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Erhebung von Sanierungsausgleichsbeträgen
Gemeinden haben nicht unendlich Zeit dafür

27.01.2015 (GE 1/2015, S. 39) Eigentümer von Grundstücken in förmlich festgelegten Sanierungsgebieten können nicht zeitlich unbegrenzt zur Zahlung der Sanierungsausgleichsabgabe herangezogen werden, so das Bundesverwaltungsgericht. Verschleppen dürfen die Gemeinden das Verfahren trotzdem. Bei der Beitragserhebung gilt zwar eine vierjährige Festsetzungsfrist für sanierungsrechtliche Ausgleichszahlungen, die läuft jedoch erst ab Ablauf des Jahres, in dem die Gemeinde ein Sanierungsgebiet förmlich aufgehoben hat. Das Bundesverwaltungsgericht verwarf ausdrücklich die Auffassung der Vorinstanz, wonach für den Fristbeginn auf den tatsächlichen Abschluss der Sanierung abzustellen sei, wenn die Gemeinde die förmliche Aufhebung der Sanierungssatzung pflichtwidrig unterlässt. Chancen, die Zahlung des Ausgleichsbetrages zu vermeiden, gibt es zwar trotzdem, groß sind sie indes nicht.
DER FALL: In 18 Parallelverfahren weigerten sich Eigentümer, Ausgleichsbeträge für sanierungsbedingte Bodenwerterhöhungen (§ 154 BauGB) zu zahlen. Die Frist für die Festsetzung dieser Abgabe beträgt vier Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Abgabe entsteht gemäß § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB mit der rechtsförmlichen Aufhebung der Sanierungssatzung. Diese Aufhebung hatte die Stadt Oberhausen erst im Jahre 2006 beschlossen, obwohl die letzten Sanierungsmaßnahmen bereits im Jahre 1989 durchgeführt worden waren. Auf Klage der Eigentümer hatte das Verwaltungsgericht Düsseldorf die Bescheide aufgehoben und sich hierbei u. a. darauf gestützt, dass die Festsetzung der Abgaben verjährt sei.
Das OVG Nordrhein-Westfalen hat diese Auffassung bestätigt: Zwar sei für den Beginn der Festsetzungsfrist nach bisheriger Rechtsprechung maßgeblich, wann die Sanierungssatzung förmlich aufgehoben worden sei, während es auf den tatsächlichen Abschluss der Sanierung nicht ankomme. Dieser Rechtsprechung könne jedoch aus Gründen des rechtsstaatlichen Gebots der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht mehr gefolgt werden, wenn die Aufhebung der Sanierungssatzung – wie hier – pflichtwidrig verzögert worden sei.

DAS URTEIL: Das Bundesverwaltungsgericht hat die vorinstanzliche Entscheidung nur im Ergebnis bestätigt. Zu Recht habe das OVG zwar angenommen, dass das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit auch bei der Festsetzung sanierungsrechtlicher Ausgleichsbeträge Geltung habe. Auch Grundeigentümer im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet könnten nicht zeitlich unbegrenzt nach Entstehung der sanierungsbedingten Vorteilslage („Bodenwerterhöhung“) in Anspruch genommen werden. Ein vom OVG im Wege der verfassungskonformen Auslegung des § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB für richtig gehaltenes Abstellen auf den tatsächlichen Abschluss der Sanierung liefe jedoch auf eine Verfälschung des gesetzgeberischen Anliegens in einem zentralen Punkt (Abstellen auf den förmlichen Beschluss zur Aufhebung der Sanierung) hinaus. Dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit werde vielmehr auf der Grundlage des auch im öffentlichen Recht anzuwendenden Grundsatzes von Treu und Glauben oder allgemeinen Verjährungsregeln hinreichend Rechnung getragen. Die vorinstanzliche Entscheidung erweise sich aber aus anderen Gründen als richtig. Das VG habe – unstreitig – angenommen, dass die Aufhebungssatzung der Stadt wegen formeller Mängel unwirksam gewesen sei und deshalb nicht zu einem Abschluss der Sanierung geführt habe. Und ohne förmlichen Abschluss der Sanierung hat die Gemeinde im Regelfall auch keine Befugnis, Ausgleichszahlungen zu verlangen.

ANMERKUNG: Die allgemeinen Verjährungsregeln sowie Treu und Glauben sollen also die Grenze ziehen, wenn nach faktischem, aber eben nicht förmlichem Abschluss der Sanierung Gemeinden erst nach Jahr und Tag Grundeigentümer zur Sanierungsausgleichsabgabe heranziehen. Dazu greift das Bundesverwaltungsgericht als maximale Zeitspanne auf allgemeine Verjährungsvorschriften zurück – beispielsweise auf die Regelung in § 53 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz oder die längste im Zivilrecht (§ 197 BGB) vorgesehene Verjährungsfrist (in beiden Fällen 30 Jahre). In dieser Zeitspanne könnten sich schon wieder städtebauliche Missstände so verfestigen, dass eine erneute sanierungsrechtliche Gebietsfestlegung möglich wäre – in der Praxis hilft diese Überlegung nicht weiter. Ebenso wenig praktisch ist auch der Hinweis auf Treu und Glauben; das sieht auch das Bundesverwaltungsgericht. Eine klare Anknüpfung an pflichtwidriges Verhalten der Gemeinde lehnt das Gericht rundweg ab. Treuwidrigkeit liege nicht bereits dann vor, wenn die Gemeinde die Sanierungssatzung pflichtwidrig (§ 162 Abs. 1 BauGB) nicht rechtzeitig aufhebe. Treuwidrig ist die Abgabenerhebung vielmehr erst dann, „wenn es aufgrund der Pflichtverletzung der Gemeinde unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls nicht mehr zumutbar erscheint, den Bürger mit der Abgabenerhebung zu konfrontieren“. Wann das der Fall ist, könne im Einzelfall schwierig zu bestimmen sein, räumt das Gericht ein. Zugrunde zu legen sei ein enger Maßstab. Gegen die Annahme der Treuwidrigkeit könne etwa sprechen, dass sich der politische Willensbildungsprozess in der Gemeinde über die Fortsetzung der Sanierungsmaßnahmen schwierig gestalte oder die Fortführung der Sanierung an finanziellen Engpässen scheitere. Im Klartext: Wenn die Gemeinderäte streiten wie die Kesselflicker oder sich im Etat verrechnet haben, muss man ihnen – zu Lasten der Grundeigentümer – alle Zeit der Welt lassen. Wenn es sein muss, auch 30 Jahre. Das ist der Zeithorizont preußischer Beamter des 18. und 19. Jahrhunderts, nicht des dritten Jahrtausends. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, dieser neuen Entdeckung der Langsamkeit wirksam dadurch zu begegnen, dass er für den förmlichen Abschluss der Sanierung eine verbindliche Frist festlegt. Drei Jahre nach dem letzten Hammerschlag müssen dafür reichen.
Autor: Dieter Blümmel