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Zitterbeschlüsse gekippt
Nichtigkeit bestandskräftiger Eigentümerbeschlüsse
28.11.2000 (GE 21/2000, 1458) Durch Mehrheitsbeschluß können nur einfache Verwaltungsangelegenheiten im Wohnungseigentum geregelt werden. Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung können auch durch bestandskräftige Mehrheitsbeschlüsse nicht geändert werden.
Der Fall: Ein Teileigentümer ließ sich durch Mehrheitsbeschluß das Recht zur Sondernutzung des Vorgartens einräumen. Sein Pächter nutzte den Vorgarten als Schankfläche. Der Mehrheitsbeschluß wurde nicht angefochten. Erst nach Jahren verlangten andere Wohnungseigentümer die Unterlassung der Vorgartenbenutzung als Freischankfläche. Das KG wollte den von AG und LG zuerkannten Unterlassungsanspruch bestätigen, sah sich aber durch OLG Düsseldorf (NZM 1999, 378) daran gehindert und legte den Fall dem BGH vor.

Die Entscheidung: Mit Beschluß vom 20. September 2000 führte der BGH aus, ein Sondernutzungsrecht könne nur durch die Zustimmung aller Wohnungseigentümer, also nur durch Vereinbarung begründet werden. Für einen Mehrheitsbeschluß fehle der Wohnungseigentümerversammlung die absolute Beschlußkompetenz. Ein ohne absolute Beschlußkompetenz gefaßter Mehrheitsbeschluß sei nichtig, auch wenn er nicht nach § 23 Abs. 4 WEG angefochten worden sei. Demnach bestehe der Anspruch auf Unterlassung der Benutzung des Vorgartens zum Freiausschank. Die teilweise entgegenstehende Rechtsprechung führe nicht zu einem Vertrauensschutz des Teileigentümers für die Zukunft.

Tip: Von Bekanntmachung der BGH-Entscheidung an kann sich niemand auf den Fortbestand der Rechtsprechung zu den bestandskräftigen Mehrheitsbeschlüssen mit Vereinbarungsinhalt verlassen. Die BGH-Entscheidung ist auch auf die Änderung des einer Mehrheitsentscheidung entzogenen gesetzlichen oder vereinbarten Kostenverteilungsschlüssels anzuwenden, aber nur auf noch nicht abgeschlossene Sachverhalte.
Bestandskräftig gewordene konkrete Abrechnungsbeschlüsse bleiben wirksam. Soweit im Vertrauen auf die bisherige Rechtsprechung schützenswerte Rechtspositionen entstanden sind, deren Beseitigung zu unzumutbaren Härten führen würde, kann die Nichtigkeit ausnahmsweise nur für die Zukunft geltend gemacht werden.
BGH, Beschluß vom 20. September 2000 - V ZB 58/99 -
Wortlaut GE 21/2000 Seite 1478

Stichwort Zitterbeschlüsse:
Worum geht es bei den vom Bundesgerichtshof für nichtig erklärten „Zitterbeschlüssen“?
Rechte und Pflichten von Eigentümern, die Wohnungseigentum besitzen (umgangssprachlich Eigentumswohnungen genannt), werden im Wohnungseigentumsgesetz geregelt. Aber nicht nur dort. Das Wohnungseigentumsgesetz besteht nicht nur aus unabänderlichen (unabdingbaren) Vorschriften, sondern darf vielfach auch abgeändert und durch andere Vereinbarungen ersetzt werden. Solche Vereinbarungen, mit denen die Wohnungseigentümer ihre Rechtsbeziehungen zueinander oder in Abweichung oder Ergänzung des Wohnungseigentumsgesetzes regeln, finden sich beispielsweise in den sogenannten Teilungserklärungen oder Gemeinschaftsordnungen. Derartige Vereinbarungen (Verträge) können eigentlich nur durch Vereinbarung, also mit den Stimmen aller Wohnungseigentümer, geändert werden.
Seit Jahrzehnten - mitbegründet durch eine frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes - war es aber gängige Praxis, daß Vereinbarungen der Wohnungseigentümer auch durch Mehrheitsbeschluß abgeändert werden konnten, wenn ein solcher Beschluß nicht durch einen Wohnungseigentümer angefochten wurde. Im Juristendeutsch nannte man solche Beschlüsse der Wohnungseigentümer „ Zitterbeschlüsse“, weil man doch nicht so ganz sicher war, ob sie tatsächlich galten.
Dem hat der Bundesgerichtshof mit seinem Beschluß vom 20. September 2000 ein Ende gemacht, damit aber die Welt der Wohnungseigentümer faktisch auf den Kopf gestellt. Denn jetzt werden viele Streitigkeiten in Wohnungseigentümergemeinschaften neu aufbrechen und neu geregelt werden müssen. Das betrifft zum Beispiel sämtliche Sondernutzungsrechte, die besonders streitträchtigen Beschlüsse über die Abänderung von Kostenverteilungsmaßstäben und auch Gebrauchsregelungen - wie etwa die Frage, ob Hunde gehalten werden dürfen oder nicht. Auch genehmigte bauliche Änderungen können durch diesen Beschluß wieder auf den Prüfstand gestellt werden.
Vor allem auf die Verwalter von Wohnungseigentumsanlagen wird eine Flut von Anträgen zukommen - und möglicherweise auch die eine oder andere Schadensersatzforderung, wenn die Verwalter jetzt noch Beschlüsse ausführen, die sich später als nichtig erweisen.
Jetzt, so Fachleute, rächt sich, daß die längst überfällige und immer wieder verschobene Reform des Wohnungseigentumsgesetzes auf die lange Bank geschoben wurde, denn die Konflikte in Wohnungseigentümergemeinschaften seien weit häufiger und intensiver als die zwischen Mietern und Vermietern.