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Das neue Gesetz der großen Zahlen
10.03.2009 (GE 05/2009, 273) In der mathematischen Statistik gilt das Gesetz der großen Zahlen. Es besagt, dass bei Massenbeobachtungen Zufallsschwankungen eine umso geringere Rolle spielen, je größer die beobachtete Masse ist. Das gestattet praktische Hilfen z. B. beim Planen von Lottogewinnen oder der Wahlprognose (auch eine Unterart von Lotterie).

Das neue Gesetz der großen Zahlen

Seit kurzem ist eine Entwicklung zu beobachten, die ebenfalls das Prädikat „Gesetz der großen Zahlen“ verdient. Gemeint sind jene Zahlen, die Geldmengen bezeichnen, die wahlweise die Dimension der weltweiten Finanzkatastrophe oder den Kampfgeist der Politiker, es nicht zu einer solchen kommen zu lassen, illustrieren. Das neue Gesetz besagt Dreierlei.
Erstens: Der globale Roulettetisch hat eine Größe erreicht, die der menschliche Verstand nicht mehr erfassen kann. Wir versuchen es natürlich trotzdem.
Nehmen wir z. B. den Rettungsschirm des Bundes für angekränkelte Banken mit seinem Gesamtvolumen von 480 Milliarden €. Versuchte man diese Summe mit 50-€-Scheinen auszulegen, würden 103 km² vollständig bedeckt, ziemlich genau die Fläche von Steglitz-Zehlendorf.
Zweiter Aspekt des neuen Gesetzes: Die gehandelten Zahlen werden von Tag zu Tag größer. Ein Beispiel ist der Risikoabschirmungsbedarf der Hypo Real Estate, Anfang 2008 vom Vorstand mit ca. 400 Mio. € beziffert. Das erste Hilfspaket neun Monate später betrug bereits 35 Milliarden €, derzeit ist die 100 Milliarden-Grenze überschritten.
Höher geht es jetzt nur noch über die Vermengung von Begriffen. Also erfährt man dieser Tage, dass die HRE riskante Derivatgeschäfte, von denen höchstens jeder tausendste Bundesbürger ahnt, was das überhaupt ist, im Nominalwert von 900 Milliarden € in der Bilanz hat oder auch daneben. Aber das sei ja gar nicht viel im Vergleich zur Deutschen Bank. Die nannte im Geschäftsbericht 2007 ein nominales Derivatevolumen von über 47 Billionen €. Müsste man diese Summe in 50-€-Scheinen materialisieren, könnte man damit das Land Niedersachsen plus Hamburg und Bremen bedecken. Der Grusel, der sich beim von der x-ten Bonitätsdurchleuchtung geplagten Otto Normalkreditnehmer einstellt, ist verständlich.
Dritter Aspekt des neuen Gesetzes: Die Reaktion der Gesellschaft wird immer apathischer, bisherige bedrohliche Zahlen entwerten sich rasant. Wen interessieren angesichts der astronomischen Summen noch Peanuts (wir erinnern uns an die Schneider-Pleite: ein Deutsches-Bank-Peanut gleich 50 Mio. DM) wie die Verluste Berlins von 107 Millionen € durch Streichung der Anschlussförderung. Selbst der Risikoschirm für die Bankgesellschaft Berlin von 21 Milliarden € schrumpft so auf die Größe der bunten Schirmchen auf dem Eisbecher.
Das Problem sind nicht die großen Zahlen. Die lernte man bereits kennen, wenn man aus Opas Erbtruhe ehrfürchtig einen Hundert-Billionen-Reichsmark-Schein in die Hand nahm. Das Problem ist die Verzerrung der Proportionen. Im Schatten der genannten Unsummen macht sich ein Forderungspopulismus breit, der unter Verweis auf eigene, viel geringere Forderungen dem riesigen öffentlichen Schuldenberg noch draufsatteln will.
Man muss nicht Kassandra sein, um die Gefahren für die Geldstabilität zu sehen. Geld ist materialisiertes Vertrauen. Geht es verloren, sind viele andere Grundwerte der Gesellschaft bedroht. Das neue Gesetz der großen Zahlen muss daher lauten: Geht’s auch eine Nummer kleiner?
Autor: Dr. Bernd Strehlow