Archiv / Suche
Ein modernes Märchen
22.01.2001 (GE 2/2001, 73) Es waren die Jahre um die Jahrtausendwende, als immer mehr Menschen die Aktienkurse verfolgten. Und weil sie hörten, daß man mit Aktien praktisch im Schlaf viel Geld verdienen könne, kauften sie auch Aktien. Und immer mehr Menschen hörten dies, kauften sich Computer und Börsensoftware, lasen Börsenzeitschriften und gingen ins Internet, um gleich online direkt bei ihrer Bank zu ordern. Und so stiegen die Aktienkurse unaufhaltsam.
Und meinte jemand vorsichtig, daß diese oder jene Aktie vielleicht überteuert sei, weil der Börsenwert des Unternehmens inzwischen beim Zweihundertfachen, ja sogar beim Tausendfachen des Gewinns liege, so wurde ihm von Leuten, die sich Analysten nennen, umgehend bedeutet, daß er keine Ahnung habe. Schließlich handle es sich um Zukunftsmärkte mit ungeahnten Möglichkeiten. Und hier müsse man beim Kurs-/Gewinnverhältnis schon bitte ein bißchen weiter in die Zukunft blicken. Als schließlich die BLIND-Zeitung, die ansonsten glücklich war, wenn es ihr gelang, Microsoft von Zewa-soft zu unterscheiden, immer häufiger von jungen Börsenmillionären in ihren prächtigen Villen berichtete, stürmten die kleinen Leute die Banken und baten die Angestellten händeringend, doch einen großen Teil ihrer Ersparnisse sofort in Aktien anzulegen, weil sie auch so reich werden wollten. Erfahrene Banker, die in ihrem Leben mehrere Crashs erlebt hatten, sprachen untereinander grinsend von der sogenannten Dienstmädchenhausse, hüteten sich aber, dies öffentlich kundzutun. Verständlich.
Es geschah praktisch über Nacht: Der amerikanische Notenbankpräsident erlitt während einer wichtigen Rede einen Hustenanfall, weil er vorher unvorsichtigerweise drei Stück Diät-Zwieback gegessen hatte. Ein dabei ausgestoßenes Wortfragment wurde von niemandem verstanden, deshalb als sehr negativ für den Markt betrachtet, worauf der Dow Jones innerhalb von 90 Minuten 420 Punkte verlor. Am folgenden Tag brachen zunächst die asiatischen, dann die europäischen Börsen im Schnitt um 6 % ein. Das führte an der Wall Street zu einem weiteren Rückgang von 8 %, worauf die Asiaten mit einem Minus von 9 bis 12 % konterten. Das ließ den DAX nicht ruhen, er stürzte um 10 %. Der Dow Jones in New York ließ sich nicht lumpen und gab weitere 6 % nach, worauf der DAX am nächsten Morgen schon in der ersten Stunde 7 % verlor. Und in den folgenden Wochen fielen die Kurse immer mehr.
Nun meldeten sich die Analysten zurück, wiesen auf die exorbitant gestiegenen Kurse hin und meinten, der Rückgang sei natürlich vorhersehbar gewesen, man müsse mit weiteren Verlusten in der nächsten Zeit rechnen. Die Kurs-/Gewinnverhältnisse vieler Aktien seien geradezu abenteuerlich hoch gewesen. Das hätte man nun wirklich klar sehen können. Die Hausfrauen und die jungen Zocker, die in ihrem Leben nie einen Börsencrash erlebt hatten, bekamen zittrige Hände und versuchten in immer größerem Ausmaß zu retten, was zu retten war. Und die Kurse sanken und sanken, bis einige Aktien, vor allem jene, deren Besitz als besonders cool galt, bis zu 90 % ihres Höchstwertes verloren hatten. Da weinten viele kleine Anleger und schworen sich, nie wieder mit Aktien zu spekulieren.
Als die Kurse ganz unten waren, stiegen die Banken wieder ein, auch mit ihren Fonds. Und die Aktien begannen zu steigen und zu steigen. Dann gaben die Analysten in großer Zahl Empfehlungen für Aktienkäufe und meinten, daß man so billig nie wieder kaufen könne. Und die Kurse gingen hoch und immer höher, und die Analysten empfahlen, weiter einzusteigen. Und alle, die sich geschworen hatten, nie wieder mit Aktien zu spekulieren, kauften wieder. Und wenn sie nicht gestorben sind, werden sie es immer wieder tun.
Es geschah praktisch über Nacht: Der amerikanische Notenbankpräsident erlitt während einer wichtigen Rede einen Hustenanfall, weil er vorher unvorsichtigerweise drei Stück Diät-Zwieback gegessen hatte. Ein dabei ausgestoßenes Wortfragment wurde von niemandem verstanden, deshalb als sehr negativ für den Markt betrachtet, worauf der Dow Jones innerhalb von 90 Minuten 420 Punkte verlor. Am folgenden Tag brachen zunächst die asiatischen, dann die europäischen Börsen im Schnitt um 6 % ein. Das führte an der Wall Street zu einem weiteren Rückgang von 8 %, worauf die Asiaten mit einem Minus von 9 bis 12 % konterten. Das ließ den DAX nicht ruhen, er stürzte um 10 %. Der Dow Jones in New York ließ sich nicht lumpen und gab weitere 6 % nach, worauf der DAX am nächsten Morgen schon in der ersten Stunde 7 % verlor. Und in den folgenden Wochen fielen die Kurse immer mehr.
Nun meldeten sich die Analysten zurück, wiesen auf die exorbitant gestiegenen Kurse hin und meinten, der Rückgang sei natürlich vorhersehbar gewesen, man müsse mit weiteren Verlusten in der nächsten Zeit rechnen. Die Kurs-/Gewinnverhältnisse vieler Aktien seien geradezu abenteuerlich hoch gewesen. Das hätte man nun wirklich klar sehen können. Die Hausfrauen und die jungen Zocker, die in ihrem Leben nie einen Börsencrash erlebt hatten, bekamen zittrige Hände und versuchten in immer größerem Ausmaß zu retten, was zu retten war. Und die Kurse sanken und sanken, bis einige Aktien, vor allem jene, deren Besitz als besonders cool galt, bis zu 90 % ihres Höchstwertes verloren hatten. Da weinten viele kleine Anleger und schworen sich, nie wieder mit Aktien zu spekulieren.
Als die Kurse ganz unten waren, stiegen die Banken wieder ein, auch mit ihren Fonds. Und die Aktien begannen zu steigen und zu steigen. Dann gaben die Analysten in großer Zahl Empfehlungen für Aktienkäufe und meinten, daß man so billig nie wieder kaufen könne. Und die Kurse gingen hoch und immer höher, und die Analysten empfahlen, weiter einzusteigen. Und alle, die sich geschworen hatten, nie wieder mit Aktien zu spekulieren, kauften wieder. Und wenn sie nicht gestorben sind, werden sie es immer wieder tun.
Autor: Klaus Britting