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BGH zieht die Grenzen des Zurückbehaltungsrechts wegen Mängeln der Mietwohnung deutlich enger
Fristlose Kündigung wegen Zahlungsrückständen in der Verbraucherinsolvenz
28.09.2015 (GE 17/2015, S. 1058) Ist ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt, kann der Vermieter dem insolventen Mieter nicht mehr wegen in der Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gezahlter Mieten kündigen („Kündigungssperre“). Diese Kündigungssperre entfällt allerdings mit Wirksamwerden der sogenannten Enthaftungserklärung (auch Freigabeerklärung genannt). Eine außerordentliche Kündigung kann dann auch auf Mietrückstände gestützt werden, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelaufen sind, so der BGH. Außerdem hat der BGH in dieser Entscheidung das Zurückbehaltungsrecht des Mieters, ein Druckmittel, um den Vermieter zur Mangelbeseitigung anzuhalten, deutlich eingeschränkt.
Der Fall: Der Beklagte ist seit dem Jahr 1988 Mieter einer im Eigentum der Klägerin stehenden Wohnung. Die monatliche Gesamtmiete beträgt 530,90 €. Auf seinen Antrag wurde am 17. Juni 2010 das Verbraucherinsolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet.DieTreuhänderinerklärteam1.Juli 2010 die „Freigabe“ des Mietverhältnisses nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO.
Der Beklagte zahlte in den Monaten März 2009 bis Oktober 2012 keine oder nur einen Teil der Miete. Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis im Oktober 2012 unter Berufung auf die seit März 2009 aufgelaufenen Mietrückstände in Höhe von insgesamt 14.806,36 € fristlos nach § 543 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b BGB. Das Amtsgericht hat der Räumungsklage stattgegeben, das Landgericht hat sie abgewiesen. Die vom Landgericht zugelassene Revision der Klägerin hatte Erfolg.

Das Urteil: Der VIII. Zivilsenat des BGH entschied, dass die Kündigungssperre des §112Nr.1InsO(vgl.WortlautSeite1059)mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung (auch Freigabeerklärung) nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO entfällt und eine außerordentliche Kündigung auch auf Mietrückstände gestützt werden kann, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelaufen sind. Die Enthaftungserklärung bewirkt, dass das Mietverhältnis nicht mehr massebefangen ist, sondern in die Verfügungsbefugnis der Vertragsparteien zurückfällt, so dass eine Kündigung grundsätzlich möglich ist. Sinn und Zweck der in § 112 Nr. 1 InsO geregelten Kündigungssperre stehen dem nicht entgegen, denn die Norm dient dem Schutz der Insolvenzmasse und einer möglichen Fortführung des Schuldnerunternehmens und gerade nicht dem persönlichen Schutz des bei Insolvenzantragsstellung im Zahlungsverzug befindlichen Mieters/Schuldners vor dem Verlust der Wohnung. Auch § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO soll lediglich verhindern, dass der Mieter ein Verbraucherinsolvenzverfahren nur um den Preis des Wohnungsverlusts durch die Kündigung seitens des Treuhänders einleiten kann. Der soziale Mieterschutz wird auch im Insolvenzfall dadurch gewährleistet, dass der Mieter die Kündigungsfolgen durch Zahlung der Mietrückstände gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB aus seinem pfändungsfreien Vermögen abwenden kann; auch ist eine Befriedigung der Schulden von dritter Seite – insbesondere öffentlicher Stellen – trotz laufenden Insolvenzverfahrens möglich. Gleiches gilt auch während des Restschuldbefreiungsverfahrens (§§ 286 ff. InsO). Soweit das Landgericht dem Beklagten – neben der Minderung in Höhe von 20 % – monatlich ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe des vierfachen Minderungsbetrages, mithin in Höhe von 80 % zugestanden und daher einen Zahlungsverzug insgesamt verneint hatte, folgte der BGH dem LG nicht. Das tatrichterliche Beurteilungsermessen sei durch die schematische Bemessung und zeitlich unbegrenzte Zubilligung des Zurückbehaltungsrechts überschritten.
Das LG hat nach Auffassung des BGH die Besonderheiten des auf dauernden Leistungsaustausch gerichteten Wohnraummietverhältnisses außer Acht gelassen und ist darüber hinaus weder dem Zweck des Zurückbehaltungsrechts noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht geworden. Das Leistungsverweigerungsrecht des § 320 BGB diene im Rahmen eines Mietverhältnisses dazu, auf den Vermieter – vorübergehend – Druck auszuüben, damit dieser – allerdings der Natur der Sache nach nur für die Zukunft – wieder eine mangelfreie Wohnung bereitstelle. Für die Zeit vor der Mängelbeseitigung werde das Äquivalenzverhältnis zwischen der (mangelhaften) Wohnung und der Miete durch die Minderung gewahrt.
Unter Berücksichtigung dessen sei es verfehlt, das Leistungsverweigerungsrecht des Wohnraummieters aus § 320 BGB ohne zeitliche Begrenzung auf einen mehrfachen Betrag der monatlichen Minderung oder der Mangelbeseitigungskosten zu bemessen. Vielmehr könne es redlicherweise nur so lange ausgeübt werden, als es noch seinen Zweck erfülle, den Vermieter durch den dadurch ausgeübten Druck zur Mangelbeseitigung anzuhalten. Auch müsse der insgesamt einbehaltene Betrag in einer angemessenen Relation zu der Bedeutung des Mangels stehen. Der Mieter sei hierdurch nicht rechtlos gestellt, denn unbeschadet des Minderungsrechts könne er u. a. auf Mangelbeseitigung klagen oder in geeigneten Fällen den Mangel – ggf. nach Geltendmachung eines Vorschussanspruchs – selbst beseitigen.

Anmerkung: Der BGH hält fest, es sei insbesondere streitig, ob die Beurteilung zum Leistungsverweigerungsrecht an der Höhe der monatlichen berechtigten Mietminderung oder der zur Mangelbeseitigung erforderlichen Kosten auszurichten sei. Nach ausführlicher Darstellung der jeweiligen Meinungen entscheidet er allerdings den Streit nicht. Die Frage, in welchem Umfang und für welchen Zeitraum dem Mieter, der die mit Mängeln behaftete Wohnung weiter nutzen könne und auch nutze, danach ein Leistungsverweigerungsrecht zustehe, entziehe sich nämlich einer allgemein gültigen Betrachtung. Sie sei vielmehr vom Tatrichter im Rahmen seines Beurteilungsermessens aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben zu beantworten und könne vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüft werden. Für den vorliegenden Fall habe der Tatrichter das eingeräumte Beurteilungsermessen allerdings überschritten, wenn das Zurückbehaltungsrecht schematisch mit dem in zeitlicher Hinsicht praktisch unbegrenzten vierfachen Minderungsbetrag bemessen werde. Das Leistungsverweigerungsrecht diene dazu, auf den Vermieter – vorübergehend – Druck zur Erfüllung der eigenen, im Gegenseitigkeitsverhältnis zur geltend gemachten Mietforderung stehenden Verbindlichkeit auszuüben. Deshalb ende das Zurückbehaltungsrecht nicht nur bei Beseitigung des Mangels, sondern auch – unabhängig von einer Mangelbeseitigung – bei Beendigung des Mietverhältnisses. Mit dem Wegfall des Zurückbehaltungsrechts würden die gesamten zunächst zu Recht einbehaltenen Beträge grundsätzlich sofort zur Zahlung fällig (GE 2014, 1526). Für die bereits abgelaufenen Zeitabschnitte verbleibe es zwangsläufig bei der mangelbedingt eingeschränkten Gebrauchstauglichkeit. Für diese Zeitabschnitte sei dem Äquivalenzverhältnis bereits dadurch (abschließend) Rechnung getragen, dass der Mieter nur eine geminderte Miete zu zahlen habe. Für die alltägliche Praxis würde das bedeuten, dass das Zurückbehaltungsrecht jeweils für den abgelaufenen Monat entfällt, jedoch für jeden neuen Monat, in dem der Vermieter den Mangel (immer noch) nicht beseitigt hat, neu entsteht. Je nach Schwere des Mangels kann (theoretisch) das Zurückbehaltungsrecht bis zu einer Monatsmiete betragen – was der BGH auch in dieser Entscheidung ausdrücklich festhält (Rn. 50).

Beispiel: Angenommen, der Mangel rechtfertigt eine monatliche Minderung von 50 %. Solange der (dem Vermieter gegenüber angezeigte) Mangel nicht behoben ist, kann die Miete gemindert werden und bleibt bis zur Mangelbeseitigung gemindert. Wird parallel dazu ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht (angenommen Monat Juli 2015 ebenfalls i. H. v. 50 % der Miete), und hat der Vermieter den Mangel bis Ende Juli nicht beseitigt, entfällt bei der Monatsmiete August 2015 das Zurückbehaltungsrecht für die Miete Juli 2015, entsteht jedoch neu in Höhe des Teils der August-Miete usw.

(Den Wortlaut des Urteils finden Sie in GE 2015, Seite 1089 und in unserer Datenbank)
Autor: Klaus Schach


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