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Trotz wirksamer Kündigung kein Räumungsanspruch
„Wichtige berechtigte Interessen“ gegen „nicht zu rechtfertigende Härte“
28.10.2014 (GE 19/2014, S. 1229) Für eine Eigenbedarfskündigung des Vermieters reicht es aus, wenn er einen nachvollziehbaren Grund für das Herausgabeverlangen darlegt. Die Formulierung in § 573 BGB („benötigt”) wird von der Rechtsprechung sehr weit ausgelegt: Es reicht die beabsichtigte Nutzung nur für Besuche an Wochenenden (LG Berlin, GE 2013, 1517, best. durch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 23. April 2014 - 1 BvR 2851/13, GE 2014, 733) oder auch nur als Aufbewahrungsort für eine Puppensammlung (BVerfG, GE 1994, 272). In vielen älteren Mietverträgen von Wohnungsbaugesellschaften ist die Kündigungsmöglichkeit nur in Ausnahmefällen bei wichtigen berechtigten Interessen vorgesehen. Nachdem der Bundesgerichtshof im Vorprozess (GE 2013, 1584) eine Klarstellung unterlassen hatte, wann solche gewichtigen Gründe vorliegen, hatte sich nunmehr das Amtsgericht Schöneberg aufgrund einer erneuten Kündigung damit zu beschäftigen.
DER FALL: Im Mietvertrag hieß es, dass der Vermieter das Mietverhältnis grundsätzlich nicht auflösen werde und nur in Ausnahmefällen bei wichtigen berechtigten Interessen eine Kündigung möglich sei. Die Käufer des Hauses hatten zunächst erfolglos wegen Eigenbedarfs (Nutzung durch die Schwester der Kläger) gekündigt; nunmehr kündigten sie erneut wegen Eigenbedarfs, um ihren Kindern jeweils ein Kinderzimmer zur Verfügung stellen zu können. Die beklagte Mieterin machte Härtegründe geltend (zum weiteren Sachverhalt vgl. GE 2013, 1584).


DAS URTEIL: Mit Urteil vom
9. April 2014 wies das Amtsgericht Schöneberg die Klage
ab. Zwar liege ein gesteigerter Eigenbedarf im Sinne der Rechtsprechung des BGH vor, also ein
wichtiges berechtigtes Interesse, da hier die Räume nicht nur
als Abstellfläche, Hobbyraum
oder zur Nutzung am Wochen-
ende beansprucht würden, sondern für die Kinder, zumal die Kläger vorgetragen hatten, dass sie durch die Beschränkung auf die vorhandenen Räumlichkeiten daran gehindert seien, ihre Familie zu vergrößern und weitere Kinder zu bekommen. Das wiederum sei nach Art. 6 GG besonders schützenswert.
Das wichtige berechtigte Interesse begründe gleichwohl keinen Räumungsanspruch, da die Mieterin eine Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit verlangen könne, weil die Beendigung des Mietverhältnisses eine nicht zu rechtfertigende Härte darstelle. Nach dem Gutachten des Sachverständigen seien die psychischen Folgen derart schwerwiegend, dass ein Suizid zumindest als möglich angenommen werden müsse. Auch bestehe aufgrund der Persönlichkeitsstörung der Beklagten keine Therapiemöglichkeit. Da eine günstige Veränderung der gesundheitlichen Situation nicht erwartet werden könne, sei das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortzusetzen.



ANMERKUNG DER REDAKTION: Bei einer fristgerechten Kündigung ist zunächst zu prüfen, ob ein Kündigungsgrund besteht. Die Interessen des Mieters werden dabei nach ständiger Rechtsprechung nicht berücksichtigt. Erst wenn eine wirksame Kündigung zu bejahen ist, kann die Sozialklausel nach § 574 BGB (Härteeinwand) anwendbar sein.
Das Amtsgericht Schöneberg hat hier – soweit ersichtlich erstmals – präzisiert, was ein vertraglich gefordertes„wichtiges” berechtigtes Interesse ist und dies von den sonst ausreichenden „niederschwelligen Nutzungswünschen” abgegrenzt. Ob bei der Anwendung der Sozialklausel eine Erkrankung mit Persönlichkeitsstörung dazu führen muss, eine Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit anzuordnen, ist eine Frage des Einzelfalls. Denkbar ist, dass hier auch der Umstand eine Rolle gespielt hat, dass im Vorprozess eine Eigenbedarfskündigung mit einer anderen Begründung ausgesprochen worden war.


(Den Wortlaut des Urteils finden Sie in GE 2014, Seite 1273 und in unserer Datenbank)


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