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Klage gegen neue Kappungsgrenze abgewiesen
Landgericht Berlin: Wir können Spielraum des Senats nur beschränkt nachprüfen
30.07.2014 (GE 15/2014, S. 959) Die Berliner Kappungsgrenzen-Verordnung vom 7. Mai 2013, welche die bisherige Kappungsgrenze für Bestandsmieterhöhungen von 20 % auf 15 % in drei Jahren gesenkt hat, ist wirksam. Das hat das Landgericht Berlin durch Urteil vom 3. Juli 2014 - 67 S 121/14 - entschieden. Die Zivilgerichte hätten die Wirksamkeit der Kappungsgrenzen-VO zwar in eigener Prüfungszuständigkeit und -kompetenz zu überprüfen, jedoch habe der Senat als Verordnungsgeber einen vom Gericht nur beschränkt nachprüfbaren Beurteilungsspielraum bei komplexen Sachverhalten. Das Gericht hat allerdings Revision zugelassen, die wohl auch eingelegt wird.
Der Entscheidung lag ein Urteil des AG Wedding zugrunde (vgl. GE 2014, 593), das dem Vermieter eine Mieterhöhung nur insoweit zugebilligt hatte, als sie 15 % nicht überstieg. Der Vermieter ging in die Berufung mit dem Argument, die Berliner Kappungsgrenzen-Verordnung sei unwirksam, da die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum zu angemessenen Bedingungen allenfalls in den Bezirken Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg besonders gefährdet sei, der Berliner Senat hingegen in der Verordnung sämtliche Bezirke Berlins unter Zugrundelegung statistisch zweifelhaften Datenmaterials als besonders gefährdet ausgewiesen habe; eine inhaltliche Überprüfung der Kappungsgrenzen-VO hatte das AG Wedding zuvor abgelehnt und diese Aufgabe den Verwaltungsgerichten zugewiesen. Letzteres sah das Landgericht in der Berufung anders, im Ergebnis wies das Landgericht aber die Berufung des Vermieters zurück, ließ allerdings wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zu, schränkte sie aber auf die„höchstrichterliche Klärung der sich aus der Entscheidung ergebenden ... maßgeblichen abstrakten Rechtsfragen“ ein. Das ist trickreich, denn die abstrakten Rechtsfragen (Ermächtigungsgrundlagen für Verordnungen und der zutreffende Gebrauch durch den Verordnungsgeber) sind hinreichend geklärt. Und für die Aufarbeitung der bisherigen obergerichtlichen und verfassungsrechtlichen Rechtsprechung hat sich das Landgericht mehr als nur ein Fleißkärtchen verdient – was soll dazu noch Neues vom BGH kommen?
Entscheidend sind nämlich nicht abstrakte Rechtsfragen, sondern die Beantwortung der Tatfrage Und die lautet: Hat der Berliner Senat nachgewiesen, dass in ganz Berlin die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist? Der Beantwortung dieser Frage geht das Landgericht konsequent aus dem Weg. Beim Schulaufsatz führt das auch bei Fleißigen zu einem „Ungenügend“ mit dem Zusatz „Thema verfehlt“.
Zwar proklamiert das Gericht für sich die uneingeschränkte Prüfungspflicht aus Art. 19 Abs. 4 GG, der für den Rechtssuchenden nicht nur die bloße Anrufung eines Gerichts ermöglicht, sondern effektiven Rechtsschutz dadurch gewährleistet, dass er die Gerichte zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht verpflichtet. Aber wenn es um die Wurst geht, ist es schnell vorbei mit der uneingeschränkten Prüfungspflicht, denn dann wird dem Verordnungsgeber ein„vom Gericht nur beschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum“ zugestanden, jedenfalls „wenn komplexe, in der Entwicklung begriffene Sachverhalte Gegenstand der Gesetzgebung sind“. Im Klartext: wenn es um Sachen geht, die das Gericht nicht mehr versteht, wohl aber der Verordnungsgeber und seine Ministerialbürokratie!? Wie soll denn effektiver Rechtsschutz funktionieren, wenn das Gericht seinerseits nicht Sachverständige heranzieht, die den Sachverhalt ebenso beurteilen können wie der von einer Ermächtigung Gebrauch machende Verordnungsgeber?
Das Landgericht meint, soweit Ziele, Wertungen und Prognosen in Rede stünden, sei „ein angemessener Zeitraum zu gewähren, um Erfahrungen zu sammeln, Klarheit zu gewinnen und Mängeln einer Regelung abzuhelfen“, und Gesetze wie Verordnungen könnten nicht allein deshalb als verfassungswidrig angesehen werden, weil sie auf einer Prognose über den Verlauf einer späteren tatsächlichen Entwicklung beruhten, die sich nachträglich als falsch herausstelle. Abstrakt stimmt das, geht aber am Kern der Sache vorbei, denn hier geht es nicht um eine Prognose, sondern darum, dass der Senat die Kappungsgrenzen-Verordnung nur hätte erlassen dürfen, wenn zum Zeitpunkt des Erlasses die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet war, also keine Prognose, sondern eine stichtagsbezogene Feststellung des Ist-Zustandes.
Ob dieser Ist-Zustand bei Verordnungserlass bestand, prüft das Landgericht nicht.
Es begnügt sich damit, die vom Senat in der Begründung genannten Grundlagendaten (Mietversorgungsentwicklung 2006 bis 2011, Mietversorgungsquote 2011, die Prognose Mieterversorgungsquote 2020, Index Angebotsmieten/Bestandsmieten, Index Bruttokaltmieten/Nettoeinkommen, Entwicklung Mobilitätsrate 2011/2006, Wohnflächenverbrauch 2011/2006 sowie den Index preisgünstige Mietangebote/ Berechtigte Haushalte) ergeben hinzunehmen und dem Senat zu bescheinigen, dass er den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten habe, denn seine Erwägungen seien „vertretbar, erst recht aber nicht so offensichtlich verfehlt, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für die Verordnung abgeben könnten“.
Auch ein GEWOS-Gutachten vom April 2012 („Indikatorensystem zur kleinräumigen Wohnraummarktanalyse“), das als besonders gefährdet nur Mitte, Friedrichshain/ Kreuzberg und Charlottenburg/Wilmersdorf ausgewiesen habe, half dem Vermieter nicht. Eine besondere Gefährdung der Wohnungsversorgung liege bereits vor, wenn eine Gemeinde „durch sachliche Eigenarten“ gekennzeichnet sei, die den Wohnungsmarkt für breitere Bevölkerungsschichten negativ beeinflussen und ihm eine „spezifische Labilität“ vermitteln könnten. Zur Untermauerung dieses Arguments musste eine lange Passage herhalten, die sich wie ein Text aus einem Reiseführer liest (Stichwort:„Berlin als Magnet“, man lese das in der Entscheidung selbst nach, die wir in der kommenden Ausgabe im Wortlaut drucken, aber schon jetzt auf unsere Homepage gestellt haben). Außerdem beruhe der vom Vermieter mit dem GEWOS-Gutachten behauptete und von der Einschätzung des Senats abweichende Grad der Wohnraumversorgung in sämtlichen Bezirken Berlins zu einem nicht unwesentlichen Teil auf Bewertungsmaßstäben, die das Gericht anzulegen nicht befugt sei, weil es ansonsten in den Beurteilungsfreiraum des Verordnungsgebers eingreife. Es reiche nicht aus, den für sämtliche Bezirke der Stadt tragenden Prognosen des Senats eigene Rechenergebnisse entgegenzuhalten, unabhängig davon, ob sie methodisch schlüssiger (!) oder aufgrund nachträglich bereinigter statistischer Grundlagendaten genauer (!) sein sollten. Denn das Grundlagenmaterial für die vom Verordnungsgeber zu treffende Prognoseentscheidung werde„bei der erheblichen Fluktuation der Großstadtbevölkerung in einer offenen Gesellschaft stets nur bedingt zuverlässig und niemals zweifelsfrei sein“. Nach diesem Totschlagargument kann man abbrechen.
Entscheidend sind nämlich nicht abstrakte Rechtsfragen, sondern die Beantwortung der Tatfrage Und die lautet: Hat der Berliner Senat nachgewiesen, dass in ganz Berlin die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist? Der Beantwortung dieser Frage geht das Landgericht konsequent aus dem Weg. Beim Schulaufsatz führt das auch bei Fleißigen zu einem „Ungenügend“ mit dem Zusatz „Thema verfehlt“.
Zwar proklamiert das Gericht für sich die uneingeschränkte Prüfungspflicht aus Art. 19 Abs. 4 GG, der für den Rechtssuchenden nicht nur die bloße Anrufung eines Gerichts ermöglicht, sondern effektiven Rechtsschutz dadurch gewährleistet, dass er die Gerichte zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht verpflichtet. Aber wenn es um die Wurst geht, ist es schnell vorbei mit der uneingeschränkten Prüfungspflicht, denn dann wird dem Verordnungsgeber ein„vom Gericht nur beschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum“ zugestanden, jedenfalls „wenn komplexe, in der Entwicklung begriffene Sachverhalte Gegenstand der Gesetzgebung sind“. Im Klartext: wenn es um Sachen geht, die das Gericht nicht mehr versteht, wohl aber der Verordnungsgeber und seine Ministerialbürokratie!? Wie soll denn effektiver Rechtsschutz funktionieren, wenn das Gericht seinerseits nicht Sachverständige heranzieht, die den Sachverhalt ebenso beurteilen können wie der von einer Ermächtigung Gebrauch machende Verordnungsgeber?
Das Landgericht meint, soweit Ziele, Wertungen und Prognosen in Rede stünden, sei „ein angemessener Zeitraum zu gewähren, um Erfahrungen zu sammeln, Klarheit zu gewinnen und Mängeln einer Regelung abzuhelfen“, und Gesetze wie Verordnungen könnten nicht allein deshalb als verfassungswidrig angesehen werden, weil sie auf einer Prognose über den Verlauf einer späteren tatsächlichen Entwicklung beruhten, die sich nachträglich als falsch herausstelle. Abstrakt stimmt das, geht aber am Kern der Sache vorbei, denn hier geht es nicht um eine Prognose, sondern darum, dass der Senat die Kappungsgrenzen-Verordnung nur hätte erlassen dürfen, wenn zum Zeitpunkt des Erlasses die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet war, also keine Prognose, sondern eine stichtagsbezogene Feststellung des Ist-Zustandes.
Ob dieser Ist-Zustand bei Verordnungserlass bestand, prüft das Landgericht nicht.
Es begnügt sich damit, die vom Senat in der Begründung genannten Grundlagendaten (Mietversorgungsentwicklung 2006 bis 2011, Mietversorgungsquote 2011, die Prognose Mieterversorgungsquote 2020, Index Angebotsmieten/Bestandsmieten, Index Bruttokaltmieten/Nettoeinkommen, Entwicklung Mobilitätsrate 2011/2006, Wohnflächenverbrauch 2011/2006 sowie den Index preisgünstige Mietangebote/ Berechtigte Haushalte) ergeben hinzunehmen und dem Senat zu bescheinigen, dass er den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten habe, denn seine Erwägungen seien „vertretbar, erst recht aber nicht so offensichtlich verfehlt, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für die Verordnung abgeben könnten“.
Auch ein GEWOS-Gutachten vom April 2012 („Indikatorensystem zur kleinräumigen Wohnraummarktanalyse“), das als besonders gefährdet nur Mitte, Friedrichshain/ Kreuzberg und Charlottenburg/Wilmersdorf ausgewiesen habe, half dem Vermieter nicht. Eine besondere Gefährdung der Wohnungsversorgung liege bereits vor, wenn eine Gemeinde „durch sachliche Eigenarten“ gekennzeichnet sei, die den Wohnungsmarkt für breitere Bevölkerungsschichten negativ beeinflussen und ihm eine „spezifische Labilität“ vermitteln könnten. Zur Untermauerung dieses Arguments musste eine lange Passage herhalten, die sich wie ein Text aus einem Reiseführer liest (Stichwort:„Berlin als Magnet“, man lese das in der Entscheidung selbst nach, die wir in der kommenden Ausgabe im Wortlaut drucken, aber schon jetzt auf unsere Homepage gestellt haben). Außerdem beruhe der vom Vermieter mit dem GEWOS-Gutachten behauptete und von der Einschätzung des Senats abweichende Grad der Wohnraumversorgung in sämtlichen Bezirken Berlins zu einem nicht unwesentlichen Teil auf Bewertungsmaßstäben, die das Gericht anzulegen nicht befugt sei, weil es ansonsten in den Beurteilungsfreiraum des Verordnungsgebers eingreife. Es reiche nicht aus, den für sämtliche Bezirke der Stadt tragenden Prognosen des Senats eigene Rechenergebnisse entgegenzuhalten, unabhängig davon, ob sie methodisch schlüssiger (!) oder aufgrund nachträglich bereinigter statistischer Grundlagendaten genauer (!) sein sollten. Denn das Grundlagenmaterial für die vom Verordnungsgeber zu treffende Prognoseentscheidung werde„bei der erheblichen Fluktuation der Großstadtbevölkerung in einer offenen Gesellschaft stets nur bedingt zuverlässig und niemals zweifelsfrei sein“. Nach diesem Totschlagargument kann man abbrechen.
Autor: Dieter Blümmel
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