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Mieter rügt mit Erfolg zu hohe Miete – und vermietet dann selbst zum Vierfachen des Zulässigen unter
Mietpreisbremse: Zulässige Neuvertragsmiete mit Mietspiegel zu ermitteln
12.12.2016 (GE 22/2016, S. 1414) § 556d Abs. 1 BGB, der eine Beschränkung der Miethöhe bei Mietbeginn auf 10 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete einführt (sogenannte „Mietpreisbremse“), ist eine durch Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Grundgesetz (GG) gerechtfertigte Beschränkung der Dispositionsbefugnis des Eigentümers. Die Berliner Mietenbegrenzungsverordnung ist verfassungskonform. Rügt der Mieter einen Verstoß gegen die Mietpreisbremse, kann die zulässige Neuvertragsmiete (ortsübliche Miete plus 10 %) mit Hilfe des Berliner Mietspiegels ermittelt werden. Auch wenn der Mieter, der einen Mietpreisbremsen-Verstoß rügt, seinerseits zwei Drittel seiner Wohnung zum Vierfachen (!) der zulässigen Miete untervermietet, liegt in seiner Rüge gegen die Mietpreisvereinbarung bei Neuvermietung kein Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), so das AG Neukölln. 
Der Fall: Die Mietvertragsparteien hatten Anfang Juli 2015 einen Mietvertrag über die Vermietung einer 76,35 m² großen, in Berlin-Neukölln gelegenen Wohnung abgeschlossen. Danach betrug die von dem Mieter zu zahlende Miete 9,50 €/m² netto kalt. Die Vormieterin hatte zuletzt monatlich 419 € (ca. 5,49 €/m²) netto kalt gezahlt. Der Mittelwert nach dem Berliner Mietspiegel 2015 für vergleichbare Wohnungen beträgt im Feld G 1 5,62 €/m² netto kalt. Der Mieter wandte sich mit zwei Schreiben vom 22. Juli und 25. September 2015 an die Vermieterin und beanstandete, dass die zu zahlende Miete im Hinblick auf die seit 1. Juni 2015 in Berlin geltende Mietenbegrenzungsverordnung um 221,42 € monatlich zu hoch sei. Da es zu keiner Einigung kam, erhob der Mieter nachfolgend Klage. Er forderte die Rückzahlung der nach seiner Auffassung überhöhten Miete für die Monate August bis einschließlich Dezember 2015 und begehrte die Feststellung, dass die Miete in Höhe von 221,42 € netto kalt unwirksam sei.

Das Urteil: Das AG Neukölln gab dem Mieter fast vollständig recht und verurteilte die Vermieterin, an ihren Mieter überhöhte Miete von monatlich je 221,09 € netto kalt, insgesamt 1.105,45 €, zuzüglich Zinsen für fünf zurückliegende Monate zurückzuzahlen. Zugleich traf das AG die Feststellung, dass die mit 725 € netto kalt vereinbarte Miete in Höhe des Betrages von 221,09 € unwirksam sei. Das AG ließ sich auch nicht dadurch beirren, dass der Mieter seinerseits zwei Drittel der Wohnung zum vierfach überhöhten Mietpreis untervermietet hatte.
Die gesetzliche Ermächtigung für die Mietenbegrenzungsverordnung (§ 556d Abs. 2 BGB) begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken: Die Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuchs sei hinreichend bestimmt. Denn bei verfassungskonformer Auslegung sei den Landesregierungen kein Spielraum eingeräumt, ob sie eine solche Verordnung erlassen oder nicht. Vielmehr bestehe eine Verpflichtung, sofern der Wohnraummarkt angespannt sei. 
Soweit in das Grundrecht auf Eigentum eingegriffen werde, indem der Eigentümer in der Festlegung der Miethöhe bei Neuvermietung beschränkt werde, sei dieser Eingriff aus Gemeinwohlerwägungen gerechtfertigt. Denn es solle die „Gentrifizierung“ verhindert werden.
Der Erlass einer solchen Verordnung sei auch geeignet, das Ziel zu erreichen. Es komme dabei nicht darauf an, ob es effektivere Mittel gebe. Die Mietpreisbremse sei ferner erforderlich, da nur sie kurzfristig zu wirken vermöge. 
Schließlich habe der Gesetzgeber auch in angemessener Weise die schutzwürdigen Interessen aller Beteiligten berücksichtigt. Denn eine Wohnung habe existentielle Bedeutung für den Einzelnen. Die Eigentumsgarantie werde nicht geschützt, soweit überhöhte Mietpreise in Ausnutzung einer Mangellage verlangt würden. Denn dadurch werde die soziale Funktion des Eigentums missachtet. Den Interessen der Eigentümer werde Rechnung getragen, indem die Verordnung u. a. nur für eine Dauer von höchstens fünf Jahren erlassen werden dürfe. Auch nehme § 556d BGB auf die ortsübliche Vergleichsmiete Bezug. Da zu erwarten sei, dass in nachfragestarken Gebieten die Mieten – nicht zuletzt durch den erlaubten Zuschlag von 10 % – weiterhin ansteigen würden, werde der Marktbezug gewahrt.
Auch die Verordnung selbst sei nicht rechtswidrig. Der Kontrollmaßstab sei allerdings eingeschränkt. Es dürfe nur geprüft werden, ob die Landesregierung ihren Beurteilungsspielraum überschritten habe. Dies sei zu verneinen, da sie für die vier Indizien gemäß § 556 d Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 4 BGB und für ein weiteres Indiz (nämlich das der Entwicklung der Differenzen zwischen Angebotsmieten und ortsüblichen Vergleichsmieten in Berlin) konkrete empirische Untersuchungen vorgelegt habe.
Schließlich könne auch nicht beanstandet werden, dass die Verordnung für das gesamte Gebiet von Berlin gelte, da sonst der Zweck, nämlich die Vermeidung von Gentrifizierung, nicht erreicht werden würde.
Vorliegend werde gegen § 556d Abs. 1 BGB in Verbindung mit der Mietenbegrenzungsverordnung verstoßen. Um die ortsübliche Vergleichsmiete zu ermitteln, sei der Mietspiegel 2015 als Schätzungsgrundlage heranzuziehen. Nach dem maßgeblichen Feld G 1 und unter Berücksichtigung der unstreitigen Zu- und Abschläge betrage die ortsübliche Vergleichsmiete 6 €/m². Auf die von der Vermieterin benannten 23 Vergleichswohnungen komme es nicht an. Zulässig sei inklusive des Zuschlags von 10 % mithin nur eine Höchstmiete von 6,60 €/m², d. h. von insgesamt von 503,91 € netto kalt. Die Differenz von je 221,09 € für die Monate August bis Dezember 2015 müsse die Vermieterin daher an den Mieter zurückzahlen.
Schließlich liege auch kein Verstoß gegen Treu und Glauben vor, soweit der Mieter zwei der drei Zimmer zeitweise für 20 €/m² bzw. 25 €/m² brutto warm vermietet habe.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Vermieterin hat Berufung beim Landgericht Berlin eingelegt (65 S 424/16).

Anmerkung: Dass manchem Vermieter bei solchen Urteilen das Messer in der Tasche aufgeht, ist nachvollziehbar. Nicht wegen der grundsätzlichen Ausführungen (Verfassungskonformität der Ermächtigungsgrundlage und der Berliner MietpreisbremsenVO sowie der Ermittlung der Miete mit dem Mietspiegel – für all das findet das Urteil nachvollziehbare Begründungen; man muss sie nicht teilen, aber abwegig sind sie nicht). Was an dem Urteil verstört, ist, dass der Mieter zwei Drittel seiner Wohnung zum Vierfachen des Zulässigen untervermieten kann und der Amtsrichter im Verlangen des Mieters, die Miete herabzusetzen, keinen Verstoß gegen Treu und Glauben sieht. 
Nehmen wir einmal an, von den rund 76 m² seien 40 m² zu einem Preis von 20 €/m² nettokalt untervermietet worden (die Untermiete betrug zwischen 20 €/m² und 25 €/m², im Mittel also 22,50 €/m², wovon 2,50 €/m² für kalte und warme Betriebskosten abzuziehen sind). Dann erzielt der Mieter aus Untervermietung 800 € monatlich, zahlt selbst aber nur 503,91 €. Selbst wenn er die ursprünglich vereinbarten 725 € gezahlt hätte, hätte er noch ein Geschäfts gemacht. Wen schützt hier das Recht? 


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