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Die Planbarkeit der Zukunft
28.11.2000 (GE 21/2000, 1417) Wir alle wissen - oder sollten uns doch darüber klar sein -, daß Planungen, welcher Art auch immer, selten genug Realität werden. Das galt früher für die langfristigen Prognosen, das gilt heute auch für die kurzfristige Vorschau, denn die Dinge entwickeln sich immer schneller.
Bestes Beispiel sind die Aktienkurse. Da werden von den Unternehmen Gewinnprognosen und von den professionellen Hellsehern - Analysten nennt man diese Leute heute - Entwicklungsvorschauen herausgegeben, die schon drei oder sechs Monate später korrigiert werden müssen. Da wird mit dem Wort „Gewinnwarnung” ein semantischer Unfug sondergleichen geboren, da muß im Oktober gebeichtet werden, man habe im Juli, anläßlich der letzten Gewinnprognose, verschiedene Bilanzpositionen falsch bewertet; und da geht ein Unternehmen an die Börse, das noch während der Zeichnungsfrist die Einschätzung verschiedener Unternehmensrisiken korrigieren muß. Da bricht in einem den Atlantik überspannenden Großkonzern - plötzlich und unerwartet? - der Gewinn in einem Umfang ein, angesichts dessen der Vorstandschef - pardon, der Chief executive officer - froh sein sollte, die eigenen Prognosen nicht statt seiner Havannas aufrauchen zu müssen. Und da dürfen sich all die professionellen Kapitalanleger fragen lassen, wozu denn heiße Luft etwas taugt, es sei denn, um Ballons aufzublasen und dem Sauna-Gänger zum Schwitzen zu verhelfen.

Der Hang, der Drang zur Prognose bleibt dennoch. Banker erbitten Vorschauen von ihren Kunden, Hotelkettenchefs verlangen Budgets von ihren Direktoren, Kapitalanleger erwarten (mindestens) zehnjährige Gewinngarantien von ihren Fonds.
Etwas anderes kommt hinzu, und das mehr denn je: die Mode, der Trend! Der bekannte Soziologe Erwin K. Scheuch beschrieb das kürzlich in der FAZ so: „In allen Lebensbereichen mit hoher Unsicherheit besteht ein Bedürfnis nach Gewißheiten. Diese werden in Variationen angeboten: als Kulte …, als Moden, bei denen aus massenhaftem Gleichklang von Überzeugungen Gewißheit folgt, und nicht zuletzt als einem Einreihen in die Gefolgschaft eines Gurus, der heute schon weiß, wie die Welt von morgen sein wird.” Und etwas weiter: „Die Häufigkeit von Moden in der Wirtschaft gerade in den Chefetagen großer Unternehmen läßt vermuten, daß angesichts mangelnder Voraussagbarkeit von Folgen des eigenen Entscheidens die Begründungen die tatsächlichen Antriebsmomente zudecken sollen.”

Der Urgrund der Kaffeesatzleserei wird schließlich erreicht, wenn Börsenentwicklungen, wenn Aktienkurse, wenn Währungsparitäten beurteilt und vorausgesagt werden. Dagegen sind ja Wetterprognosen die reinsten Sicherheitsgurte.

Warum berührt einen all dies nun gegenwärtig mal wieder ganz besonders? Weil der Mensch mit seinem Verdienten und Ersparten seit ein, zwei, drei Jahren in zunehmendem Tempo den Steigerungs- und Gewinnprognosen der Börsen-, der Dax-, der Nemax-Gurus hinterherhechelt, so wie die gleichen und andere Leute in den Jahren davor den Anlageberatern glaubten, die hohe Renditen bei totaler Steuerersparnis in Aussicht stellten.

Die Wirkungen sind überall zu spüren. Statt Klamotten im Bekleidungsladen, statt Reihenhäusern und Eigentumswohnungen beim Bauträger kaufen die Leute erst den Laptop, dann den PC und am Ende die Nemax-Werte des neuen Marktes online. Die Banken geben statt Krediten nur noch gute Ratschläge (private banking), Anlageberater verkaufen allenfalls noch Lebensversicherungen, am besten kombiniert mit Aktiendepots.

Bis eines Tages die Krise der Aktienmärkte richtig da ist. Wohl dem, der dann ein Haus hat, das er beleihen kann, um seine Schulden zu bezahlen.
Autor: Dietmar Otremba