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Das Märchen der Mietminderung wegen Schimmelpilz
Handlungsleitfaden für Vermieter
28.02.2014 (GE 4/14, 240) Tritt Schimmelpilz in bewohnten Wohnungen auf, werden häufig Vermieter für die Entstehung verantwortlich gemacht. Mieter begehren von Vermietern einen Mietnachlass, weil Mieter davon ausgehen, dass der Vermieter an den Ursachen zur Bildung des Schimmelpilzes schuld sei. Da sind es zunächst märchenhafte Ursachen, die der Mieter benennt: Gern wird die „Strahlungskälte“ bemüht. Dies ist deswegen so besonders, weil eine solche „Strahlungskälte“ als physikalische Größe nicht existiert. Auch wird vorauseilend die „schlechte Bausubstanz“ und „die Unterschreitung vorgeschriebener Dämmungen“ bemüht. Dies macht mieterseitig deswegen Sinn, weil solche Behauptungen nicht bewiesen werden müssen. Vielmehr obliegt es ja dem Vermieter zu beweisen, dass die märchenhaften Behauptungen kein Märchen seien. Zur Konfliktvermeidung und Problemlösung wäre es hier ratsam, eine sachliche Herangehensweise und Ursachenforschung vorzunehmen. Konfliktvermeidung ist bares Geld.
Praxisalltag in der Haus-und Grundstückswirtschaft

Innovative Vermieter wie etwa die Wohnungsbaugenossenschaft „Vorwärts“ und viele weitere Genossenschaften und kommunale Gesellschaften setzen sogenannte Datalogger seit ca. sieben Jahren erfolgreich ein. Diese Datalogger sind z. B. kleine, 3 cm x 3 cm große Messwürfel, welche zur Daueraufzeichnung von Luftfeuchtigkeits- und Temperaturwerte eines Raumes angebracht werden können. Der technische Bereich der Vermietergesellschaften überwacht selbst durch eigenes Fachpersonal oder durch ein fremdbeauftragtes Ingenieurbüro den kompletten Ablauf einer qualifizierten Bearbeitung von eingehenden Schimmelpilzmeldungen der Mieter. Häufig handelt es sich um ausgebildete Bauingenieure, die entsprechende Erfahrungen in der Bewertung bauphysikalischer Zusammenhänge besitzen.

Ablauf und Leitfaden

1. Eingehende Information über Schimmelpilzbefall

Eine Mieterinformation über auftretenden Schimmelpilzbefall trifft ein. Achtung: Dies kann auch ein Hilferuf sein! Nicht jeder Mieter verlangt sofort eine Mietminderung.

2. Interne Zuständigkeit

Der Vorgang wird einer zentralen Person mit Prozessverantwortung hausintern zugestellt. Hier verbleibt bis zum Abschluss des Vorgangs die alleinige Zuständigkeit für die Klärung und Beantwortung des Vorgangs.

3. Terminvereinbarung mit den Mietern

Es erfolgt eine Mieter-Information über die Anbringung von Dataloggern in den schimmelbefallenen Zimmern, um eine Aufzeichnung der Lüftungs- und Heizgewohnheiten in der Wohnung zu dokumentieren. Dabei erfolgt zunächst gegenüber den Mietern keine konkrete Information über korrektes Verhalten zur Vermeidung von Schimmelpilz, da die Mieter die gewohnten Lebens- und Nutzungsgewohnheiten der Wohnung unverändert fortsetzen sollen. Somit kann eine reale Aufzeichnung der Lüftungs- und Heizgewohnheiten in der Wohnung dokumentiert werden, welches ein wichtiger Hinweis für die Ursachenforschung des Schimmelbefalls darstellt.

4. Installation der Dataloggerin der betroffenen Wohnung

Die Datalogger werden im Büro mit den Mieterdaten programmiert (Name, Adresse, Wohnungsnummer, Aufzeichnungszyklus) und gegen Quittung in der fraglichen Wohnung mit Malerkreppband oder Ähnlichem an den neuralgischen Stellen befestigt. Die Installation soll immer mindestens Paarweise, 1 x an der Fensterlaibung, 1 x in der Raummitte (z. B. Schrankwand) jeweils etwa in Augenhöhe erfolgen, um das genaue Lüftungsverhalten festzuschreiben. Wenn die Schadstellen nicht die Fensterränder betreffen, können zusätzliche Logger direkt an oder in der Nähe der Schadstellen angebracht werden.

Für die spätere Auswertung werden noch einige Fotoaufnahmen angefertigt. Dabei sollten die Lage der Heizung mit dem Thermostatventil und Strangführung, die Stellung der Möbel und eventuelle andere Faktoren, die das Raumklima beeinflussen könnten (Wäscheständer, Zuluftöffnungen), sichtbar sein.

5. Heizverhalten der Mieter

Hausintern liegen zwischenzeitlich Erkenntnisse aus den Zählerständen der Heizkostenverteiler vor, was Aufschluss über die Heizgewohnheiten der Mieter gibt.

6. Auslesung der aufgezeichnetenDaten auf dem Datalogger

Nach zwei bis vier Wochen Aufzeichnung der Messdaten in der betroffenen Wohnung kommt die Mietpartei mit den Messwürfeln in die Verwaltung. Vor den Augen der Mieter werden die aufgezeichneten Daten auf dem Datalogger ausgelesen, visualisiert und am Zeitstrahl ausgewertet. Die Mieter erhalten eine Kopie der Dokumentation!

7. Aufklärung über Grundlagen

Nach Vorlage der dokumentierten Heiz- und Lüftungsgewohnheiten erhalten jetzt die Mieter eine individuelle Beratung sowie Tipps zum „richtigen Lüften und Heizen“. Hierbei wird auch schriftliches Hinweismaterial (Zeitungsartikel, Beiträge aus Fach- und Populärliteratur) als Information mitgegeben. Zur Kontrolle erhalten die Mieter von einigen Vermietern ein kleines Messgerät ausgeliehen, welches Temperatur- und Luftfeuchte anzeigt und bei über 60 % rel. Luftfeuchte periodisch blinkt. Ein Blinken des Gerätes signalisiert den Mietern: „Fenster auf!“

8. Visualisierung und detaillierte Ergebniskommunikation

In mehr als 80 % aller gemeldeten Fälle ist die Bildung von Schimmelpilz auf das Fehlverhalten der Mieter zurückzuführen. Davon können sich die Mieter direkt überzeugen, und bei näheren Erläuterungen sind sie meist erstaunt über die Sichtbarkeit des eigenen Lüftungs- und Heizungsfehlverhaltens. In den anderen Fällen ist eine weitere bauphysikalische Auswertung bzw. ein Abgleich mit den umliegenden Räumen bzw. Wohnungen erforderlich.

9. Beseitigung aktueller Schäden

Durch eine Malerfirma des Vermieters wird eine fungizide (Antischimmel-) Behandlung auf der rohen Wand ausgeführt. Anschließend sind die Mieter für die Tapezier- und Malerarbeiten selbst verantwortlich, da sie Verursacher für die Entstehung des Schimmelpilzes sind. Hier gilt: Mitschuld = Mitlast.

Konsequenzen in der Praxis

Die Einsicht der Mieter

Die meisten Betroffenen sehen nachweislich ein, dass das Auftreten von Schimmelpilz mit dem eigenen falschen Nutzerverhalten zu tun hat. Durch die ausführliche Auswertung lassen sich die einfachen bauphysikalischen Zusammenhänge gut erläutern, was oft zu dem gewünschten „Aha-Effekt“ führt. Hierbei ist zu betonen, dass es sich um belastbare Ergebnisse aus Hunderten erledigter Fälle handelt.

Wiederholung

In der Regel bleibt nach vorgenannter Behandlung der betroffenen Stellen in der Wohnung ein erneuter Schimmelpilzbefall aus.

Gerichtsprozesse

Seit Einsatz der Messwürfel „Datalogger“ ist in keiner der anwendenden Vermietergesellschaften mehr ein Rechtsstreit zu diesem Sachverhalt notwendig geworden. Die Dokumentation ist allerdings auch voll gerichtsfest. Dies bedeutet: Sollte trotz guten Willens des Vermieters und erfolgreich durchgeführtem Dialog der Mieter eine Klage einreichen, so gilt das erhobene Datenmaterial nicht als Parteivortrag. Da der Mieter „dabei“ war, kann ein ggf. nun noch eingeschalteter Gutachter die Unter lagen zur Beweiserhebung nutzen. Es ist allerdings hinzuzufügen, dass ein solcher Fall bisher nicht aufgetreten ist.

Mietminderung

Bisher sind alle Begehren der Mieter auf Mietminderung in Verbindung mit Schimmel in der Wohnung erfolgreich und bestandssichernd abgewiesen worden.

Mieterzufriedenheit

Die betroffene Mietpartei fühlt sich in der Vorgehensweise der Problemlösung in der Regel ernst genommen und kann in vielen Fällen aktive Hilfe durch die Vermieter bei der Problembewältigung gut gebrauchen. Die Form und der Ablauf des Dialogs werden breit akzeptiert. Auch wenn das Ergebnis aus Mietersicht nicht immer zufriedenstellend ist, so wird die Versachlichung durch transparenten und plausiblen Einbezug der Mieter positiv gewertet.

Arbeitsgruppe Erfahrungsaustausch

Mittlerweile arbeiten ca. 50 Mitarbeiter in vielen Berliner Vermieterfirmen tagtäglich mit diesen Instrumenten und vermitteln so überzeugende Kompetenz, damit die Märchen verstummen. Stattdessen ist Versachlichung angesagt. Für die Zukunft ist ein halbtägiger Workshop dieser praxiserfahrenen Fachleute geplant, damit das wertvolle Prozesswissen an weitere Fachleute übertragen werden kann. Speziell die BBU-organisierten Vermieter können hier für zielführende Vermittlung dringend benötigten Fachwissens im Gespräch von Betroffenen zu Betroffenen sorgen. Weitere Details folgen ggf. in einer Rubrik „Schimmelpilzfälle aus der Praxis für die Praxis“. In jedem Fall gibt es hier einen gangbaren Weg auch für kleinere und mittlere Eigentümerstrukturen, um mit geringem Aufwand eine gerichtsfeste Schimmelpilz-Dokumentation mit begleitender Integration der Mieter anfertigen zu können. Statt der häufigen Einschaltung teurer Ingenieurbüros können viele Routinearbeiten durch alle Excel-erfahrenen Bürokräfte erledigt werden.
Autor: Jörg Lorenz, Sachverständiger Bautenschutz DHBV, [email protected]


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