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Kein Räumungsurteil trotz begründeten Eigenbedarfs
Sachverständiger prognostiziert (vom Mieter nicht geäußerte) Suizidgefahr
26.10.2015 (GE 18/2015, S. 1130) Auch bei einer begründeten fristgerechten Kündigung des Vermieters kann der Mieter sich auf Härtegründe berufen, die eine Fortsetzung des Mietverhältnisses rechtfertigen. Unlängst hat die 67. Kammer des Landgerichts Berlin (GE 2015, 859) das bejaht, wenn die Suiziddrohung des Mieters überwiegend (mehr als 50 %) wahrscheinlich ist. Die 65. Kammer nimmt das auch an, wenn der Mieter überhaupt keine Suizidgedanken geäußert hatte.
Der Fall: Die Vermieterin hatte wegen Eigenbedarfs des bei ihr lebenden erwachsenen Sohnes gekündigt; der 82-jährige Mieter widersprach der Kündigung, die eine nicht zu rechtfertigende Härte für ihn bedeute. Das Amtsgericht ordnete eine Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit an; die Berufung der Vermieterin war erfolglos.
Das Urteil: Nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens, das der Sachverständige auch mündlich erläutert hatte, stellte die Kammer fest, dass schon der Erlass eines Räumungsurteils die Gefahr einer ernsthaften gesundheitlichen Schädigung begründen würde. Nach dem Gutachten habe der Mieter zwar – trotz Suggestivfragen des Sachverständigen – keine suizidalen Tendenzen geäußert, was aber auf Persönlichkeitseigenschaften wie Geradlinigkeit und Bemühungen um Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit, die schon ins Zwanghafte übergingen, beruhe. Er habe Abwehrmechanismen entwickelt, die ihn auch wegen seiner kognitiven Defizite daran hinderten, das tatsächliche Ausmaß der Gefährdung durch eine mögliche Verurteilung zur Räumung zu erfassen. In Wahrheit sei ein Zusammenbruch des Mieters vorhersehbar und nicht mehr zu bewältigen, wenn der äußere Rahmen seines Lebens – die Wohnung – wegfiele. Aus der Sicht des Sachverständigen ergebe sich daraus die Gefahr von Affektdurchbrüchen mit unvorhersehbaren Kurzschlussreaktionen. Mit einem psychischen Zusammenbruch und einer erheblichen Verschlechterung des gesundheitlichen Gesamtzustandes sei zu rechnen.
Anmerkung: Wie so oft hat hier der Sachverständige den Rechtsstreit entschieden; die Kammer ist seinem Gutachten in jeder Hinsicht gefolgt, auch wenn es zunächst verblüfft. Anders als in vergleichbaren Fällen (etwa LG Frankfurt/Main, GE 2015, 976) hatte sich nicht der Mieter auf Depressionen und Suizidgefahr berufen, sondern dies wurde nur vom Sachverständigen aus der Persönlichkeitsstruktur des Mieters hergeleitet. An die Schlussfolgerung des Sachverständigen, mit einem psychischen Zusammenbruch und einer erheblichen Gesundheitsverschlechterung sei sicher zu rechnen, war die Kammer praktisch gebunden, denn eine eigene Sachkunde für andere Feststellungen hatte sie ja gerade durch Einholung eines Gutachtens verneint. Auch die Einholung eines weiteren Gutachtens („Obergutachten“) kam nicht in Betracht, denn das ist nur ausnahmsweise möglich (Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen; überlegene Forschungsmittel des weiteren Gutachters; grobe Mängel des erstatteten Gutachtens). Da es sich um eine Einzelfallentscheidung handelte, war die Revision nicht zuzulassen; Vermieter und Mieter müssen also damit leben, dass in diesen Fällen der Ausgang eines Räumungsprozesses noch unsicherer ist als in Mietsachen ohnehin üblich.
(Den Wortlaut des Urteils finden Sie in GE 2015, Seite 1165 und in unserer Datenbank)
Das Urteil: Nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens, das der Sachverständige auch mündlich erläutert hatte, stellte die Kammer fest, dass schon der Erlass eines Räumungsurteils die Gefahr einer ernsthaften gesundheitlichen Schädigung begründen würde. Nach dem Gutachten habe der Mieter zwar – trotz Suggestivfragen des Sachverständigen – keine suizidalen Tendenzen geäußert, was aber auf Persönlichkeitseigenschaften wie Geradlinigkeit und Bemühungen um Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit, die schon ins Zwanghafte übergingen, beruhe. Er habe Abwehrmechanismen entwickelt, die ihn auch wegen seiner kognitiven Defizite daran hinderten, das tatsächliche Ausmaß der Gefährdung durch eine mögliche Verurteilung zur Räumung zu erfassen. In Wahrheit sei ein Zusammenbruch des Mieters vorhersehbar und nicht mehr zu bewältigen, wenn der äußere Rahmen seines Lebens – die Wohnung – wegfiele. Aus der Sicht des Sachverständigen ergebe sich daraus die Gefahr von Affektdurchbrüchen mit unvorhersehbaren Kurzschlussreaktionen. Mit einem psychischen Zusammenbruch und einer erheblichen Verschlechterung des gesundheitlichen Gesamtzustandes sei zu rechnen.
Anmerkung: Wie so oft hat hier der Sachverständige den Rechtsstreit entschieden; die Kammer ist seinem Gutachten in jeder Hinsicht gefolgt, auch wenn es zunächst verblüfft. Anders als in vergleichbaren Fällen (etwa LG Frankfurt/Main, GE 2015, 976) hatte sich nicht der Mieter auf Depressionen und Suizidgefahr berufen, sondern dies wurde nur vom Sachverständigen aus der Persönlichkeitsstruktur des Mieters hergeleitet. An die Schlussfolgerung des Sachverständigen, mit einem psychischen Zusammenbruch und einer erheblichen Gesundheitsverschlechterung sei sicher zu rechnen, war die Kammer praktisch gebunden, denn eine eigene Sachkunde für andere Feststellungen hatte sie ja gerade durch Einholung eines Gutachtens verneint. Auch die Einholung eines weiteren Gutachtens („Obergutachten“) kam nicht in Betracht, denn das ist nur ausnahmsweise möglich (Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen; überlegene Forschungsmittel des weiteren Gutachters; grobe Mängel des erstatteten Gutachtens). Da es sich um eine Einzelfallentscheidung handelte, war die Revision nicht zuzulassen; Vermieter und Mieter müssen also damit leben, dass in diesen Fällen der Ausgang eines Räumungsprozesses noch unsicherer ist als in Mietsachen ohnehin üblich.
(Den Wortlaut des Urteils finden Sie in GE 2015, Seite 1165 und in unserer Datenbank)
Autor: Rudolf Beuermann
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