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HOAI als eigentlicher Auslöser von Architektenstreitigkeiten
24.11.2000 (GE 6/2000, 393) Ersparte Aufwendungen nach gekündigtem Architektenvertrag
I. Probleme in der Architektenschaft
Warum muß sich der BGH überproportional mit Architektenstreitigkeiten befassen? Die Frage kann nicht in einem Satz beantwortet werden. Auch gibt es nicht nur einen Grund, der für dieses Problem ursächlich ist. Allerdings läßt sich die Ursache sehr deutlich eingrenzen. Sie heißt: Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI).

1. Warum ist dies so? Es ist bekannt, daß die deutsche HOAI einzigartig ist. Dies ist nicht ironisch gemeint. Immerhin beneidet uns das gesamte europäische Ausland um unsere HOAI. Die Länder, die etwas Vergleichbares hatten, haben dies zwischenzeitlich abgeschafft, was dazu geführt hat, daß im Bereich der Architekten - das Folgende gilt weitgehend auch für den Ingenieurbereich - ein deutlicher Einnahmerückgang zu verzeichnen war. Dieser ging in einigen Ländern bis an die Grenzen des Existenzminimums.
Wie gesagt, diese Länder hätten gerne die HOAI wieder zurück. Dies vorwiegend deshalb, weil dort die Honorare nicht nur festgeschrieben sind, sondern weil ihnen die Mindestsatzvorgaben der HOAI als Existenzminimum fehlen. Allerdings hat auch in Deutschland die Mindestsatzregelung nur noch begrenzt Gültigkeit. Zu oft wird sie unterlaufen. Selbst „angesehenste“ Auftraggeber verhandeln mit Architekten/Ingenieuren über Unterschreitungen der Mindestsätze. Oftmals geschieht dies nur „mittelbar“. Mittelbar bedeutet, daß keine ausdrücklichen Umgehungen vereinbart werden, sondern der Architekt wird ganz einfach nicht mit dem vollen Leistungsumfang eines HOAI-Leistungsbildes beauftragt. Dies ist an sich zulässig. Unzulässig wird dies nur dann, wenn der Architekt seine Leistung/Werkerfolg nur dann erbringen kann, wenn er die gesamte Leistungspalette bringt. Bestes Beispiel ist eine Beauftragung des Architekten allein mit der Genehmigungsplanung - d. h. ohne die Leistungsphasen 1 bis 3. Dies ist zulässig, wenn die Phasen 1 bis 3 vom Auftraggeber oder von Dritten erbracht werden und die entsprechenden Ergebnisse dem Architekten zur Verfügung gestellt werden. Geschieht dies allerdings nicht, und wird der Architekt nur mit der Phase 4 beauftragt, muß er die Phasen 1 bis 3 erbringen, will er eine vernünftige Genehmigungsplanung vorlegen. Wenn er dann für die Phasen 1 bis 3 gleichwohl nicht bezahlt wird, stellt dies eine unzulässige mittelbare Umgehung der Mindestsatzregelung dar. Locher, der Vater des HOAI-Kommentars Locher/Koeble/Frik, hat dies bereits im Jahre 1995 in einem Aufsatz in der Zeitschrift „baurecht“ sehr deutlich gemacht (BauR 1995, S. 146, Locher: Unlauterer Wettbewerb von Architekten und Ingenieuren durch Verstöße gegen Bestimmungen der HOAI und des Standesrechts).

2. Was sind nun die Schwächen der HOAI? Sie liegen darin, daß die HOAI mit dem heutigen Geschehen am Bau nicht mehr Schritt halten kann. Man denke nur daran, daß einer der Grundsätze bei Schaffung dieser Honorarordnung darin lag, daß der Architekt/Ingenieur streng nach den einzelnen Leistungsphasen der verschiedenen Leistungsbilder vorzugehen hat. So darf er eine folgende Leistungsphase erst beginnen, wenn die zuvor festgeschriebene beendet ist. Daß dies bei dem heutigen Zeitdruck am Bau gar nicht möglich ist, dürfte unstreitig sein.
Ebenso hat der zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in den letzten Jahren in zahlreichen Entscheidungen deutlich gemacht, daß die Leistungsbilder bzw. Leistungsphasen der HOAI für eine Beschreibung des geschuldeten Leistungsumfanges nicht ausreichend sind. Die HOAI ist insoweit zu lange als ein „Ersatz-BGB“ bezüglich des Architekten-Werkvertrages verstanden worden. Der VII. Senat des Bundesgerichtshofes hat damit aufgeräumt. Dies ist auch zutreffend. Die HOAI ist eben nur eine Gebührenordnung und nicht ein Instrument, um die in einem Architektenvertrag gegenseitig geschuldeten Leistungen zu beschreiben. Dies ist in der Vergangenheit jedoch zu oft anders gesehen worden.1) Folge dieser Entwicklung ist, daß ein Architektenvertrag heutzutage eben gerade nicht allein mit Verweisung auf die Leistungsphasen der HOAI fixiert werden kann. Es ist vielmehr notwendig, daß sich die Parteien „zusätzlich“ - vergleichbar einer Leistungsbeschreibung im Bauvertrag - Gedanken über das machen und dies auch fixieren, was sie sich in einem solchen Vertrag tatsächlich gegenseitig schulden. Angesprochen ist dabei in erster Linie dasjenige, was der Auftraggeber von seinem Architekten erwartet. Zu denken ist zunächst einmal an seine Vorstellung, was für ein Gebilde er haben möchte, beispielsweise wieviele Quadratmeter Gewerberaum, wieviele Quadratmeter Wohnfläche, welche Nutzungsmöglichkeiten gegeben sein müssen, bis hin zur Frage, welche Bausumme nicht überschritten werden darf.2)

3. Die Schwächen der HOAI hat man in fünf Novellierungen nicht in den Griff bekommen. Die sechste Novelle steht an. Ob sie eine Änderung bringt, ist bereits heute zu bezweifeln. Tatsache ist, daß sich der Bundesgerichtshof in einem weit höheren proportionalen Maße mit Architektenstreitigkeiten befassen muß, als diese Vertragsart im Vergleich zum Bauvertrag vorkommt. Dabei haben sich zahlreiche Probleme festgeschrieben, die vom BGH - was an sich nicht üblich ist - in fast regelmäßig wiederkehrendem Turnus erneut entschieden werden müssen. Dies spricht deutlich dafür, daß die zugrunde liegenden Probleme in der Praxis nicht ausreichend zur Kenntnis genommen werden.

II. Urteil des BGH
vom 28. Oktober 1999
Um dem Leser aufzuzeigen, wie intensiv sich der VII. Senat mit solchen Architektenstreitigkeiten befassen muß, werden im folgenden die sieben verschiedenen Leitsätze wörtlich abgedruckt, die der BGH allein in diesem Urteil ausgesprochen hat. Im folgenden werden einige dieser Leitsätze noch kurz kommentiert:

1) Auch Architekten und Ingenieure müssen mit der Schlußrechnung die ersparten Aufwendungen aus einem gekündigten Werkvertrag konkret abrechnen, wenn sie die Vergütung nach § 649 Satz 2 BGB fordern (im Anschluß an BGH, Urteil vom 21. Dezember 1995 - VII ZR 198/94 = BGHZ 131, 362, 365 und Urteil vom 8. Februar 1996 -VII ZR 219/94 = BauR 1996, 412 = ZfBR 1996, 200).

2) Personalkosten gehören grundsätzlich nur dann zu den ersparten Aufwendungen, wenn sie infolge der Kündigung nicht mehr aufgewendet werden müssen. Der Architekt muß sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er durch anderweitigen Einsatz des Personals erwirbt.

3) Der Architekt muß sich grundsätzlich nicht solche Personalkosten anrechnen lassen, die dadurch entstehen, daß er eine rechtlich mögliche Kündigung des Personals nicht vorgenommen hat.

4) Ersparte Kosten freier Mitarbeiter oder Subunternehmer muß der Architekt konkret vertragsbezogen ermitteln. Ein aus der Vergütung nach der HOAI berechneter durchschnittlicher Stundensatz ist keine tragfähige Grundlage für diese Berechnung.

5) Der Architekt muß sich diejenigen sachlichen, projektbezogenen Aufwendungen als Ersparnis anrechnen lassen, die er infolge der Kündigung nicht hat und die mit der Vergütung abgegolten werden. Es genügt in der Regel, wenn er die Sachmittel zusammenfassend so beschreibt und bewertet, daß der Auftraggeber in der Lage ist, die Richtigkeit des dafür angesetzten Betrages beurteilen zu können.

6) Anderweitigen Erwerb muß der Architekt nachvollziehbar und ohne Widerspruch zu den Vertragsumständen angeben. Zur Offenlegung seiner Geschäftsstruktur ist er nicht von vornherein verpflichtet.

7) Die Nichtberücksichtigung der Abschlagszahlung in einer Schlußrechnung führt nur dann zur fehlenden Prüffähigkeit, wenn das Informations- und Kontrollinteresse des Auftraggebers deren Berücksichtigung erfordert (Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 9. Juni 1994 - VII ZR 87/93 = BauR 1994, 655 = ZfBR 1994, 219).

III. Kommentierung einiger Leitsätze
1. In den Leitsätzen 1 bis 6 befaßt sich der BGH mit der Problematik des § 649 Satz 2 BGB. Hierbei handelt es sich um einen Streitpunkt, der seit dem zitierten Urteil vom 21. Dezember 1995 die Bauwelt beschäftigt hat. Dies sowohl im Bauunternehmerbereich, als auch bei der Architektenschaft.
Es handelt sich um die Frage, was geschieht, wenn ein Bau- oder Architektenvertrag vor endgültiger Durchführung von einer Partei vorzeitig gekündigt wird. Kündigende Seite ist dabei in überwiegender Zahl der Auftraggeber. Teilweise hat dies sogar zu dem „Sport“ geführt, Bau- und Architektenverträge „vorsätzlich“ kurz vor endgültiger Durchführung unter fadenscheinigen Gründen außerordentlich zu kündigen. Dies in Kenntnis der zitierten Entscheidung vom 21. Dezember 1995. In dieser hatte der BGH sehr hohe Anforderungen für die Abrechnung eines gekündigten Werkvertrages aufgestellt. Dies unabhängig davon, wer den Vertrag gekündigt hat, und ob derjenige tatsächlich einen Grund zur Kündigung hatte. Dies läßt sich damit begründen, daß selbst bei Fehlen eines außerordentlichen Kündigungsgrundes diese Kündigung in eine ordentliche umzudeuten ist. Folge hiervon ist, daß dem gekündigten Werkunternehmer Anspruch auf seine volle Vergütung, allerdings abzüglich ersparter Aufwendungen und des sog. anderweitigen Erwerbs, zusteht. Dies entspricht der Regelung des § 649 Satz 2 BGB.
Problem der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes war es nun, daß die Anforderungen für eine entsprechende korrekte Abrechnung seitens des Werkunternehmers so hoch angesetzt worden waren, daß diesem in der Praxis kaum Genüge getan werden konnte. Land- und auch Oberlandesgerichte haben entsprechende Vergütungsklagen der Werkunternehmer in Einmütigkeit als „unschlüssig“ zurückgewiesen. Die Begründung ging regelmäßig dahin, daß die vom Architekten/Werkunternehmer vorgelegte Abrechnung für den gekündigten Teil des Vertrages nicht nachvollziehbar, d. h. nicht schlüssig sei. Letztendlich führte dies sogar dazu, daß Architekten entsprechende Verträge nur noch mit Sachverständigengutachten abrechnen konnten. Dies ist an sich eine Absurdität. Wenn ein Unternehmer in unserer Gesellschaft nur noch mit Sachverständigen abrechnen kann, kann dies nicht mehr richtig sein.
„Glücklicherweise“ für die Architekten hat der Bundesgerichtshof diese erste Entscheidung in Folgeurteilen - zwar zunächst bestätigt - später jedoch abgeschwächt (vgl. BGH Urt. vom 24. Juni 1999, VII ZR 229/98 = BB 1999, 2053).
2. Die hier vorliegende Entscheidung besagt zusammengefaßt nun folgendes:
„Auch Architekten/Ingenieure“ müssen bei einer Abrechnung nach § 649 Satz 2 BGB - d. h. wenn der Vertrag vorzeitig gekündigt wurde - die von ihnen ersparten Aufwendungen „konkret“ darlegen. Hierzu gehören beispielsweise auch Personalkosten; dies jedoch nur dann, wenn sie infolge der Kündigung nicht mehr aufgewendet werden müssen. Der Architekt muß allerdings darlegen, was er durch einen „anderweitigen Einsatz“ dieser Personen einnimmt. Dieser Part gilt dann als erspart bezüglich des ersten Auftrages.
Das Urteil geht weiter darauf ein, daß der Architekt entsprechendem Personal nicht in jedem Falle kündigen muß. Aus anderen Urteilen geht insoweit hervor, daß ein Architekturbüro schließlich eine gewisse Kontinuität aufweisen muß. Schwieriger wird es allerdings wiederum bei ersparten Kosten für freie Mitarbeiter oder Subunternehmer des Architekten. In diesem Falle muß er ersparte Aufwendungen konkret belegen. Im Leitsatz Nr. 5 wird dies für „projektbezogene Aufwendungen“ ein wenig erleichtert. In diesem Bereich läßt es der BGH genügen, daß die ersparten Sachmittel „zusammenfassend beschrieben und bewertet“ werden. Eine Einzelauflistung ist in diesem Falle in der Praxis auch kaum möglich.
Auch im Bereich des sog. anderweitigen Erwerbs muß der Architekt nachvollziehbar vortragen. „Nachvollziehbar“ bedeutet, daß der Auftraggeber aus diesen Angaben exakt entnehmen können muß, welche anderweitigen Einnahmen der Architekt hatte. Einschränkend führt der BGH aus, daß diese nicht so weit gehen kann, daß der Architekt seine Geschäftsstruktur offenlegen muß. Da hier der Begriff „von vornherein“ verwendet wird, kann dies allerdings im Einzelfall wiederum anders sein. In der Praxis wird dies oftmals dazu führen, daß der Architekt seinen gesamten Geschäftsbereich bezüglich Auftragsvolumen darlegen muß.
3. Der letzte Leitsatz mit der Nr. 7 befaßt sich dann noch mit einem anderen Problem des Vergütungsbereiches. In vorliegendem Falle hatte der Architekt in seiner Schlußrechnung vorangegangene Abschlagszahlungen nicht ausreichend berücksichtigt. Die Auftraggeberseite hatte daraufhin wiederum die altbekannte „fehlende Prüffähigkeit“ gerügt. Der BGH hat hier gleichwohl eine Prüffähigkeit der Rechnung angenommen. Dies mit der Begründung, daß allein auf das „Informations- und Kontrollinteresse“ des Auftraggebers abzustellen sei. Wenn dieses nicht tangiert werde, könne man auch nicht von einer fehlenden Prüffähigkeit sprechen.

IV. Fazit
An diesem Urteil fällt auf, daß sich der Bundesgerichtshof bei der Abfassung seiner Leitsätze nicht nur große Mühe gegeben hat, sondern man muß den Eindruck gewinnen, daß er den Architekten/Ingenieuren regelrecht Abrechnungshilfen für die Zukunft geben will. Dies ist dem Senat hoch anzurechnen. An sich ist dies nicht seine Aufgabe. Entsprechendes haben an sich der Gesetzgeber oder die beratende Anwaltschaft zu leisten. Das Urteil belegt jedoch wieder erneut, welche Informationsdefizite in diesem Bereich noch vorherrschen. Diese gehen derzeit immer noch zu Lasten der Architekten- und Ingenieurschaft. Entsprechendes sollte so schnell wie möglich geändert werden. Es ist schade, daß hierfür gesetzgeberische Anpassungen derzeit noch nicht einmal im Raume stehen. Zwar soll das Werkvertragsrecht zugunsten der Auftragnehmer angepaßt werden - wegen der zu hohen Außenstände -, auf die hier angesprochene Problematik sollte das Justizministerium jedoch ebenfalls aufmerksam werden.

1) Der Verfasser dieses Artikels hat hierzu auf der Halbjahresveranstaltung der ARGE-Baurecht des Deutschen Anwaltsvereins im März 1999 das Einführungsreferat zur Frage gehalten, wie die gegenseitigen Leistungspflichten im Architekten-/Ingenieurvertrag zu beschreiben sind.
2) Vgl. hierzu den Aufsatz des Verfassers (BauR 1996, 316, Wirth: Der neue Einheits-Architekten-Vertrag für Gebäude - Soll er in der Praxis verwendet werden?).
BGH
Urteil
28. Oktober 1999
- VII ZR 326/98 -
Den Wortlaut des gesamten Urteils finden Sie abgedruckt in der Zeitschrift DAS GRUNDEIGENTUM (Nr./Jahr/Seite) 6/2000, 406.

Autor: Prof. Dr. Axel Wirth