diese Entwicklung ist vornehmlich auf die verstärkten Anstrengungen zur Vermeidung und Verwertung zurückzuführen. Mit Hilfe weiterer Maßnahmen soll die Verwertungsquote auf 48 % bis zum Jahr 2010 steigen. Gleichzeitig erwartet der Senat in den nächsten zehn Jahren eine weitere Verringerung des Abfallaufkommens auf ca. 980.000 Mg pro Jahr. Dies sieht der Entwurf des neuen Abfallwirtschaftsplans für Berlin - Teilplan Siedlungsabfall - vor.
Anders als andere Bundesländer bzw. Kommunen, die auf der Grundlage der TA Siedlungsabfall ihre Verbrennungskapazitäten zügig ausgebaut haben, hat Berlin auf die Realisierung der bisher geplanten Anlagen auf den Standorten Gradestraße (Bezirk Neukölln), Klingenberg (Bezirk Lichtenberg) und Lindenhof (Bezirk Pankow) verzichtet. In diesem Jahr muß aber entschieden werden, ob zusätzliche Verbrennungsanlagen gebaut werden müßten. Da gegenwärtig freie Kapazitäten auf dem Markt angeboten würden, müsse, so Strieder, im Hinblick auf die Mietnebenkosten geprüft werden, ob dieser Weg preiswerter sei.

Zweckentfremdung:
Rechtswidrige Abzocke
Obwohl nach des zuständigen Senators eigenen Angaben die Leerstandsquote doppelt so hoch ist wie die erforderliche Fluktuationsreserve und nach Artikel 6 Mietrechtsverbesserungsgesetz Landesregierungen Zweckentfremdungsverbote nur dort erlassen und aufrechterhalten dürfen, wo „die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist“, will die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung nach Strieders Angaben das Zweckentfremdungsrecht nicht abschaffen (wie Brandenburg), sondern nur „flexibilisieren“. Die Genehmigungsnotwendigkeit für Büronutzung werde reduziert, das Genehmigungsverfahren dort, wo es weiter Anwendung fände, erleichtert. Gewerbetreibenden solle es ermöglicht werden, z. B. Wohnraum zur Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen Dienstleistungen oder mit Einrichtungen für soziale, gesundheitliche, erzieherische oder therapeutische Zwecke zukünftig nutzen zu können. Ziel dieser Verordnungsänderung, so der Senator wörtlich, sei „die Schaffung von Arbeitsplätzen, Wohnumweltverbesserungen und die Vermeidung von sozialen Mißständen“.
Der Senator ist selbst Jurist genug, um zu wissen, daß die gesetzliche Ermächtigung diese Zwecke nicht deckt.
Übrigens wird - und das hat der Senator nicht gesagt - mit dem Genehmigungszwang für Leerstand auch noch ein fiskalischer Zweck verfolgt, denn die Einnahmen aus den Genehmigungsbescheiden sind beträchtlich. So berichtet beispielsweise die Wohnungsbaugesellschaft Hohenschönhausen, daß sie allein für Leerstandsbescheide im Jahre 1999 rund 600.000, im Jahr 2000 gar 1 Million DM aufwenden mußte.