Grundeigentum-Verlag GmbH
grundeigentum-verlag
Verlag für private und unternehmerische Immobilien
Anzeige

Archiv / Suche


Nach der BGH-Entscheidung zu den Zitterbeschlüssen
Nichtige Beschlüsse - was nun?
08.01.2001 (GE 1/2001, 26) Der Bundesgerichtshof hat zum Thema „Zitterbeschlüsse“ mit Beschluß vom 20. September 2000 eine Entscheidung gefällt, welche in Vergangenheit und Zukunft die Verwaltungspraxis von Wohnungseigentümergemeinschaften in erheblichem Umfang beeinflussen wird (Wortlaut der Entscheidung GE 2000, S. 1478 ff., siehe auch S. 1458).
Überwiegend sind das Schrifttum und die Rechtsprechung bisher davon ausgegangen, daß nach Ablauf der Frist zur Anfechtung von Wohnungseigentümerbeschlüssen (§ 23 Abs. 4 WEG) deren Fehlerhaftigkeit geheilt war. Dies galt auch für Beschlüsse, deren Inhalt zum Teil von den Regelungen der Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung abwich. Der BGH hat diese Handhabung für unzulässig erklärt. Dieser Beschluß des BGH wirft nun erhebliche Probleme für die Praxis auf. Der nachstehende Beitrag versucht, Richtlinien für das zukünftige Verwaltungshandeln aufzuzeigen.
Der BGH hat im Leitsatz zu Ziff. 5 ausgeführt, daß der Beschluß in einer Angelegenheit, welche die Regelung des Gebrauchs (§ 15 WEG), der Verwaltung (§ 21 WEG) und der Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 22 WEG) betrifft, aber nicht mehr eine „ordnungsgemäße“ Maßnahme zum Inhalt hat, nur anfechtbar ist. Es ist also zwischen nichtigen und lediglich anfechtbaren Beschlüssen zu differenzieren. Der BGH geht von einer absoluten Beschlußunzuständigkeit der Wohnungseigentümer mit der Folge der Nichtigkeit in all den Fällen aus, in welchen die Wohnungseigentümer überhaupt nicht durch Beschluß entscheiden durften. Die Nichtigkeit ergibt sich daraus, daß die Wohnungseigentümer gem. § 10 Abs. 1 WEG von den Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes abweichende Vereinbarungen treffen können, soweit nicht etwas anderes ausdrücklich bestimmt ist. Eine Vereinbarung stellt sich als schuldrechtlicher Kollektivvertrag dar, welcher der Zustimmung aller Wohnungseigentümer bedarf; im Unterschied hierzu ist die Beschlußfassung auch in der Form des Mehrheitsbeschlusses gegenüberzustellen. Hiernach hat der BGH alle Beschlußfassungen für nichtig erklärt, die nach dem Gesetz einer Vereinbarung zugewiesen sind.

Nichtige Beschlüsse
Nachstehende bestandskräftige Mehrheitsbeschlüsse dürften aufgrund der Beschlußunzuständigkeit (Regelung entgegen gesetzlich zwingender Normen, Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung) nichtig sein:
Einräumung eines Sondernutzungsrechts (so BGH GE 2000, 1478 ff.)
Beispiel: Zuweisung einer Gemeinschaftsfläche zur alleinigen Nutzung
Stimmrechtsausschluß, -beschränkung und -änderung
Beispiel: Ausschluß des Stimmrechts bei Zahlungsrückstand mit drei Monatsbeiträgen, Einschränkung des Stimmrechts nur in unmittelbar betreffenden Angelegenheiten, Änderung des Stimmrechts: statt Objekt- nunmehr Kopfprinzip
Änderung des Kostenverteilungsschlüssels
Beispiel: Kostenverteilung statt nach Miteigentumsanteilen per Mehrheitsbeschluß nunmehr nach der Nutzfläche (evtl. Anspruch auf Anpassung der Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung bei erheblichen Abweichungen)
Gegen Gesetz oder Vereinbarung verstoßende Regelung über Kostenverteilung
Beispiel: Jeder Wohnungseigentümer hat für die Instandsetzung der Wohnungseingangstüren, Fenster, Außenflächen von Balkonen etc. aufzukommen.

Wirtschaftsplan/Jahresabrechnung
— Abweichung von der gesetzlichen Regelung des § 28 WEG, d. h. kalenderjährliche Aufstellung
— Abweichung von dem durch Gesetz oder Vereinbarung festgelegten Wirtschaftsjahr
— Fortgeltung des Wirtschaftsplanes über das Wirtschaftsjahr hinaus als Dauerregelung
— Beschluß über die Abkürzung von Ladungsfristen
— Beschluß über die Zulässigkeit der Eventualeinberufung
— Beschluß über tätige Mithilfe von Wohnungseigentümern, z. B. Kehr- und Schneeräumdienste
— Beschluß über nachträglichen Einbau von Kaltwasserzählern
— Beschluß über die Notwendigkeit der Verwalterzustimmung gem. § 12 WEG bzw. Verzicht auf Verwalterzustimmung trotz Regelung in der Gemeinschaftsordnung
— Beschluß über die Erwerberhaftung für Wohngeldrückstände des Voreigentümers in der Zwangsversteigerung bzw. generelle Einführung der Haftung des Rechtsnachfolgers
— Beschluß über über das Gesetz hinausgehende Verzugszinsen im Falle von Wohngeldrückständen
— Berufung von Beiratsmitgliedern gegen § 29 Abs. 1 WEG
— Berufung von Dritten als Beiratsmitglieder.

Anfechtbare Beschlüsse
Nach dem BGH-Beschluß sind Regelungen in Angelegenheiten, die den Gebrauch (§ 15 WEG), die Verwaltung (§ 21 WEG) und die Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 22 WEG) betreffen, nicht nichtig, sondern lediglich anfechtbar. Das Wohnungseigentumsgesetz weist den Eigentümern in vielen Fällen ausdrücklich die Kompetenz von Mehrheitsentscheidungen zu, wobei das Prinzip der Ordnungsgemäßheit der Verwaltung zu beachten ist. So weisen § 15 Abs. 2, § 21 Abs. 3 und § 22 Abs. 1 WEG jeweils unter Beachtung der Ordnungsgemäßheit des Handelns auf Beschlußfassungen durch Stimmenmehrheit ausdrücklich hin. Die derartig in der Vergangenheit gefaßten Beschlüsse sind mangels Nichtigkeit nicht ohne weiteres unbeachtlich; sie sind und bleiben lediglich anfechtbar.
Die Rechtsfolge der nichtigen Beschlüsse ist, daß es für deren Unwirksamkeit keiner gerichtlichen Feststellung bedarf; die Nichtigkeit kann jederzeit geltend gemacht werden. Eine Bindungswirkung in irgendeiner Richtung ist ausgeschlossen.

Hinweise für Verwalter
Zunächst sollte der Verwalter die Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung dahin überprüfen, ob eine sog. Öffnungsklausel vorhanden ist. Die Beschlußkompetenz der Wohnungseigentümer folgt entweder unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut oder aus einer Vereinbarung, einer sog. Öffnungs-, Mehrheits- oder auch Änderungsklausel. Eine Öffnungsklausel weist das Recht zu, durch sog. qualifizierten Beschluß Vereinbarungen zu fassen, abzuändern oder auch aufzuheben. Bei Vorhandensein einer Öffnungsklausel bleiben die trotz der sog. absoluten Beschlußunzuständigkeit gefaßten Beschlüsse weiterhin rechtskräftig, soweit diese nicht aus materiell-rechtlichen Gründen nichtig sind (Fälle der sog. absoluten Beschlußunzuständigkeit).
Teilungserklärungen/Gemeinschaftsordnungen ohne eine derartige Öffnungs-, Mehrheits- oder auch Änderungsklausel werden in Zukunft die Verwaltbarkeit der Anlage sehr erschweren. Jeder Verwalter muß somit ab sofort diese Regelung der Zuweisung der Beschlußzuständigkeit nach Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung genauestens kennen und auch korrekt handhaben.
Die Verwalter mit starren Teilungserklärungen/Gemeinschaftsordnungen sollten die Beschlußordner nach evtl. nichtigen Beschlüssen im oben dargestellten Sinne durchforsten. Es wird empfohlen, derartige Beschlüsse den Wohnungseigentümern vorzulegen und über die künftige Handhabung der dort geregelten Inhalte Beschluß fassen zu lassen.
Nach § 45 Abs. 4 WEG kann ein Gericht auf Antrag eines Beteiligten seine Entscheidung oder einen gerichtlichen Vergleich ändern, sofern sich die tatsächlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben. Es ist anerkannt, daß hierunter die Wandlung der Rechtsauffassung für die Abänderung nicht genügt (Niedenführ/Schulze WEG § 45 Anm. 23). Hieraus ist auch zu schlußfolgern, daß rechtskräftige Beschlüsse des Wohnungseigentumsgerichtes weiterhin Gültigkeit haben, da durch die gerichtliche Entscheidung auf Bestätigung von Beschlüssen rechtsverbindlich festgestellt wurde, daß diese Beschlüsse nicht nichtig, sondern gültig sind.
Der Verwalter sollte in Zukunft darauf achten, keine zweifelhaften Beschlüsse mit Dauerwirkung fassen zu lassen. So wird derzeit nach den Beschlußgründen des BGH ein Eigentümerbeschluß über einen Wirtschaftsplan mit Fortgeltungscharakter bis zur Beschlußfassung über den nächsten Wirtschaftsplan gültig sein; ein davon abweichender Organisationsbeschluß über die Fortgeltung des Wirtschaftsplanes über das Jahr hinaus ist als erkennbare Regelung für die Dauer nichtig.
Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen der BGH-Beschluß auf Rechtsprechung und Schrifttum in Zukunft hat. Es kann angesichts des BGH-Beschlusses bei Entwürfen von Teilungserklärungen/Gemeinschaftsordnungen nur dringend darauf hingewiesen werden, hier die sog. Öffnungs-, Mehrheits- oder auch Änderungsklausel in der Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung für alle Zukunft zu verankern. Dies wird in Zukunft das Verwaltungshandeln sehr erleichtern.
Autor: RAuN Wilbert Steinmann, Berlin