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Bundesverfassungsgericht zieht Grenzen
Beseitigung von Altlasten
27.11.2000 (GE 16/2000, 1062) Das Bundesverfassungsgericht hat auf zwei Verfassungsbeschwerden von Eigentümern verseuchter Grundstücke verwaltungsgerichtliche Entscheidungen aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an die Fachgerichte zurückverwiesen.
Nachdem die Beschwerdeführer die Grundstücke erworben hatten, war festgestellt worden, daß sie verseucht waren. Die Behörde hatte die Eigentümer als Zustandsstörer zur Altlastensanierung verpflichtet, obwohl sie die Kontaminationen nicht verursacht hatten. In den vorangegangenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren waren die Klagen gegen die Sanierungsverfügungen abgewiesen worden.
Die Urteile verletzten nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts die Eigentümer in ihrem Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG), weil sie im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keine Erwägungen zur Begrenzung der Zustandsverantwortlichkeit enthielten, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügten.
Am 1. März 1999 trat das Bundes-Bodenschutzgesetz in Kraft. Nach diesem Gesetz sind neben dem Verursacher auch die Grundstückseigentümer (= Zustandsstörer) verpflichtet, mit Altlasten kontaminierte Grundstücke auf ihre Kosten so zu sanieren, daß dauerhaft keine Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für den Einzelnen oder die Allgemeinheit entstehen. Vor Inkrafttreten dieses Gesetzes folgten die entsprechenden rechtlichen Regelungen im wesentlichen aus dem Landesrecht.

1. Verfassungsrechtlicher Maßstab
Das Bundesverfassungsgericht führt in seiner Entscheidung folgendes aus:
Die Gerichtsentscheidungen und die Vorschriften über die Zustandsverantwortlichkeit des Grundeigentümers berührten den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Den Behörden werde die Befugnis eingeräumt, den Eigentümer zur Gefahrenabwehr auf seine Kosten zu verpflichten. Der Gesetzestatbestand setze auf seiten des Zustandsverantwortlichen nur das gegenwärtige Eigentum an dem Grundstück, von dem die Gefahr ausgehe, voraus.
Weder die landesrechtlichen Vorschriften (die Fälle betrafen Baden-Württemberg und Bayern) über die Zustandsverantwortlichkeit, auf denen die Sanierungsanordnungen beruhen, noch die Verwaltungsakte selbst stellten eine Enteignung dar, sondern bestimmen grundsätzlich in zulässiger Weise Inhalt und Schranken des Eigentums. Sie seien daher an Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG („Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt“) und an Abs. 2 („Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“) zu messen. Der Gesetzgeber habe dabei die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Insbesondere sei er an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Eigentumsbindungen dürften, gemessen am sozialen Bezug und an der sozialen Bedeutung des Eigentumsobjekts sowie im Hinblick auf den Regelungszweck, insbesondere nicht zu einer übermäßigen Belastung führen und den Eigentümer im vermögensrechtlichen Bereich unzumutbar treffen.

2. Anwendung des Maßstabs
Die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen genügten diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
a) Die Zustandsverantwortlichkeit fände in der Einwirkungsmöglichkeit auf die gefahrenverursachende Sache ihren legitimierenden Grund. Der Eigentümer könne überdies aus der Sache Nutzen ziehen. Daher begegne es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, die Vorschriften über die Zustandsverantwortlichkeit dahingehend auszulegen, daß der Eigentümer eines Grundstücks allein wegen dieser Rechtsstellung verpflichtet werden könne, von dem Grundstück ausgehende Gefahren für die Gesundheit von Menschen oder für das Grundwasser zu beseitigen, auch wenn er die Gefahrenlage weder verursacht noch verschuldet habe.
Die Belastung des Eigentümers mit den gesamten Kosten der Sanierungsmaßnahme sei allerdings nicht gerechtfertigt, soweit sie dem Eigentümer nicht zumutbar sei. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sei die Belastung des zustandsverantwortlichen Eigentümers angemessen zu berücksichtigen und mit den betroffenen Gemeinwohlbelangen abzuwägen.
Vor allem folgende Gesichtspunkte seien hierbei maßgeblich:
Ein Anhaltspunkt könne der Verkehrswert des Grundstücks nach Durchführung der Sanierung sein. Werde dieser Wert von den Kosten überschritten, entfalle in der Regel das Interesse des Eigentümers an einem künftigen privatnützigen Gebrauch des Grundstücks. Er könne darüber hinaus nicht einmal damit rechnen, die entstehenden Kosten durch Veräußerung des Grundstücks gedeckt zu erhalten. Das Eigentum könne damit für ihn gänzlich seinen Wert und Inhalt verlieren. Mehr als ein Anhaltspunkt könne der Verkehrswert allerdings unter anderem deshalb nicht sein, weil das individuelle Interesse des Eigentümers am Grundstück dessen Verkehrswert überschreiten könne.
Eine diese Grenzen überschreitende Belastung könne insbesondere dann unzumutbar sein, wenn die Gefahr, die von dem Grundstück ausgehe, aus Naturereignissen, aus der Allgemeinheit zuzurechnenden Ursachen oder von nicht nutzungsberechtigten Dritten herrühre.
Andererseits könne eine Kostenbelastung, die den Verkehrswert des sanierten Grundstücks übersteige, dann zumutbar sein, wenn der Eigentümer das Risiko der entstandenen Gefahr bewußt in Kauf genommen habe. Denn das freiwillig übernommene Risiko mindere die Schutzwürdigkeit des Eigentümers.
Aber auch dann, wenn der Eigentümer in fahrlässiger Weise die Augen vor Risikoumständen verschlossen habe, könne dies dazu führen, daß eine Kostenbelastung über die Höhe des Verkehrswerts hinaus zumutbar sei. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit könne der Grad der Fahrlässigkeit erheblich sein.
In Fällen, in denen eine Kostenbelastung über den Verkehrswert hinaus an sich zumutbar sei, könne sie nicht auf die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Eigentümers bezogen werden. Dem Eigentümer sei nicht zumutbar, unbegrenzt für die Sanierung einzustehen, das heißt auch mit Vermögen, das in keinem rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem sanierungsbedürftigen Grundstück stehe.
Dagegen könne es zumutbar sein, Vermögen zur Sanierung einzusetzen, das zusammen mit dem sanierungsbedürftigen Grundstück eine funktionale Einheit darstellt, etwa wenn dieses Bestandteil eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebes oder sonstigen Unternehmens sei.
Aber auch der Zugriff auf dieses sonstige Vermögen dürfe nur unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen.
Schließlich könne die Inanspruchnahme des Zustandsverantwortlichen mit Sanierungskosten bis zur Höhe des Verkehrswertes in Fällen unzumutbar sein, in denen das zu sanierende Grundstück den wesentlichen Teil des Vermögens des Pflichtigen bilde und die Grundlage seiner privaten Lebensführung einschließlich seiner Familie darstelle.
b) Solange der Gesetzgeber, dem es nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG obliegt, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, die Grenzen der Zustandsverantwortlichkeit nicht ausdrücklich regele, hätten die Behörden und Gerichte durch Auslegung und Anwendung der die Verantwortlichkeit und die Kostenpflicht begründenden Vorschriften sicherzustellen, daß die Belastung des Eigentümers das Maß des nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 GG Zulässigen nicht überschreite.
Sie hätten insbesondere anhand der vorstehend genannten Kriterien eine dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügende Begrenzung der finanziellen Belastung des Grundeigentümers im Rahmen einer ausschließlich auf seine Zustandsverantwortlichkeit gestützten Altlastensanierung zu gewähren. Die Verwaltung müsse bereits bei der Aktualisierung der Eigentumsbeschränkung und Zustandshaftung durch die Anordnung von Sanierungsmaßnahmen zugleich über die gegebenenfalls erforderliche Begrenzung der Kostenbelastung des Zustandsverantwortlichen entscheiden. Seien der Verwaltung die Gründe der Unzumutbarkeit im Zeitpunkt der Sanierungsanordnung nicht oder nicht vollständig bekannt, so daß über die Kostentragung zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend entschieden werden könne, sei die Sanierungsverfügung mit dem Vorbehalt einer gesonderten Kostenentscheidung zu verbinden.
Wertung: Die Entscheidung ist zu begrüßen, denn sie bringt ein zusätzliches Maß an Rechtssicherheit für Grundstückseigentümer und Investoren, wenngleich auch nach wie vor die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind. Was das Bundesverfassungsgericht zur Zustandshaftung des Eigentümers entschieden hat, dürfte auch für Mieter gelten.
BVerfG, Beschluß des 1. Senats vom 16. Februar 2000 - 1 BvR 242/91 - 1 BvR 315/99 -
Wortlaut GE 16/2000 Seite 1096