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Wucherverdacht ab einer Wertabweichung von 90 %
Grundstücksverkauf: Grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung
12.05.2014 (GE 8/14, 500) Der Bundesgerichtshof hat präzisiert, ab welcher Verkehrswertabweichung bei Grundstücksverkäufen der Verdacht auf der Hand liegt, dass ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, und er hat die Abweichung (Über- oder Unterschreitung) bei 90 % angesiedelt. Ab dieser Grenze braucht es keiner weiteren Umstände, um den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu ziehen.
ER FALL: Der Kläger gab am 20. Oktober 2006 gegenüber dem Beklagten ein notariell beurkundetes Angebot zum Kauf einer Eigentumswohnung nebst Tiefgaragenstellplatz für 118.000 € ab. Der Beklagte, der die Wohnung zwei Monate zuvor für 53.000 € erworben hatte, nahm das Angebot mit notarieller Urkunde vom 14. November 2006 an. Unter Berufung auf eine sittenwidrige Überhöhung des Kaufpreises nimmt der Kläger den Beklagten auf Rückabwicklung des Vertrages und auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Die vom BGH-Senat zugelassene Revision des Klägers hatte Erfolg. Der BGH verwies die Sache zurück.

Das Urteil: Ein gegenseitiger Vertrag ist als wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn
 1. zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht (objektives Merkmal) und 2. außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und der objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt; dies ist insbesondere der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist. Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, lässt dies den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu (stRspr.).

Liegt ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor, kann man damit unmittelbar auf eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag Begünstigten schließen. Das befreit den Benachteiligten zwar nicht davon, Anhaltspunkte für die verwerfliche Gesinnung des Vertragspartners vorzutragen, doch sind daran keine hohen Anforderungen zu stellen. Es reicht aus, dass ein grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung behauptet wird. 
Von einem besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung kann – dann aber ohne Weiteres – bei Grundstücksgeschäften erst ausgegangen werden, wenn der Wert der Leistung knapp doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung. Im vorliegenden Fall hatten die Vorinstanzen den Verkehrswert mit 65.000 € angenommen. Damit lag nur eine Überteuerung von rund 80 % vor, die für sich allein die Annahme eines besonders groben Missverhältnisses nicht begründet; auch ein Wertmissverhältnis von 84%hatte dem Bundesgerichtshof nicht genügt, um ein besonders grobes Missverhältnis anzunehmen.

Um eine klare Linie in die Rechtsprechung zu bekommen, konkretisierte der BGH seine bisherige Linie – „Wert der Leistung knapp doppelt so hoch wie der Wert der Gegenleistung“ – mit „ab einer Verkehrswertüber- oder -unterschreitung von 90 %“.

Im konkreten Fall hatte der gerichtlich bestellte Sachverständige den Grundstückswert auf 65.000 € geschätzt, der Kläger hatte jedoch ein Privatgutachten eingeholt, das den Verkehrswert der Wohnung mit 61.000 € ermittelt hatte. Diese Summe hätte für die Annahme eines besonders groben Missverhältnisses ausgereicht, weil die Überteuerung dann 93 % betragen hätte. Das OLG wird jetzt den Einwendungen gegen das Gerichtsgutachten nachgehen müssen. Kommt es trotzdem zum Schluss, dass der Wertunterschied unterhalb der 90-%-Grenze liegt, kann aus der objektiven Überteuerung allein nicht der Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des beklagten Verkäufers gezogen werden, obwohl das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung immer noch auffällig, aber nicht besonders grob (= 90 % und mehr) ist. Auch bei einem „nur“ auffälligen Missverhältnis kann immer noch eine verwerfliche Gesinnung des Verkäufers vorliegen. Das müsste der Käufer dann allerdings vollumfänglich beweisen.

BGH, Wortlaut GE 2014 Seite 519