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Wo uns der Schuh drückt
Namen & Nachrichten
17.04.2015 (GE 6/2015, S. 339) Ältere Berliner werden sich noch an die wöchentliche Hörfunkreihe „Wo uns der Schuh drückt“ erinnern. Zu verdanken war sie dem legendären Nachkriegsbürgermeister Ernst Reuter, ab 1948 lief sie im NWDR Berlin, ab 1951 im RIAS , Anfang der 60er Jahre sogar im Regionalfernsehen des SFB. In der Sendung beschäftigte sich der jeweilige Regierende Bürgermeister mit den kleinen und großen Sorgen der kleinen Leute.
Der frühere Regierende Bürgermeister Klaus Schütz hat dieses Sendeformat meisterhaft zu nutzen gewusst. Ja, damals kannten die Regierenden noch die Sorgen der Berliner. Die Wendung der Sendung hat jetzt auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller aufgenommen. Ihm sei es wichtig, zu erfahren,„wo die Berlinerinnen und Berliner der Schuh drückt“. Deswegen lädt er jetzt zweimal im Jahr zu einer Bürgersprechstunde in das Berliner Rathaus ein. Für bestimmte Berliner Probleme – den BER beispielsweise – dürfte dieser Zeitabstand durchaus angemessen sein, denn da erfährt man ja auch in Halbjahres-Abständen nichts Neues. Aber so einfach hingehen zum Dorfschulzen ist schon lange nicht mehr. Davor steht eine Menge Bürokratie. Wer Müller sprechen will, muss zunächst einmal seinen Namen, Geburtsdatum, Adresse und Telefonnummer und sein Anliegen (schon daran wird mancher Petent scheitern) übermitteln. Nehmen wir mal an, Müller schafft es, alle halbe Jahre 20 Berliner anzuhören (was schon hoch gegriffen sein dürfte), dann sind das 40 im Jahr. Damit alle einmal schildern können, wo sie der Schuh drückt, müsste Müller 87.500 Jahre regieren – bei aller Liebe, das möchten wir ihm und uns nicht antun. Legen wir den drückenden Schuh also dort ab, wo er hingehört: zu abgestandenem Politikmarketing. Die letzte Ausgabe der eingangs erwähnten Sendereihe lief übrigens am 6. Mai 1978. Regierender Bürgermeister war damals Dietrich Stobbe, dem nur eine kurze und nicht sehr glückliche Amtszeit vergönnt war. Dafür, dass die Sendereihe eingestellt wurde, hatte seinerzeit der CDU-Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus, Heinrich Lummer, gesorgt, der zu Recht argumentierte, dass die SPD Rundfunk und Fernsehen für parteipolitische Zwecke nutze.
Autor: Dieter Blümmel