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Im Auge des Rechts
Unjuristische Betrachtungen einer Vorsitzenden Richterin am Landgericht
14.08.2008 (GE 15/2008, 937) In der Natur gibt es Flachaugen, Grubenaugen, Facettenaugen, Lochaugen, und in der Jurisprudenz existiert das Auge des Rechts, dessen anatomischer Aufbau im Einzelnen noch nicht hinreichend erforscht ist.

Im Auge des Rechts

Es darf jedenfalls – auch im Mietrecht – nicht nach Belieben geschlossen werden: So sollen Abmahnungen dem Mieter sein Fehlverhalten „vor Augen führen“ (BGH vom 20. Februar 2008 - VIII ZR 139/07 -, GE 2008, 473), weswegen diese naturgemäß offenzuhalten sind; Schaben, aber auch Flächenabweichungen in der Wohnung müssen dem Mieter „ins Auge springen“ (LG Hamburg vom 9. März 1999 - 316 S 180/98 -, WuM 2001, 24; LG Berlin vom 2. Februar 2006 - 67 S 345/05 -, MM 2007, 333), was durchaus unangenehm sein kann, und manchmal weist der Vermieter im Rahmen seiner Eigenbedarfskündigung auch nur bescheiden darauf hin, „dass er die Augen nicht vor der Situation der (durch ihn gekündigten) Beklagten verschließe …“ (AG Witten vom 20. Oktober 2006 - 2 C 768/06 -, ZMR 2007, 43), worüber dieser sich seinerseits verhalten freuen darf.
Der besorgte Gesetzgeber schließlich richtet seine Sehorgane fast überall hin: „Speziell für die Wohnungsmiete und die Schutzvorschrift des § 569 Abs. 3 BGB gilt zudem, dass der Gesetzgeber in erster Linie dort den Schutz des Mieters im Auge hatte …“ (AG Hamburg-Bergedorf vom 30. August 2005 - 409 C 168/05 -, ZMR 2005, 876).
Das Gericht in seiner vermuteten Weisheit muss Sinn und Zweck von gesetzlichen Neuregelungen „im Auge … behalten …“ (AG Wedding vom 25. Juni 2002 - 15 C 553/01 -, GE 2003, 327), der Rechtsanwalt hingegen hat profanere, nämlich meteorologische Pflichten. Er ist – damit er nicht den Verhandlungstermin verpasst – „gehalten …, die weitere Entwicklung des herbstlichen Wetters im Auge zu behalten, um notfalls kurzfristig auf alternative Verkehrsverbindungen oder Verkehrsmittel, insbesondere den Abflug von einem anderen Flughafen oder die Wahl der Deutschen Bahn, umzudisponieren …“ (BGH vom 22. März 2007 - IX ZR 100/06 -, NJW 2007, 2047).
Ophtalmologen, im Mittelalter auch als Starstecher betitelt (ja, sie taten das, was Sie gerade befürchten), hätten ihre Freude an all den zahllosen juristischen Fremdkörpern im Auge des Rechts. Mitunter sind diese Körperteile indes – hier vom Besitzer selbst verschuldet – vorübergehend unzuverlässig: „Die Aussage der Zeugin ... war bereits unergiebig. Die Zeugen schilderte lediglich ein Vorkommnis vor vier Jahren, als sie bei einer Feier in der Wohnung der Klägerin Atemnot bekam und ihr die Augen tränten. Sie habe den Eindruck gehabt, dass aus der Steckdose etwas herauskam …“(?) (LG Berlin vom 29. April 2003 - 65 S 372/02 -, GE 2003, 955). Ah ja!!!
Sofern das, was ins Auge kam, nicht dorthin gehört, wird jedenfalls als Erste-Hilfe-Maßnahme empfohlen:
– Oberflächliche Fremdkörper können vorsichtig mit einem sauberen Taschentuch entfernt werden. Dabei in Richtung des inneren Augenwinkels wischen. Man kann auch versuchen, den Fremdkörper mit Wasser auszuspülen.
– Feststeckende Fremdkörper im Auge belassen.
– Bei schweren Verletzungen beide Augen mit einem sterilen Tuch abdecken und sofort den Notarzt rufen.
„Schwarz bedecket / Sich die Erde; /
Doch den sichern Bürger schrecket / Nicht die Nacht, /
Die den Bösen grässlich wecket; / Denn das Auge des Gesetzes wacht.“
Schiller, Die Glocke
Autor: Regine Paschke