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Unqualifiziert: Die Berliner Mietspiegel entsprechen nicht den wissenschaftlichen Anforderungen
Gerichtlich bestellter Gutachter moniert zahlreiche Mängel
17.06.2014 (GE 12/2014, S. 763) Der Berliner Mietspiegel 2013 ist nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt worden, wie es § 558 d Abs. 1 BGB für einen qualifizierten Mietspiegel fordert. Zu diesem Schluss kommt Prof. Walter Krämer vom Institut für Wirtschafts- und Sozialstatistik der Technischen Universität Dortmund, der vom Amtsgericht Charlottenburg in einem Mieterhöhungsverfahren als Gutachter bestellt worden ist. Das Gutachten wurde der Redaktion von dem Berliner Rechtsanwalt RA Burkhard Rauch, dessen Kanzlei die Klage vertritt, zugänglich gemacht.
Das AG Charlottenburg hat in einem Mieterhöhungsverfahren durch Beschluss vom 10. Februar 2014 - 235 C 133/13 - Beweis erheben lassen über die Behauptung des Klägers,

■ die Lageeinteilung des Berliner Mietspiegels beruhe nicht auf anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen und

■ die Festlegung, dass bei Vorhandensein von Sondermerkmalen die ortsübliche Vergleichsmiete – ungeachtet etwaiger wohnwertmindernder Merkmale – dem oberen Spannenwert entspreche, soweit die Obergrenze durch Addition positiver Sondermerkmale zum Mittelwert erreicht oder überschritten werde, beruhe auch nicht auf anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen.

Zum Sachverständigen bestimmte das Gericht Prof. Walter Krämer vom Institut für Wirtschafts- und Sozialstatistik der Technischen Universität Dortmund. Letztlich ausgelöst worden ist die Bestellung eines wissenschaftlichen Gutachters durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Der BGH hatte mehrfach – u. a. durch Urteile vom 21. November 2012 - VIII ZR 46/12 - (GE 2013,197) und vom 6. November 2013 - VIII ZR 346/12 - (GE 2013, 1645) entschieden, dass auch ein qualifizierter Mietspiegel nach § 558 d Abs. 1 BGB überprüft werden muss, wenn seine Aussagen vor Gericht bestritten werden. Auf diese Prüfung könne nicht schon deswegen verzichtet werden, weil der Mietspiegel vom Ersteller als qualifizierter Mietspiegel bezeichnet oder von der Gemeinde und/oder von den Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter als solcher anerkannt und veröffentlicht worden sei.
Auch die ZK 63 des Landgerichts Berlin hat in einem Verfahren, das vom BGH an die Kammer zurückverwiesen worden ist, Prof. Walter Krämer als Gutachter bestellt. Dieses Gutachten betraf wohl nur die Lageeinteilung des Mietspiegels 2009. Da aber alle Berliner Mietspiegel der letzten Jahre nach derselben Systematik erstellt worden sind, dürfte Krämers Gutachten für die ZK 63 nicht anders ausgefallen sein als sein Gutachten für das Verfahren beim AG Charlottenburg. In diesem Verfahren ist die Mieterhöhung durch ein im Vermieterauftrag erstelltes Gutachten des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Dipl.-Geol. Björn Jansen begründet worden. Der stellte in seinem Gutachten fest, dass die ortsübliche Vergleichsmiete zum Erhöhungszeitpunkt für die Wohnung über der nach dem Berliner Mietspiegel 2013 zu ermittelnden ortsüblichen Vergleichsmiete lag, der Berliner Mietspiegel mithin insoweit falsch sein müsse.
Der vom AG Charlottenburg bestellte Prof. Dr. Krämer kam in seinem gerichtlichen Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Berliner Mietspiegel 2013 in wesentlichen Teilen nicht nach wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt worden ist und damit die Vermutungswirkung des § 558 Abs. 3 BGB, wonach der qualifizierte Mietspiegel die ortsübliche Miete wiedergibt, für den Mietspiegel 2013 (und wohl auch die früheren) widerlegt ist. Krämer moniert folgende Erstellungsfehler, die gegen wissenschaftliche Grundlagen verstoßen:

1. Fehlerhafte Lageeinteilung
Die Aufteilung des gesamten Stadtgebietes in nur drei Wohnlagen sei willkürlich. Bereits durch die Unterscheidung zwischen einem inneren und äußeren Stadtbereich bei gleichzeitiger Beibehaltung und Durchmischung der Lageklassen einfach, mittel und gut werde das Homogenitätsgebot verletzt.
So sei eine mittlere Wohnlage in der Innenstadt beispielsweise durch eine dichte, im Außenbereich dagegen durch eine offene Bebauung gekennzeichnet. Während eine mittlere Lage in der Innenstadt eine zufriedenstellende Einzelhandelsstruktur erfordere, die in einem Radius von bis zu 15 Fußminuten alle wesentlichen Güter des täglichen Bedarfs abdecke, sei dies in den Außenbereichen nur in stärker verdichteten Bereichen notwendig.
Die Einordnung mittlere Lage fasse also zwei vollkommen unterschiedliche, nicht vergleichbare Definitionen zusammen und versehe sie mit einem Wert. Zitat: „Hier werden offenbar Äpfel und Birnen in einen Topf geworfen.“ Darüber hinaus sei es zweifelhaft, ob alle Wohnlagen überhaupt richtig eingeordnet wurden. Aus der Sicht der Statistik sei es dringend angezeigt, die Wohnlagen in Innen- und Außenbezirke aufzutrennen.

2. Stichprobe nicht repräsentativ
Eine stichprobenhafte Befragung habe als erstes die Aufgabe, die gegebene Grundgesamtheit – also in diesem Fall sämtliche laufenden Mietverträge in Berlin – möglichst gut abzubilden. Je größer dabei die Anzahl der erhobenen Datensätze, desto genauer kann geschätzt werden. Im Falle des Berliner Mietspiegels 2013 wurden ca. 12.000 Datensätze von über einer Million relevanten Wohnungen ausgewertet, also ca. 1 % der Grundgesamtheit. Die Datensatzgröße sei nicht das Problem, sondern die Datenerhebung. Befragt wurden Mieter und Vermieter, wobei von über 100.000 angeschriebenen Mieterhaushalten nur ca. 10.000 antworteten. Nach Abzug von Ausfällen verschiedenster Art blieben davon etwas über 5.000 interviewte Mieter. Nach weiteren statistischen Abzügen (Kontrollinterviews, unplausible oder nicht relevante Daten etc.) könne davon ausgegangen werden, dass ca. 4.000, also knapp 1/3 der Datensätze aus Mieterbefragungen stammten.
Das bedeute, dass einem großen Teil der statistisch relevanten Daten ein Selbstauswahlprozess mit erheblicher Schwundquote vorausgegangen sei. Selbst wenn also die ursprünglich angeschriebenen Haushalte eine repräsentative Stichprobe dargestellt haben sollten, sei dies nach dem Selbstselektionsprozess nicht mehr der Fall, da davon auszugehen sei, dass nicht alle Bevölkerungsgruppen in gleichem Maße an der Umfrage teilnahmen, das Ergebnis also infolge anzunehmender sogenannter „Selbstselektion“ durch überproportionale Beteiligung nur bestimmter „Bevölkerungsgruppen“ auf Mieterseite verzerrt wurde. Die Vermutung, dass sich an der Mietspiegelerstellung „wohl eher der brave Beamte“, der „seit 20 Jahren in der gleichen Wohnung lebt und sein Geld aufs Sparbuch trägt“, der „lästigen Befragung“ zu seiner Mietsituation stelle und nicht „die vielbeschäftigten Jungmanager oder Selbständige mit den hohen Einkommen und den hohen Mieten“, sei nicht widerlegt. Erstere Haushalte seien aber „ceteris paribus“, d. h. unter der Voraussetzung, dass alle anderen außer den (vorher) genannten Variablen gleich bleiben, eher im unteren Mietpreissegment anzutreffen.

3. Berechnungsprobleme
NETOKALTMIETEN: Zur Vergleichbarkeit wurden alle erhobenen Mieten in Nettokaltmieten umgerechnet. Hierzu wurden durchschnittliche Betriebskosten je m2 herangezogen und je nach Wohnungsgröße von der Miete subtrahiert. Dieses Verfahren führe wg. wohnflächenunabhängiger Kosten bei großen Wohnungen zu einer Unter-, bei kleinen zu einer Überschätzung der Nettokaltmieten. Teilinklusivmieten seien gänzlich außen vorgelassen worden.
EXTREMWERTBEREINIGUNG: Unter Extremwertbereinigung versteht man das Ausklammern von „Ausreißern“, von Werten, die weit von zu ermittelnden Mittelwerten entfernt liegen. Hierunter fallen Gefälligkeitsmieten am unteren Ende, aber auch stark überhöhte Mieten am oberen.
Im Berliner Mietspiegel 2013 wurden für jedes Feld alle Werte, die mehr als das 2,24fache der Standardabweichung vom Mittelwert entfernt liegen, als Ausreißer gestrichen. Da aber die Standardabweichung davon abhängt, wie stark die Daten tatsächlich streuen, besteht in einem Feld, in dem die Mieten zufällig dicht beieinander liegen, die Gefahr, Werte zu früh zu streichen, in einem stärker schwankenden Feld dagegen zu spät.
SPANNENGRENZEN SIND UNGENAU: Da es sich bei der Erhebung nur um eine Stichprobe handelt, können die Spannengrenzen nur als Schätzungen verstanden werden und müssten als solche auch gekennzeichnet werden. Insbesondere wäre mit einer Verkleinerung der Preisspannen zu rechnen, wenn die vorhandenen Mietspiegelfelder nach Sonderausstattung aufgespaltet und neu berechnet würden.
SONDERMERKMALE: Die Sondermerkmale beinhalten mehrere statistische Probleme bei Flächenabgängigkeit und Wechselwirkungen. Die Annahme einer linearen Abhängigkeit zwischen Sondermerkmalen und Fläche – wie im Berliner Mietspiegel – sei nicht ohne Weiteres richtig. Beispiel: Warum solle eine moderne Küche in einer doppelt so großen Wohnung auch den doppelten Mietaufschlag rechtfertigen? Es werde auch nicht untersucht, inwieweit verschiedene Sondermerkmale einander beeinflussen, sondern unterstellt, dass diese vollkommen unabhängig voneinander seien. Ob das stimme, müsse aber statistisch überprüft werden. Darüber hinaus würden verschiedene Sondermerkmale aufgrund fehlender Signifikanz oder Unplausibilität entweder vollständig oder nur in einigen Feldern vernachlässigt. Dies entspreche nicht dem Standard der modernen mathematischen Statistik.

Nähere Informationen zu den rechtlichen Folgen und Auswirkungen auf Mieterhöhungen und Zustimmungsklagen erfahren Sie in unserer neuesten Ausgabe GE 12/2014.