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Wie man in Berlin einen Missstand angeht
Von lauten Autos und irgendwie anders lauter Industrie
22.10.2014 (GE 19/2014, S. 1249) Da plant Reinickendorfs Baustadtrat Martin Lambert seit Jahren ein modernes Industriegebiet „Urban Tech Republic“ als Nachnutzung des Flughafens Tegel, und nun will der Senat direkt daneben 2024 das Olympische Dorf errichten und danach zu einem Wohnort für 10.000 Menschen machen, ohne ihn zu fragen. Dabei wisse er – „aus eigener Erfahrung“ -, dass sich bei einem solchen Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe die neuen Anwohner beschweren und „mit Auflagen der Gerichte zu rechnen“ sei.
Hätte der Mann allerdings seine eigene Arbeitsebene befragt, hätte diese ihn eines Besseren belehrt: Nicht die Gerichte verhindern ein sinnvolles Nebeneinander von Gewerbe- (und auch Sport- und Freizeit-) Nutzungen und Wohnen in der Stadt, sondern geltendes Bundesrecht. Ausnahmslos darf 50 cm „vor dem geöffneten Fenster“ kein Grenzwert für „unzumutbaren“ Lärm überschritten werden, sonst muss entweder die Quelle weg, oder das Wohnen darf dort nicht hin.
Ganz anders sieht es das Bundesrecht beim Verkehr. Den kann (und will) man nicht aus der Stadt vertreiben, also darf auch an lauten Straßen gewohnt werden – mit Lärmschutzfenstern und Lüftung.
Seit Jahren wird in der Fachwelt diese gegen eine stadtverträgliche Mischung gerichtete Differenz kritisiert und gefordert, den Gemeinden andere im Einzelfall abgewogene Lösungen zu erlauben als das extremistische Fallbeil des„geöffneten Fensters“ hier und des „angemessenen passiven Schallschutzes“ dort. Obwohl sich auf Bundesebene trotz entsprechender Forderungen des Deutschen Städtetages (bis vor Kurzem) hier nichts bewegte und den Regierungen der (besonders betroffenen) Länder Hamburg und Berlin seit mehr als einem Jahr sogar ausgearbeitete Lösungsvorschläge zu diesem Problem vorliegen, traut sich bisher kein Politiker aus der Deckung: Zu groß ist die Gefahr, im Zeitalter der auf 140 Zeichen verkürzten politischen Botschaften als Lärmzyniker oder Industrielobbyist verunglimpft zu werden.
Bleibt ein drängendes Problem auf der politischen Ebene zu lange ungelöst, führt dies auf der Arbeitsebene zu den merkwürdigsten Ausweichreaktionen. Da wird gefordert, Spielplätze mit fünf Meter hohen Mauern zu umgeben oder alle Fenster eines Wohnhauses als „nicht zu öffnen“ herzustellen, um einen in der Nähe liegenden Veranstaltungsraum auch nach 22 Uhr nutzen zu können. Herr Lambert fordert den Verzicht auf das Olympische Dorf, um seine „Urban Tech Republic“ zu retten, und die Senatsinnenverwaltung klagt vor dem Oberverwaltungsgericht gegen eine von der Stadtentwicklungsverwaltung als
rechtmäßig bestätigte Baugenehmigung für ein Wohnhaus mit Schallschutzfenstern der Klasse IV (wegen des Verkehrslärms), weil die Richtwerte der Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BlmSchV) für die sonntägliche„Ruhezeit“ von„13.00 Uhr bis 15.00 Uhr“ (die ausnahmslos auch für jeden Bewohner einer Millionenstadt gilt) vor den geöffneten Fenstern nicht eingehalten werden und man deshalb fürchtet, nicht für Olympia gerüstet zu sein.
Es gibt Hoffnung! Die Umweltverwaltung des Bundes plant, die 18. BlmSchV um eine „Öffnungsklausel“ zu ergänzen, die es den Ländern erlaubt, abweichende Zumutbarkeitskriterien für Sportlärm festzulegen. Schon jetzt rügen allerdings Umweltaktivisten aller Parteien in einzelnen Bundesländern die dadurch befürchtete Relativierung des erreichten (und eigentlich immer noch zu geringen) Lärmschutzniveaus. Die Senatsinnenverwaltung jedenfalls scheint davon auszugehen, dass diese Diskussion bis 2024 in Berlin nicht zu sachgerechten Regelungen führen wird, so dass sie daran festhält, mit einer unzulässigen Klage die Verwaltungsgerichte mit den auf Senatsebene als offensichtlich unlösbar angesehenen Lärmschutzproblemen zu beschäftigen.
So geht man also in Berlin ein Problem an: Man tut nichts außer ablenkendem Unsinn. Mit einer sachgerechten Aktivität des Senats im Bundesrat könnte die TA Lärm, die für das Problem von Herrn Lambert verantwortlich ist, ebenso den Erfordernissen des modernen Städtebaus angepasst sein wie die 18. BlmSchV und die Freizeitlärm-Richtlinie. Doch das hieße: harte Bretter bohren. Während die TA Lärm seit 1998 unverändert gilt, wurde das Grundgesetz seitdem 14-mal novelliert. Da gibt es dann nur eins: kapitulieren und auf die Gerichte schimpfen. Bravo, Herr Lambert, und viele Grüße an Ihre für den Sport und die Wirtschaft verantwortlichen Senatoren.
Autor: RA Dr. Klaus-Martin Groth (Namenspartner des umfassend in Umwelt- und Planungsrecht tätigen Anwaltsbüros [Gaßner, Groth, Siederer & Coll.] in Berlin)