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Tiefenbegrenzungen im Kommunalabgaben- und Erschließungsbeitragsrecht
22.01.2001 (GE 2/2001, 98) Ob und in welchem Umfang dürfen Grundstücke in die Kosten- bzw. Aufwandsverteilung einbezogen werden?
1. Einführung
Insbesondere im Beitragsrecht stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang Grundstücke in die Kosten- bzw. Aufwandsverteilung einbezogen werden dürfen. Sind Grundstücke besonders tief oder wird ihre bauliche Nutzung durch Vorschriften eingeschränkt, wird immer wieder gefordert, daß in die Berechnung der Beitragsschuld nur Teile der Grundstücksfläche bzw. die Grundstücksfläche nur bis zu einer bestimmten Tiefe einbezogen wird. Der folgende Überblick zeigt, inwieweit die gesetzlichen Regelungen - ergänzt durch die Rechtsprechung - Tiefenbegrenzungen zulassen.

2. Erschließungsbeitragsrecht
Im Erschließungsbeitragsrecht gelten Grundstücke als erschlossen i. S. d. § 131 Abs. 1 BauGB, wenn sie bebaut oder in vergleichbarer Art und Weise genutzt werden können. Nur in diesen Fällen unterliegen sie nach § 133 BauGB der Beitragspflicht. Grundsätzlich wird die gesamte Grundstücksfläche durch eine Erschließungsmaßnahme erschlossen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Ausnutzbarkeit des Grundstücks jedoch eingeschränkt sein und eine Tiefenbegrenzung erfordern. Bei der Beurteilung, ob und inwieweit eine solche Tiefenbegrenzung möglich oder notwendig ist, ist zwischen beplanten und unbeplanten Gebieten zu unterscheiden.

2.1 Beplante Gebiete
In beplanten Gebieten giIt grundsätzlich die gesamte vom Bebauungsplan erfaßte Grundstücksfläche als erschlossen. Dabei spielt es keine Rolle, in welchem Umfang die Grundstücksfläche baulich genutzt wird. Auch Bestimmungen des Bebauungsplans, nach denen bestimmte (erhebliche) Teile der Grundstücksfläche von der Bebauung freizuhalten sind, sind unerheblich1). Die Grundstücke bleiben in vollem Umfang erschlossen, da durch die Festsetzung von Bebauungstiefen, Baulinien oder Baugrenzen2) nicht der Umfang der Nutzung, sondern der Standort der Bebauung beeinflußt werden soll3). Aus diesem Grund sind Tiefenbegrenzungen nicht zulässig. Sieht die Satzung trotzdem eine Tiefenbegrenzung vor, ist diese Tiefenbegrenzungsregelung unwirksam, da sie gegen § 131 Abs. 1 BauGB verstößt. Davon ist jedoch nicht die Verteilungsregelung betroffen4).

2.2 Unbeplanter Innenbereich
Liegen Grundstücke mit ihrer gesamten Fläche im unbeplanten Innenbereich, ist grundsätzlich für jedes Grundstück zu entscheiden, inwieweit es durch die Erschließungsmaßnahmen erschlossen wird. Dafür ist zunächst zu prüfen, in welchem Umfang das Grundstück in erschließungsrechtlich relevanter Weise genutzt werden kann. Daraus ergibt sich der zu erwartende Umfang, in dem die Anlage von dem erschlossenen Grundstück in Anspruch genommen werden dürfte5). Das Ergebnis dieser Prüfung bestimmt den Umfang des Erschlossenseins des Grundstücks und damit den Umfang des Erschließungsvorteils. Da im Mittelpunkt der Betrachtung die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Erschließungsanlage von dem erschlossenen Grundstück aus steht, spielt es für die Erschließungswirkung einer solchen Anlage keine Rolle, in welchem Umfang ein Grundstück bebaut werden kann6). Folglich kann grundsätzlich die gesamte Fläche des Grundstücks in die Aufwandsverteilung einbezogen werden. Davon wird auch der Teil des Grundstücks erfaßt, der z. B. als private Grünfläche im Bebauungsplan festgesetzt und damit der Bebauung entzogen ist. Aus dieser Argumentation heraus läßt sich eine Tiefenbegrenzung für Grundstücke, die vollständig im unbeplanten Innenbereich liegen, grundsätzlich nicht begründen7).

2.3 Unbeplante Randgebiete
Eine Tiefenbegrenzung dürfte nur in den Fällen zu rechtfertigen sein, in denen Grundstücke mit einer Teilfläche im unbeplanten Innenbereich und mit der anderen Teilfläche im Außenbereich liegen. Diese im Außenbereich liegenden Grundstücksbereiche sind nicht mehr von der Anlage erschlossen. Sie können folglich nicht in die Beitragsverteilung einbezogen werden, da der typische Erschließungsvorteil fehlt. Folglich wäre in jedem Einzelfall darüber zu entscheiden, wo die Grenze zwischen Innen- und Außenbereich verläuft, bis zu welcher Tiefe die Grundstücke folglich als erschlossen zu betrachten sind. Da die Grenzen des unbeplanten Innenbereichs jedoch kaum eindeutig bestimmt werden können, kann durch die satzungsmäßige Anordnung der Tiefenbegrenzung in diesen Fällen eine Rechtssicherheit geschaffen werden8), die zudem praktikabel ist. Wird eine solche Tiefenbegrenzungsregelung nicht in die Satzung aufgenommen, müßte in jedem Einzelfall entschieden werden, in welchem Umfang ein Grundstück erschlossen ist.
Mit der Vorgabe einer Tiefenbegrenzung wird allerdings nur eine Vermutung begründet, daß Grundstücke, die über die satzungsmäßig vorgegebene Tiefenbegrenzung hinausgehen, nur bis zu dieser Grenze erschlossen sind. Wird der über diese Grenze hinausreichende Teil tatsächlich baulich oder in einer anderen Weise, die aus erschließungsbeitragsrechtlicher Sicht relevant ist, genutzt, wird die Vermutung widerlegt. Damit wäre die Grundstücksfläche, die durch die Anlage aufgrund der tatsächlichen Nutzung erschlossen wird, in die Beitragsverteilung einzubeziehen9).

2.4 Charakter und Umfang
der Tiefenbegrenzung
Das Instrument der Tiefenbegrenzung dient lediglich der Abgrenzung der erschlossenen und damit in die Verteilung einzubeziehenden Fläche von den Außenbereichsflächen, d. h. den Flächen, die nicht von der Erschließungswirkung der zur Diskussion stehenden Anlage erfaßt sind. Sie beschränkt die Grundstücksfläche, auf die die Kosten der beitragsfähigen Maßnahmen verteilt werden sollen. Keinesfalls ist sie jedoch ein Bestandteil des Verteilungsmaßstabes10).
Der Umfang der Tiefenbegrenzung wird durch den Ortsgesetzgeber bestimmt. Die Festlegung steht in seinem Ermessen, hat sich jedoch nach der ortsüblichen Tiefe der baulichen Nutzung in den unbeplanten Randgebieten zu richten11). In diesem Rahmen werden Tiefenbegrenzungen von 35, 40 oder auch 50 m anerkannt12).

3. Beiträge nach KAG
3.1 Straßenbaubeiträge
Wie im Erschließungsbeitragsrecht ist auch im Straßenbaubeitragsrecht kein Raum für eine Tiefenbegrenzung im qualifiziert beplanten sowie im unbeplanten Innenbereich. Aufgrund ihrer Lage im Innenbereich haben die Grundstücke grundsätzlich im vollen Umfang Baulandqualität, so daß im allgemeinen keine Rechtfertigung für eine Tiefenbegrenzung vorhanden sein dürfte13).
Anders als im Erschließungsbeitragsrecht bezieht das Straßenbaubeitragsrecht neben der Nutzung des Innenbereichs durch bauliche oder gewerbliche Nutzung auch die des Außenbereichs in den Vorteilsausgleich ein. Daher kann auch durch den Übergang von Grundstücken vom Innenbereich in den Außenbereich die Grundfläche im Außenbereich nicht von der Erschließungswirkung freigesprochen, sondern muß grundsätzlich in den Vorteilsausgleich einbezogen werden14).
Die im Außenbereich liegende Grundfläche würde nur in solchen Fällen nicht von der Erschließungsanlage erschlossen und wäre vom Vorteilsausgleich zu befreien, wenn mit ihr keine nennenswerte zusätzliche Inanspruchnahme der beitragsfähigen Anlage verbunden wäre, die einen beitragsrechtlich relevanten Vorteil begründet. Die im Außenbereich liegenden Grundflächen dürften folglich keine Inanspruchnahme auslösen, die das Nutzungsmaß (wesentlich) überschreitet, das von der im Innenbereich liegenden Teilfläche ausgeht. Diese Voraussetzung könnten z. B. Zier- oder Obstgärten erfüllen15). In diesen Fällen wird eine Tiefenbegrenzung als Möglichkeit betrachtet, Abgrenzungsschwierigkeiten zu umgehen, da feste Ausgangswerte für die Ermittlung der in die Beitragsverteilung einzubeziehenden Flächen vorhanden sind. Liegt aber in Einzelfällen tatsächlich eine bauliche oder gewerbliche Nutzung vor, sind die Grundstücke mit der vollständigen Fläche in die Verteilung einzubeziehen16).
Eine solche Argumentation wäre auch ausgeschlossen, wenn die Größe der im Außenbereich liegenden Fläche oder Art und Umfang der Nutzung eine erhebliche Inanspruchnahme der beitragsfähigen Anlage erwarten lassen. Ebenfalls ist eine Tiefenbegrenzung nicht möglich, wenn Grundstücke in den Außenbereich reichen, jedoch einheitlich genutzt werden, z. B. als landwirtschaftliche Fläche oder als Sportplätze17). Friedhöfe oder Kleingartengelände sind davon im allgemeinen ausgenommen, um sie nicht überproportional zu belasten18).
Denkbar ist auch die Kombination einer Tiefenbegrenzung mit unterschiedlichen Nutzungsfaktoren für die Fläche im Innenbereich und die über die Tiefenbegrenzung hinausgehende Fläche19). Auf diese Weise kann berücksichtigt werden, daß beide Teilflächen die beitragsfähige Anlage in unterschiedlichem Maße in Anspruch nehmen und folglich in unterschiedlichem Maße in den Vorteilsausgleich einzubeziehen sind.

3.2 Abwasserbeiträge
Auch im Anschlußbeitragsrecht resultiert der wirtschaftliche Vorteil und damit die Beitragspflicht aus der Möglichkeit der lnanspruchnahme der Anlage. Folglich dürfte im Innenbereich grundsätzlich kein Raum für eine Tiefenbegrenzung bestehen, da aufgrund der Lage im Innenbereich die gesamte (überwiegend baulich bzw. gewerblich genutzte) Grundstücksfläche durch die Anlage erschlossen sein dürfte. Überschreiten die Grundstücke jedoch die Grenze zwischen dem unbeplanten Innenbereich und dem Außenbereich, kann auch im Anschlußbeitragsrecht von der Vermutung ausgegangen werden, daß die Grundstücke lediglich zum Teil erschlossen werden. Die im Außenbereich gelegene Grundstücksfläche verfügt lediglich über einen geringeren oder keinen beitragsrelevanten Vorteil. Folglich wäre in diesen Fällen eine Tiefenbegrenzungsregelung in die Satzung einzufügen21).

4. Gebührenrecht
Das Gebührenrecht erkennt eine Tiefenbegrenzungsregelung im Zusammenhang mit den Straßenreinigungsgebühren an. An den Kosten der Straßenreinigung werden die durch die zu reinigende Anlage erschlossenen Grundstücke beteiligt. Dazu werden Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe herangezogen. Üblicherweise dient der Frontmetermaßstab, d. h. die Grundstücksseite entlang der Straße, als Verteilungsschlüssel. Möglich sind jedoch auch andere Maßstäbe, wie z. B. die Quadratwurzel der Grundstücksfläche. Wird die Grundstücksfläche als Verteilungsmaßstab herangezogen, kann eine Tiefenbegrenzung angeordnet werden, um die Probleme, die durch die Anwendung eines Grundflächenmaßstabes bei besonders großen Grundstücken auftreten, zu vermeiden21).

5. Schlußfolgerung
Wie die vorhergehenden Ausführungen zeigen, sind Tiefenbegrenzungen nur in eingeschränktem Maße zulässig. Damit ist es kaum möglich, eine Reduktion der Beitragsschuld unter dem Hinweis auf besonders große Grundstücke und der daraus folgenden Notwendigkeit einer Tiefenbegrenzung zu erreichen. Eine Reduktion der Beitragsschuld kann lediglich erreicht werden, indem die Maßnahme von Anfang an möglichst wirtschaftlich und sparsam geplant und durchgeführt wird. Zudem ist zu prüfen, ob die Maßnahme überhaupt bzw. hinsichtlich Umfang und Art der Ausführung notwendig ist. Als letzter Ausweg, Beitragsreduktionen zu erreichen, bleibt der Weg, Billigkeitsmaßnahmen zu beantragen.

Fußnoten:
1) Dies gilt sowohl für Baubeschränkungen aufgrund von Abstandsgeboten und Baugrenzen als auch aufgrund der Festsetzung eines Teils des Grundstücks als private Grünfläche. Vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 29. November 1994, 8 B 171.94, DÖV 1995, S. 468.
2) Vgl. dazu die Vorgaben der Baunutzungsverordnung (z. B. § 23 BauNVO).
3) Vgl. BVerwG, Urt. v. 25. Januar 1985, 8 C 106.83, NVwZ 1985, S. 753.
4) Vgl. BVerwG, Urt. v. 19. Februar 1982, 8 C 27.81, DVBI. 1982, S. 552; vgl. dazu auch 2.4. Charakter und Umfang der Tiefenbegrenzung.
5) Vgl. BVerwG Urt. v.19. März 1982, 8 C 35.37 und 38.81, KStZ 1982, S. 190.
6) Vgl. BVerwG, Urt. v. 29. November 1994, 8 B 171.94, DÖV 1995, S. 468.
7) Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsprechung zu diesem Sachverhalt geändert. Bevor die Zuständigkeit für das Erschließungsbeitragsrecht auf den 8. Senat überging, hat der 4. Senat bis Anfang der achtziger Jahre die Erschließungswirkung aus eher baurechtlicher Sicht beurteilt. Danach stand im Vordergrund, welche Auswirkungen eine Erschließung auf die bauliche Nutzung des Grundstücks hat. Folglich konnten Tiefenbegrenzungen angeordnet werden, da eine bauliche Nutzung eines Grundstücks über eine Tiefe von z. B. 50 m hinaus i. d. R. nur unter besonderen Umständen zweckmäßig und möglich wäre. Vgl. BVerwG, Urt. v. 3. Juni 1971, 4 C 28.70, KStZ 1971, S. 244.
8) Vgl. OVG Münster, Urt. v. 27. Juni 1996, 3 B 2735/95, NVwZ-RR 1997, S. 66.
9) Vgl. BVerwG, Urt. v. 19. Februar 1982, 8 C 27.81, DVBl. 1982, S. 552.
10) Vgl. BVerwG, Urt. v. 19. Februar 1982, 8 C 27.81, DVBl. 1982, S. 552; BVerwG, Urt. v. 10. Juni 1981, 8 C 20.81, NVwZ 1982, S. 246
11) Vgl. OVG Münster, 27. Juni 1996, 3 B 2735/95, NVwZ-RR 1997, S. 66; BVerwG, Urt. v. 3. Juni 1971, 4 C 28.70, KStZ 1971, S. 244.
12) Vgl. BVerwG, Urt. v. 30. Juli 1976, 4 C 65 u. 66.74, KStZ 1977, S. 72.
13) Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 21. Januar 1997, 9 L 6290/95, NdsVBI. 1997, S. 180.
14) Vgl. OVG Münster, Urt. v. 15. März 1989, 2 A 962/86, NVwZ-RR 1989, S. 578.
15) Vgl. z. B. OVG Lüneburg, Beschl. v. 8. März 1996, 9 M 7369/95, NdsVBI 1996, S. 258.
16) Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 24. August 1989, 9 M 48/89.
17) Vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 19. September 1989 9 M 65/89; OVG Münster, Urt. v. 22. November 1990, 2 A357/87, OVG Lüneburg, Urt. v. 28. Februar 1974, 1 A 111/72, OVGE 30, S. 387; OVG Münster, Urt. v. 22. März 1990, 2 A 2683/87.
18) Vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 27. Februar 1980, 9 A 40/79; OVG Lüneburg; Beschl. v. 6. Januar 1981, 9 B 31/80; a. A. VGH Kassel, Urt. v. 30. Januar 1991, 5 UE 2831/88 NVwZ-RR 1992, S. 100.
19) OVG Lüneburg, Beschl. v. 8. März 1996,9 M 7369/95, NdsVBI. 1996, S. 258.
20) Vgl. BayVGH, Urt. v. 25. Mai 1990, 23 B 87.03212, KStZ 1991, S. 116; OVG Lüneburg, Beschl. v. 19. Januar 1999, 9 L 3626/98, Peters, EzW/K, V A 7.8.; OVG Lüneburg, Beschl. v. 6. September 1999, 9 L 2901/99, Peters, EzW/K, V A 7.9
21) Vgl. OVG Münster, Urt. v. 27. Juni 1984, 2 A 2289/83, KStZ 1985, S. 35; VGH Kassel, Urt. v. 3. Dezember 1986, GemHH 1986, S. 135; VGH Kassel, Beschl. v. 16. Oktober 1985, 5 N 1/83
Autor: Dr. Ulrike Kirchhoff