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Bürger-schlichtet-Euren-Streit-selber-Gesetz
28.11.2000 (GE 22/2000, 1493) Jetzt wird es also ernst. Der Deutsche Bundestag hat im November in erster Lesung das Gesetz zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts eingebracht. Mit diesem Gesetz wird ein Rechtsbereich neu geregelt, der immerhin rund 40 Prozent der Menschen in diesem Lande betrifft.
Eines der beiden Hauptziele der Mietrechtsreform ist eine
Vereinfachung und sprachliche Überarbeitung. Wörtlich: „Die Vereinfachung des Mietrechts i. S. von Klarheit, Verständlichkeit und Transparenz. Mieter und Vermieter sollen in die Lage versetzt werden, ihre Rechte und Pflichten auch ohne fachliche Hilfe soweit wie möglich
selbst erkennen zu können.“

Der in Fachkreisen bekannte Münchner Mieterverein „Mieter
helfen Mietern“ schrieb in einer Stellungnahme zu den sprachlichen Ambitionen des Mietrechtsentwurfs zu Recht
folgendes:
„Was immer an obsoletem Sprachgebrauch im überkommenen
BGB-Mietrecht steckt: Der Entwurf hat‘s übernommen.
Altertümliche Begriffe ebenso wie partizipiale
Klemmkonstruktionen. Der Entwurf zertrümmert den BGB-Text
und setzt ihn so zusammen als gelte es, Rechts- und
Spracharchäologen Anschauungsmaterial zur Verfügung zu
stellen, nicht aber, Rechtsanwendern im 21. Jahrhundert
verläßliches Handwerkszeug. Schlimmer noch: Klare und
unmißverständlich formulierte BGB-Vorschriften setzen die
Entwurfverfasser zu orakelhaftem Trümmertext zusammen.”
Was, so fragt der Münchner Mieterverein, solle im 21.
Jahrhundert noch ein Satz wie „die Kündigung ist ausgeschlossen, wenn der Vermieter vorher befriedigt wird“?
Derartiges könnten nur altgediente Juristen lesen oder
hören, ohne in Gelächter auszubrechen oder rot zu werden.
Oder: warum der Gesetzestext nach wie vor die alte
Formulierung „vom Hundert“ anstelle von „Prozent“ verwendet.

90 Prozent aller, die eine Schule besucht haben, dürften
wissen, was eine Lohnerhöhung um zwei Prozent bedeute, doch
90 Prozent von ihnen würden verständnislos den Kopfschütteln über die Meldung, die X-Partei habe nur um knapp eins vom Hundert die absolute Mehrheit verfehlt.

Recht haben die Münchner Mietervertreter damit und auch mit
ihrer weiteren Sprachkritik. Warum der Entwurf an einigen
Stellen das Wort „erheblich“, an anderen Stellen „nicht
unerheblich“ verwendet, bleibt dem Leser verborgen, wiewohl
er ahnt, daß dermaleinst viele Richter Stunden des Grübelns
damit verbringen werden, den Grund für den unterschiedlichen
Gebrauch herauszufinden, denn einen solchen Grund muß es -
so wird die messerscharfe juristische Logik schließen - wohl gegeben haben. Und dann wird man auch einen finden.
Seite für Seite listet der Münchner Mieterverein die
handwerklichen Mängel des Gesetzentwurfs auf. Sein Fazit in
einem Schreiben an den Bundeskanzler: reformbedürftig sei
auf jeden Fall eines, nämlich der Reformentwurf. Von
Vereinfachung keine Rede, statt bisher gut 70 Querverweisen
im BGB-Mietrecht seien es jetzt über 180. Unsicheres und
unkalkulierbares Recht sei schlechtes Recht. Ein Gesetz, das die ortsübliche Vergleichsmiete zum Maßstab erhebe, aber kein verläßliches und praktikables Instrument zur Ermittlung dieser Vergleichsmiete zur Verfügung stelle, sei ungerecht, bürde es doch alle Kosten und Risiken den Rechtsuchenden auf. Ein Gesetz, das Mietzinsstrukturen zulasse oder vorschreibe, die so kompliziert seien, daß
Betriebskostenspezialisten unter den Mietrechtsspezialisten
entstünden, sei ungerecht. Denn außer den
Spezial-Spezialisten seien alle anderen überfordert. Solchen Streit- und Prozeßbeschaffungsmaßnahmen folge dann
unweigerlich ein Gesetz zur Entlastung der Ziviljustiz,
flankiert von einem „Bürger-schlichtet-Euren-Streit-selber-Gesetz".
Dem muß man nichts hinzufügen.
Autor: Dieter Blümmel