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Über „den Wald vor Bäumen...“
Unjuristische Betrachtungen einer Vorsitzenden Richterin am Landgericht
26.05.2008 (GE 10/2008, 617) Binsenweisheiten sind auch nicht mehr das, was sie mal waren: „Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“, postuliert der Volksmund, ohne zu ahnen, wie wenig das Sprichwort zutrifft, wenn die „zwei“ jeweils Mieter und „der Dritte“ Vermieter ist und die Natur buchstäblich ihren Lauf nimmt.

Über „den Wald vor Bäumen...“

Die folgenden Schilderungen beruhen auf wahren Tatsachen, lediglich die Namen der Beteiligten sind bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt: Auf einem Hausgrundstück wächst – was zweifellos sein gutes Recht ist - ein Baum still vor sich hin. Als Mieter Nörgel seinerzeit ins 1. OG zog, war der Baum noch klein und zart, und Mieter Nörgel hatte freie Sicht auf den Garten. Jetzt ist der Baum größer und stärker und Mieter Nörgel immer ungehaltener, denn vor seinem Balkon lässt der Baum mittlerweile die Zweige im Wind schweben und wirft Schatten. Nörgel kann die auf dem Spielplatz tobenden Kinder nicht mehr sehen, so dass sein tägliches Ärgernis – und damit ein nicht unerheblicher Teil des Lebenselixiers – entfällt. Er beginnt, die Miete zu mindern.
Mieterin Geiz ist erst vor kurzem ins Dachgeschoss des Hauses eingezogen und freute sich sofort über den kräftigen, schattenspendenden Baum. Nicht nur, dass die kostspielige Anschaffung von Jalousien für sie entbehrlich ist, nein, auch die Dachterrasse kann halb bis ganz unbekleidet betreten werden, was Frau Geiz im Sommer gerne in Anspruch nimmt. Mit fortschreitendem Alter des schnell wachsenden Baumes nehmen indes dessen Zipperlein zu, womit ja nicht nur Bäume zu kämpfen haben sollen. Auch droht der eine oder andere große Ast hinab zu stürzen und könnte Sach- und Menschenschaden anrichten. Vermieter Umsicht erwägt daher, den Baum, wenn nicht sogar zu fällen, so doch kräftig zu stutzen und teilt dies den Mietern mit. Herr Nörgel ist begeistert ob der möglicherweise wiederkehrenden freien Sicht, obwohl ihm jeder nicht mit dem Vermieter stattfindende (Rechts-) Streit das Leben auch ein wenig sinnloser erscheinen lässt. Frau Geiz hingegen wird von mittlerer Panik in Ansehung der zukünftig notwendigen Anschaffung von Jalousien erfasst. Sie möchte auf der Terrasse auch weiterhin unsichtbar sein und droht mit Minderung, falls ihre Wohnung sonnig würde. Ein klassisches Dilemma …
Selbst die Justiz im wenig naturverwöhnten Ruhrgebiet kennt die Unausweichlichkeiten der Flora und hält Naturgesetze nicht für einen vom Vermieter zu beseitigenden Mangel: „Bei Pflanzen ist es aber so, dass diese in der vorliegenden Form nicht ein für alle Mal so bleiben. Genauso, wie man sich darauf einrichten muss, dass Bäume und Sträucher wachsen und deshalb eine zunehmende Beeinträchtigung von diesen ausgehen kann, genauso gehört es zur ordnungsgemäßen Instandhaltung von solchen Pflanzen, dass diese, …, auch einmal gefällt und beseitigt werden.“ (AG Dortmund vom 12. Februar 2003 - 125 C 9966/03 -, n. v.). Und in Berlin weiß man: „Der Abwurf der Nadeln, Zapfen etc. ist vielmehr eine natürliche Gegebenheit.“ (VG Berlin, GE 2003, 533).
Am Ende sind Bäume aber auch nur irgendwie menschlich: Manche stehen „im besten Mannesalter“, sind – weil „auf der höchsten Stelle einer Kuppe aufgewachsen“ – „an die auf der Höhe herrschenden Windverhältnisse gewöhnt“ (BGH, MDR 1962, 378) und werden zum Objekt wohlmeinender Binsenweisheiten: “… im Winter ist es im Allgemeinen für den botanisch nicht näher geschulten Durchschnittsbürger schwieriger, eine Baumart zu bestimmen als in der Vegetationsperiode …“ (LG Berlin, InfoM 2006, 234). Vor allem, wenn ein Wald davor steht …
Wie der Baum fällt, so bleibt er liegen. Deutsches Sprichwort
Autor: Regine Paschke