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Gleichbehandlung der "Mieter" in genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen
20.11.2000 (GE 5/2000, 314) Die Vermietung von Neubauwohnungen, die mit öffentlichen Fördermitteln im 2. Förderweg gebaut wurden, ist immer schwieriger geworden.
I. Einführung
Seit Jahren schlagen sich die Wohnungsunternehmen mit Leerständen und Zwangsmittelandrohungen der Fördermittelgeber (z. B. IBB) herum. Die Wohnungen können zu den ursprünglich kalkulierten Kostenmieten wegen der zurückgehenden Nachfrage nicht mehr vermietet werden, und bei Leerständen von mehr als drei Monaten droht die IBB mit Vertragsstrafen1). Inzwischen haben die Wohnungsunternehmen überwiegend der Marktentwicklung folgend die Mieten gesenkt, da droht den Wohnungsbaugenossenschaften unter ihnen neues „Unheil“: Sie haben Nutzungsverträge mit den Mitgliedern über Genossenschaftswohnungen geschlossen, in denen die Nutzungsentgelte trotz gleicher Ausstattung und Lage des Wohnraums - oftmals in demselben Haus - unterschiedlich hoch sind. Die Differenzen betragen bis zu 25 % der Nettokaltmiete. Die Wohnungsbaugenossenschaften begründeten die hiermit verbundene Ungleichbehandlung der Mieter - unter Berufung auf eine interne Stellungnahme des Prüfungsverbandes - mit der veränderten Marktlage.
Anders als der „normale“ Vermieter von Wohnraum unterliegt das genossenschaftliche Wohnungsunternehmen aber dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Damit stellt sich die Frage, ob dieser Grundsatz in das Nutzungs- bzw. Mietverhältnis zwischen der Wohnungsbaugenossenschaft und ihren Mitgliedern in der Weise einwirkt, daß die vertraglichen Konditionen bei vergleichbarer Inanspruchnahme der Förderleistungen (z. B. Wohnraum gleicher Art und Güte) gleich zu gestalten sind, oder ob es der Genossenschaft unter Hinweis auf die Marktverhältnisse gestattet ist, gleiche Fälle ungleich zu behandeln. Reichweite und Grenzen der Gleichbehandlung sind durch zwei Entscheidungen des Landgerichts Berlin aus den Jahren 1998 und 1999 für den Bereich der genossenschaftlichen Wohnungswirtschaft in wesentlichen Punkten weiter konkretisiert worden.
II. Der genossenschaftsrechtliche Gleichbehandlungssatz
Das genossenschaftsrechtliche Gleichbehandlungsprinzip ist Ausdruck der gegenseitigen Treuepflicht und findet darüber hinaus seine Grundlage im Wesen der Genossenschaft als Fördergemeinschaft der Mitglieder2). Die Gleichbehandlung kommt nur den Genossenschaftsmitgliedern zugute, Nichtmitglieder haben hierauf keinen Anspruch. Wohnungsbaugenossenschaften stellen ihre Wohnungen in aller Regel nur Mitgliedern zur Verfügung, die eine bestimmte Anzahl von Geschäftsanteilen übernommen haben.
Hinsichtlich der Ausübung der mitgliedschaftlichen Rechte, z. B. in bezug auf die Höhe der zu übernehmenden Geschäftsanteile (§ 7 GenG) oder der Haftsumme (§ 6 GenG) sowie die Kündigung der (freiwilligen) Geschäftsanteile, haben die Mitglieder Anspruch auf absolute Gleichbehandlung3) durch die Genossenschaft, d. h. es besteht insoweit keine Möglichkeit, in verschiedenen Fällen anhand eines Maßstabs unterschiedlich zu gewichten. Es wäre beispielsweise ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn die Genossenschaft dem Mitglied A Geschäftsanteile zu 200 DM und dem Mitglied B nur zu 100 DM abverlangen würde.
Demgegenüber findet auf die förderrechtliche Beziehung zwischen Genossenschaft und Mitgliedern, insbesondere bei der Inanspruchnahme genossenschaftlicher Leistungen (wie z. B. der Nutzung einer Wohnung), der Grundsatz relativer Gleichbehandlung Anwendung. Dies bedeutet nach h. M., „daß jedes Mitglied bei gleichen Voraussetzungen das Recht auf Gewährung gleicher Rechte und auf Auferlegung lediglich gleicher Pflichten hat, und daß bei ungleichen Voraussetzungen eine sachlich angemessene Differenzierung der Rechte und Pflichten der Mitglieder gerechtfertigt ist; Ungleiches wird nach seiner Eigenart behandelt“4). Das Gleichbehandlungsgebot soll danach keine exakte mathematische Gleichbehandlung aller Mitglieder erfordern, sondern vielmehr der Genossenschaft einen Ermessensspielraum einräumen, der seine Schranken im Ermessensmißbrauch finde5). Allerdings hat der BGH in bezug auf die Inanspruchnahme von Genossenschaftseinrichtungen entschieden, daß ein verschiedenes Ausmaß dieser Inanspruchnahme auch zu einer unterschiedlichen Belastung der Mitglieder führen kann, „wenn nur der Maßstab dafür gleich ist“6). Das Gebot relativer Gleichbehandlung läßt also nicht etwa - wie zuweilen angenommen wird - „sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung“ zu, sondern verlangt eine willkürfreie, auf sachlich nachvollziehbare Kriterien gestützte Behandlung der Mitglieder, die den unterschiedlichen Verhältnissen, z. B. hinsichtlich Art und Umfang der Nutzung genossenschaftlicher Einrichtungen, Rechnung trägt und dadurch „in Relation“ die Mitglieder gleich behandelt. Die relative Gleichbehandlung der Mitglieder realisiert also in der Leistungsbeziehung kein geringeres Maß an Gleichheit, sondern bringt diese auf der Grundlage der unterschiedlichen Ausgangslage richtig zur Geltung7).
In einer viel zitierten Entscheidung aus dem Jahr 1980 hat das LG Hamburg im Fall einer unterschiedlichen Zahl der Pflichtanteile und dem Fordern eines Mieterdarlehens bei Bezugsfertigkeit der Wohnung ausgeführt, daß ein Verstoß gegen den genossenschaftlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vorliegt, wenn die Mieten für vergleichbare Wohnungen in dem Haus völlig gleich berechnet und verlangt werden und lediglich das „Eintrittsgeld“ zur Vermittlung einer Wohnung zwischen 1973 und 1978 „wegen veränderter wirtschaftlicher Verhältnisse verringert wurde“8). In diesem Fall hatte die Genossenschaft im Jahr 1973 bei Bezugsfertigkeit 24 Geschäftsanteile zu je 300 DM und als weitere Voraussetzung für die Überlassung einer Wohnung ein Mieterdarlehen in Höhe von 4.000 DM gefordert, während sie 1978 und später für vergleichbare Wohnungen in dem gleichen Hause bei gleicher Miete von den späteren Bewerbern die Übernahme von lediglich 16 Geschäftsanteilen verlangte. Es liege ein sachgemäßer Grund zur Ungleichbehandlung von Alt- und Neumietern deshalb vor, weil die Marktnachfrage bezüglich der Wohnungen in dem Wohngebiet rückläufig sei. Es sei marktgerecht und - so das LG Hamburg, a.a.O. - auch unter Berücksichtigung des Genossenschaftsrechts keine willkürliche Ungleichbehandlung, wenn die Genossenschaft in Zeiten größerer Wohnungsnachfrage im Jahr 1973 einem Mitglied durch die Übernahme von 24 Pflichtanteilen und die Zahlung des Darlehens sofort die Möglichkeit verschaffe, eine Genossenschaftswohnung zu erhalten. Da dieses Regulativ über den „Einstandspreis“ marktgerechter und auch unter genossenschaftsrechtlichem Gesichtspunkt nicht willkürlich sei, andererseits eine Genossenschaft nicht jedem zu allen Zeiten zu den gleich günstigen Bedingungen eine Wohnung verschaffen könne, somit die Differenzierung sachgerecht sei, könne das Mitglied die Genossenschaft nicht wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Anspruch nehmen, weil insoweit keine vergleichbaren Sachverhalte vorlägen9).
Dieser Rechtsauffassung, die eine Veränderung der Marktverhältnisse als sachliches Differenzierungskriterium zur Ungleichbehandlung der Mitglieder ausreichen läßt, kann nach der jüngsten Entscheidung des LG Berlin aus dem Frühjahr 1999 nicht mehr gefolgt werden, zumal eine Ungleichbehandlung - wie oben bereits ausgeführt - nach dem Gebot relativer Gleichbehandlung ohnehin problematisch erscheint, denn es geht insoweit nach richtigem Verständnis genossenschaftsrechtlicher Gleichbehandlung um „maßstabsgetreue“ Gleichbehandlung.
III. Das Urteil des LG Berlin v. 23. März 1999 (GE 1999, 575) - „Genossenschaftswohnung IV“
1. Zum Sachverhalt10)
Die Parteien schlossen unter dem 25. September 1995 einen Vorvertrag über den Bezug einer mit öffentlichen Fördermitteln (2. Förderweg) errichteten Wohnung in Berlin-Zehlendorf. In dem Vorvertrag war festgehalten worden, daß „die vorläufige Nutzungsgebühr z. Zt. pro Quadratmeter monatlich 16,40 DM Kaltmiete“ betrug. Der Hauptvertrag über die Wohnung wurde am 16. Oktober/1. November 1995 zu den vorgenannten Bedingungen geschlossen; Vertragsbeginn war der 1. November 1995. Am 23. Oktober 1995 beschloß der Vorstand der Klägerin, die Mieten der Wohnungen in dem Wohnhaus auf 13 DM/m2 (für Erdgeschoßwohnungen) und auf 13,50 DM/m2 (für Wohnungen ab dem 1. OG) mit Wirkung vom 1. November 1995 zu senken. Die darüber liegende gleichgeschnittene Wohnung war zum 1. Januar 1996 - aufgrund eines Vorvertrages vom Dezember 1995 - zu dem reduzierten Nutzungsentgelt von 13,50 DM/m2 vermietet worden, während die Klägerin vom beklagten Nutzer der darunter liegenden Erdgeschoßwohnung das ursprüngliche Nutzungsentgelt in Höhe von 16,40 DM/m2 netto kalt verlangte. Die Klägerin stellte lediglich die an sich alle 15 Monate eintretende Nutzungsentgelterhöhung wegen der Verringerung der sog. Aufwendungszuschüsse des Fördermittelgebers „bis auf weiteres“ zurück.
2. LG Berlin: Gleichbehandlung bei „nahem zeitlichen Zusammenhang“ der Vertragsabschlüsse
Das LG Berlin hat in dem Urteil vom 23. März 1999 - 63 S 231/98 -11) die Klage der Genossenschaft wegen der Verletzung des genossenschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes im Kern aus folgenden Gründen abgewiesen und damit einen Rückzahlungsanspruch des Beklagten in Höhe der überzahlten Miete anerkannt:
– „Naher zeitlicher Zusammenhang“ der zu vergleichenden Nutzungsvertragsabschlüsse mit unterschiedlichen Nutzungsentgelten, den das Gericht bei einem Zeitabstand von zwei Monaten bejaht hat; es hat insoweit auf den Beschluß des Genossenschaftsvorstandes vom 23. Oktober 1995 abgehoben, der so auszulegen sei, daß jedenfalls Nutzungsverhältnisse, die nach dem Beschluß, also ab 1. November 1995 begannen, zu den Bedingungen des Beschlusses (13 DM/m2 bzw. 13,50 DM/m2 Nettokaltmiete) zu gestalten sind.
– Einen „engen zeitlichen Zusammenhang“ hat das LG Berlin in der Entscheidung vom 23. März 1999 auch angenommen, wenn auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bzw. auf den des Vorvertrages vom 25. September 1995 abgestellt würde, da sich eine Notwendigkeit, den Vorstandsbeschluß zu erlassen, bereits zu einem früheren Zeitpunkt in der Geschäftsleitung abgezeichnet hat. Es hat damit eine Gleichbehandlung der Mitglieder bei einem zeitlichen Abstand von ca. drei bis vier Monaten zwischen den zu vergleichenden Vertragsabschlüssen für geboten erachtet.
Das Gericht hat unter diesen Gesichtspunkten eine Reduzierung des durch den Beklagten monatlich geschuldeten Nutzungsentgelts zwecks Gleichbehandlung mit den begünstigten Nutzern für erforderlich angesehen und hierbei die Erhöhung der Entgelte gegenüber den anderen Nutzern - entsprechend der Verringerung der Aufwendungszuschüsse des Fördermittelgebers - ab dem 1. November 1996 um 0,702 DM/m2 (netto kalt) berücksichtigt.
Das LG Berlin hat - in Kenntnis der Entscheidung des LG Hamburg aus dem Jahr 198012) - das Kriterium der marktbedingten Veränderung allein nicht ausreichen lassen, um die Genossenschaftspraxis unterschiedlicher Nutzungsentgeltgestaltung in den Verträgen zu rechtfertigen, sondern es hat eine Gleichbehandlung der Mitglieder bei Vertragsabschlüssen in „nahem zeitlichen Zusammenhang“ gefordert und damit ein zusätzliches Kriterium eingeführt, das möglicherweise bei der Entscheidung des LG Hamburg „unterschwellig“ zum Tragen, jedoch nicht klar zum Ausdruck gekommen ist.
IV. Grenzen der Gleichbehandlung bei martkbedingten Schwankungen
In der Entscheidung „Genossenschaftswohnung II“ vom 27. Oktober 1998 - 63 S 148/98 - (unveröffentlicht) hat dieselbe Zivilkammer des LG Berlin eine Verletzung des genossenschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes verneint13). Dem Urteil lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
1. Zum Sachverhalt des Urteils des LG Berlin vom 27. Oktober 1998 -
„Genossenschaftswohnung II“
Die Parteien schlossen am 14. Dezember 1995 einen Nutzungsvertrag über eine mit öffentlichen Fördermitteln der Investitionsbank Berlin (IBB) errichtete Wohnung mit einer Größe von 64,02 m2. Die Klägerin zahlte eine monatliche Nutzungsgebühr in Höhe von 18,50 DM/m2 (netto kalt). Zwischen der Vermietung an die Klägerin zu einer Miete von 18,50 DM/m2 ab 1. Januar 1996 und den weiteren Vermietungen der beklagten Wohnungsgenossenschaft von drei Wohnungen ab 1. September 1996 bzw. 1. Oktober 1996 zu einer Miete von 14 DM/m2 (netto kalt) lag ein Zeitraum von neun Monaten. Die Klägerin machte unter dem Gesichtspunkt genossenschaftsrechtlicher Gleichbehandlung einen Anspruch auf Herabsetzung der Miete und auf Schadensersatz (§ 249 f. BGB) in Höhe des zuviel gezahlten Mietanteils von monatlich 288,09 DM für die Zeit von September 1996 bis Mai 1997 geltend, insgesamt also einen Betrag von 2.592,81 DM (nebst 4 % Zinsen).
2. LG Berlin: Kein Gleichbehandlungsgebot bei rückläufiger Nachfrage über längeren Zeitraum
In dieser Entscheidung hat das LG Berlin im wesentlichen ausgeführt, daß ein Verstoß gegen den genossenschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht anzunehmen sei, „wenn für die Ungleichbehandlung ein sachgemäßer Grund besteht. Ein solcher sachgemäßer Grund für die Vermietung zu unterschiedlichen Entgelten liegt insbesondere dann vor, wenn die Marktlage bezüglich der Wohnungen rückläufig ist (LG Hamburg, GWW 1980, 547). Daraus folgt kein Anspruch der übrigen Genossen auf eine Senkung der von ihnen zu zahlenden Miete bzw. Nutzungsentschädigung auf das jeweils niedrigste Niveau“14).
Das Gericht hat hier angenommen, daß bei einem Zeitraum von neun Monaten zwischen den zu vergleichenden Vertragsabschlüssen sich die Marktlage durchaus in einer Weise geändert haben könne, die im Rahmen der Neuvermietung Zugeständnisse hinsichtlich der zu erzielenden Miete erfordere. Hinzu kam für das Gericht, daß es sich um öffentlich geförderte Wohnungen handelte und die IBB gegenüber der Beklagten unter Androhung der Entziehung der Fördermittel auf eine Vermietung gedrängt hatte. Es stellte nach Ansicht des LG Berlin unter diesen Umständen eine sachgemäße Erwägung der beklagten Genossenschaft dar, auf einen Teil der möglicherweise zu erzielenden Mieteinkünfte zu verzichten, statt durch einen Verlust der öffentlichen Fördermittel einen noch größeren wirtschaftlichen Nachteil zu erleiden. Hieraus könne die Klägerin keinen Anspruch auf Anpassung der von ihr geschuldeten Miete herleiten, denn die Vermietung an sie sei unter nicht vergleichbaren Umständen erfolgt.
In diesem Zusammenhang ist das LG Berlin - ebensowenig wie übrigens das LG Hamburg15) in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1980 - der Frage nachgegangen, ob überhaupt außerhalb des Nutzungs- und Mitgliedschaftsverhältnisses liegende Umstände, wie etwa die Änderung der Marktverhältnisse, Einfluß auf die Reichweite des genossenschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes entfalten und ein sachliches Differenzierungskriterium bilden können. Die Beantwortung dieser Frage, die hier nicht abschließend erfolgen kann, wird u. a. auch davon abhängen, welcher der Beteiligten das Risiko des Mietpreisverfalls (oder Mietpreisanstiegs) auf dem Wohnungsmarkt (oder in bestimmten Marktsegmenten) zu tragen hat, weil dieser Umstand eher in seine „Sphäre“ fällt. Demgegenüber wird man zu berücksichtigen haben, daß beide Beteiligte - je nach Marktlage - Anbieter bzw. Nachfrager auf demselben (Wohnungs-) Markt sind, was unter diesem Gesichtspunkt möglicherweise eine Zuordnung nach vertraglichen „Risikosphären“ erschwert.
V. Schlußfolgerungen für die Beratungspraxis
Die entscheidende Frage für die relative Gleichbehandlung in den Wohnungsgenossenschaften besteht nach der jüngsten Rechtsprechung des LG Berlin darin, ob der Zeitraum der zu vergleichenden Vertragsabschlüsse noch als ein „naher zeitlicher Zusammenhang“ angesehen werden kann. Bei einem Abstand von ca. zwei bis vier Monaten hat das LG Berlin einen solchen Zusammenhang bejaht, bei einem Zeitraum von neun Monaten verneint.
An diesem von der Rechtsprechung vorgegebenen Zeitrahmen werden künftig zu beurteilende Fälle zu messen sein. Für Mieter und Vermieter empfiehlt sich daher eine sorgfältige Prüfung jedes Einzelfalls, um unnötige Prozeßkostenrisiken zu vermeiden.
Für die Genossenschaften ergeben sich künftig höhere Anforderungen an das Vertragsmanagement und -controlling. Nach der Entscheidung des LG Berlin sind sie gehalten, die nutzungsvertraglichen Konditionen nicht von Fall zu Fall (unterschiedlich) festzulegen, sondern zeitabschnittsweise einheitlicher und vor allem transparenter als bisher zu gestalten. Dies erfordert intern stets einen Überblick über die aktuellen Vertragskonditionen, der z. B. durch den Aufbau eines „Vertragskatasters“ und Einführung laufender Berichtspflichten sichergestellt werden kann, und nach außen in verstärktem Maße die Beachtung von Hinweis- und Aufklärungspflichten der im Unternehmen tätigen Mitarbeiter gegenüber den Mitgliedern. Diese Verpflichtung erstreckt sich insbesondere auf die Mitteilung über die aufgrund veränderter Marktlage geltenden neuen Vertragskonditionen.
* Der Autor ist Rechtsanwalt in der Sozietät Schlawien Naab Partnerschaft, Berlin.
1) Vgl. Bultmann, Der Tagesspiegel v. 26./27. Mai 1996, S. 29 m. w. N.
2) Siehe Lang/Weidmüller/Metz/Schaffland, GenG, 33. Aufl. 1997, § 18 Rn. 17; Meyer/Meulenbergh/Beuthien, GenG, 12. Aufl. 1983 (m. Nachtr. 1986), § 18 Rn. 37; s. auch Großfeld/ Aldejohann, BB 1987, 2377 ff. m. w. N.
3) Vgl. dazu Lang/Weidmüller/Metz/Schaffland, a. a. O., § 18 Rn. 18.
4) Lang/Weidmüller/Metz/Schaffland, a. a. O., § 18 Rn. 19 m. w. N.
5) Siehe Lang/Weidmüller/Metz/Schaffland, a. a. O. unter Hinweis auf LG Kassel, ZfG 1975, 1156 zur Ermäßigung der Nutzungsgebühr für bestimmte Mitglieder entsprechend der bescheideneren Ausstattung und Lage der Wohnung.
6) BGH, NJW 1960, 2142, 2143 - Kleinwohnungen.
7) Vgl. auch Bultmann, Anm. zu LG Berlin, ZAP 1999 F. 4 R, 335.
8) LG Hamburg, GWW 1980, 547- „Eintrittsgeld“ - m. zust. Anm. von Riebandt-Korfmacher/ Höffken
9) Siehe LG Hamburg, a. a. O. - „Eintrittsgeld“.
10) Der vollständige Sachverhalt der Entscheidung ist im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils des AG Schöneberg (MM 1999, 209 - Genossenschaftswohnung III) wiedergegeben.
11) GE 1999, 575 = MM 1999, 210 - Genossenschaftswohnung IV; erstinstanzlich im Ergebnis ebenso AG Schöneberg, MM 1999, 209 - Genossenschaftswohnung III.
12) GWW 1980, 547 - „Eintrittsgeld“.
13) So auch das AG Schöneberg in der dazu ergangenen erstinstanzlichen Entscheidung vom 6. November 1997 - 18 C 325/97 - Genossenschaftswohnung I (unveröffentlicht).
14) LG Berlin, Urteil v. 27. Oktober 1998 - 63 S 148/98 -, S. 2 der Gründe (Leseabschrift) - Genossenschaftswohnung II.
15) GWW 1980, 547 - „Eintrittsgeld“.
Seit Jahren schlagen sich die Wohnungsunternehmen mit Leerständen und Zwangsmittelandrohungen der Fördermittelgeber (z. B. IBB) herum. Die Wohnungen können zu den ursprünglich kalkulierten Kostenmieten wegen der zurückgehenden Nachfrage nicht mehr vermietet werden, und bei Leerständen von mehr als drei Monaten droht die IBB mit Vertragsstrafen1). Inzwischen haben die Wohnungsunternehmen überwiegend der Marktentwicklung folgend die Mieten gesenkt, da droht den Wohnungsbaugenossenschaften unter ihnen neues „Unheil“: Sie haben Nutzungsverträge mit den Mitgliedern über Genossenschaftswohnungen geschlossen, in denen die Nutzungsentgelte trotz gleicher Ausstattung und Lage des Wohnraums - oftmals in demselben Haus - unterschiedlich hoch sind. Die Differenzen betragen bis zu 25 % der Nettokaltmiete. Die Wohnungsbaugenossenschaften begründeten die hiermit verbundene Ungleichbehandlung der Mieter - unter Berufung auf eine interne Stellungnahme des Prüfungsverbandes - mit der veränderten Marktlage.
Anders als der „normale“ Vermieter von Wohnraum unterliegt das genossenschaftliche Wohnungsunternehmen aber dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Damit stellt sich die Frage, ob dieser Grundsatz in das Nutzungs- bzw. Mietverhältnis zwischen der Wohnungsbaugenossenschaft und ihren Mitgliedern in der Weise einwirkt, daß die vertraglichen Konditionen bei vergleichbarer Inanspruchnahme der Förderleistungen (z. B. Wohnraum gleicher Art und Güte) gleich zu gestalten sind, oder ob es der Genossenschaft unter Hinweis auf die Marktverhältnisse gestattet ist, gleiche Fälle ungleich zu behandeln. Reichweite und Grenzen der Gleichbehandlung sind durch zwei Entscheidungen des Landgerichts Berlin aus den Jahren 1998 und 1999 für den Bereich der genossenschaftlichen Wohnungswirtschaft in wesentlichen Punkten weiter konkretisiert worden.
II. Der genossenschaftsrechtliche Gleichbehandlungssatz
Das genossenschaftsrechtliche Gleichbehandlungsprinzip ist Ausdruck der gegenseitigen Treuepflicht und findet darüber hinaus seine Grundlage im Wesen der Genossenschaft als Fördergemeinschaft der Mitglieder2). Die Gleichbehandlung kommt nur den Genossenschaftsmitgliedern zugute, Nichtmitglieder haben hierauf keinen Anspruch. Wohnungsbaugenossenschaften stellen ihre Wohnungen in aller Regel nur Mitgliedern zur Verfügung, die eine bestimmte Anzahl von Geschäftsanteilen übernommen haben.
Hinsichtlich der Ausübung der mitgliedschaftlichen Rechte, z. B. in bezug auf die Höhe der zu übernehmenden Geschäftsanteile (§ 7 GenG) oder der Haftsumme (§ 6 GenG) sowie die Kündigung der (freiwilligen) Geschäftsanteile, haben die Mitglieder Anspruch auf absolute Gleichbehandlung3) durch die Genossenschaft, d. h. es besteht insoweit keine Möglichkeit, in verschiedenen Fällen anhand eines Maßstabs unterschiedlich zu gewichten. Es wäre beispielsweise ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn die Genossenschaft dem Mitglied A Geschäftsanteile zu 200 DM und dem Mitglied B nur zu 100 DM abverlangen würde.
Demgegenüber findet auf die förderrechtliche Beziehung zwischen Genossenschaft und Mitgliedern, insbesondere bei der Inanspruchnahme genossenschaftlicher Leistungen (wie z. B. der Nutzung einer Wohnung), der Grundsatz relativer Gleichbehandlung Anwendung. Dies bedeutet nach h. M., „daß jedes Mitglied bei gleichen Voraussetzungen das Recht auf Gewährung gleicher Rechte und auf Auferlegung lediglich gleicher Pflichten hat, und daß bei ungleichen Voraussetzungen eine sachlich angemessene Differenzierung der Rechte und Pflichten der Mitglieder gerechtfertigt ist; Ungleiches wird nach seiner Eigenart behandelt“4). Das Gleichbehandlungsgebot soll danach keine exakte mathematische Gleichbehandlung aller Mitglieder erfordern, sondern vielmehr der Genossenschaft einen Ermessensspielraum einräumen, der seine Schranken im Ermessensmißbrauch finde5). Allerdings hat der BGH in bezug auf die Inanspruchnahme von Genossenschaftseinrichtungen entschieden, daß ein verschiedenes Ausmaß dieser Inanspruchnahme auch zu einer unterschiedlichen Belastung der Mitglieder führen kann, „wenn nur der Maßstab dafür gleich ist“6). Das Gebot relativer Gleichbehandlung läßt also nicht etwa - wie zuweilen angenommen wird - „sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung“ zu, sondern verlangt eine willkürfreie, auf sachlich nachvollziehbare Kriterien gestützte Behandlung der Mitglieder, die den unterschiedlichen Verhältnissen, z. B. hinsichtlich Art und Umfang der Nutzung genossenschaftlicher Einrichtungen, Rechnung trägt und dadurch „in Relation“ die Mitglieder gleich behandelt. Die relative Gleichbehandlung der Mitglieder realisiert also in der Leistungsbeziehung kein geringeres Maß an Gleichheit, sondern bringt diese auf der Grundlage der unterschiedlichen Ausgangslage richtig zur Geltung7).
In einer viel zitierten Entscheidung aus dem Jahr 1980 hat das LG Hamburg im Fall einer unterschiedlichen Zahl der Pflichtanteile und dem Fordern eines Mieterdarlehens bei Bezugsfertigkeit der Wohnung ausgeführt, daß ein Verstoß gegen den genossenschaftlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vorliegt, wenn die Mieten für vergleichbare Wohnungen in dem Haus völlig gleich berechnet und verlangt werden und lediglich das „Eintrittsgeld“ zur Vermittlung einer Wohnung zwischen 1973 und 1978 „wegen veränderter wirtschaftlicher Verhältnisse verringert wurde“8). In diesem Fall hatte die Genossenschaft im Jahr 1973 bei Bezugsfertigkeit 24 Geschäftsanteile zu je 300 DM und als weitere Voraussetzung für die Überlassung einer Wohnung ein Mieterdarlehen in Höhe von 4.000 DM gefordert, während sie 1978 und später für vergleichbare Wohnungen in dem gleichen Hause bei gleicher Miete von den späteren Bewerbern die Übernahme von lediglich 16 Geschäftsanteilen verlangte. Es liege ein sachgemäßer Grund zur Ungleichbehandlung von Alt- und Neumietern deshalb vor, weil die Marktnachfrage bezüglich der Wohnungen in dem Wohngebiet rückläufig sei. Es sei marktgerecht und - so das LG Hamburg, a.a.O. - auch unter Berücksichtigung des Genossenschaftsrechts keine willkürliche Ungleichbehandlung, wenn die Genossenschaft in Zeiten größerer Wohnungsnachfrage im Jahr 1973 einem Mitglied durch die Übernahme von 24 Pflichtanteilen und die Zahlung des Darlehens sofort die Möglichkeit verschaffe, eine Genossenschaftswohnung zu erhalten. Da dieses Regulativ über den „Einstandspreis“ marktgerechter und auch unter genossenschaftsrechtlichem Gesichtspunkt nicht willkürlich sei, andererseits eine Genossenschaft nicht jedem zu allen Zeiten zu den gleich günstigen Bedingungen eine Wohnung verschaffen könne, somit die Differenzierung sachgerecht sei, könne das Mitglied die Genossenschaft nicht wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Anspruch nehmen, weil insoweit keine vergleichbaren Sachverhalte vorlägen9).
Dieser Rechtsauffassung, die eine Veränderung der Marktverhältnisse als sachliches Differenzierungskriterium zur Ungleichbehandlung der Mitglieder ausreichen läßt, kann nach der jüngsten Entscheidung des LG Berlin aus dem Frühjahr 1999 nicht mehr gefolgt werden, zumal eine Ungleichbehandlung - wie oben bereits ausgeführt - nach dem Gebot relativer Gleichbehandlung ohnehin problematisch erscheint, denn es geht insoweit nach richtigem Verständnis genossenschaftsrechtlicher Gleichbehandlung um „maßstabsgetreue“ Gleichbehandlung.
III. Das Urteil des LG Berlin v. 23. März 1999 (GE 1999, 575) - „Genossenschaftswohnung IV“
1. Zum Sachverhalt10)
Die Parteien schlossen unter dem 25. September 1995 einen Vorvertrag über den Bezug einer mit öffentlichen Fördermitteln (2. Förderweg) errichteten Wohnung in Berlin-Zehlendorf. In dem Vorvertrag war festgehalten worden, daß „die vorläufige Nutzungsgebühr z. Zt. pro Quadratmeter monatlich 16,40 DM Kaltmiete“ betrug. Der Hauptvertrag über die Wohnung wurde am 16. Oktober/1. November 1995 zu den vorgenannten Bedingungen geschlossen; Vertragsbeginn war der 1. November 1995. Am 23. Oktober 1995 beschloß der Vorstand der Klägerin, die Mieten der Wohnungen in dem Wohnhaus auf 13 DM/m2 (für Erdgeschoßwohnungen) und auf 13,50 DM/m2 (für Wohnungen ab dem 1. OG) mit Wirkung vom 1. November 1995 zu senken. Die darüber liegende gleichgeschnittene Wohnung war zum 1. Januar 1996 - aufgrund eines Vorvertrages vom Dezember 1995 - zu dem reduzierten Nutzungsentgelt von 13,50 DM/m2 vermietet worden, während die Klägerin vom beklagten Nutzer der darunter liegenden Erdgeschoßwohnung das ursprüngliche Nutzungsentgelt in Höhe von 16,40 DM/m2 netto kalt verlangte. Die Klägerin stellte lediglich die an sich alle 15 Monate eintretende Nutzungsentgelterhöhung wegen der Verringerung der sog. Aufwendungszuschüsse des Fördermittelgebers „bis auf weiteres“ zurück.
2. LG Berlin: Gleichbehandlung bei „nahem zeitlichen Zusammenhang“ der Vertragsabschlüsse
Das LG Berlin hat in dem Urteil vom 23. März 1999 - 63 S 231/98 -11) die Klage der Genossenschaft wegen der Verletzung des genossenschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes im Kern aus folgenden Gründen abgewiesen und damit einen Rückzahlungsanspruch des Beklagten in Höhe der überzahlten Miete anerkannt:
– „Naher zeitlicher Zusammenhang“ der zu vergleichenden Nutzungsvertragsabschlüsse mit unterschiedlichen Nutzungsentgelten, den das Gericht bei einem Zeitabstand von zwei Monaten bejaht hat; es hat insoweit auf den Beschluß des Genossenschaftsvorstandes vom 23. Oktober 1995 abgehoben, der so auszulegen sei, daß jedenfalls Nutzungsverhältnisse, die nach dem Beschluß, also ab 1. November 1995 begannen, zu den Bedingungen des Beschlusses (13 DM/m2 bzw. 13,50 DM/m2 Nettokaltmiete) zu gestalten sind.
– Einen „engen zeitlichen Zusammenhang“ hat das LG Berlin in der Entscheidung vom 23. März 1999 auch angenommen, wenn auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bzw. auf den des Vorvertrages vom 25. September 1995 abgestellt würde, da sich eine Notwendigkeit, den Vorstandsbeschluß zu erlassen, bereits zu einem früheren Zeitpunkt in der Geschäftsleitung abgezeichnet hat. Es hat damit eine Gleichbehandlung der Mitglieder bei einem zeitlichen Abstand von ca. drei bis vier Monaten zwischen den zu vergleichenden Vertragsabschlüssen für geboten erachtet.
Das Gericht hat unter diesen Gesichtspunkten eine Reduzierung des durch den Beklagten monatlich geschuldeten Nutzungsentgelts zwecks Gleichbehandlung mit den begünstigten Nutzern für erforderlich angesehen und hierbei die Erhöhung der Entgelte gegenüber den anderen Nutzern - entsprechend der Verringerung der Aufwendungszuschüsse des Fördermittelgebers - ab dem 1. November 1996 um 0,702 DM/m2 (netto kalt) berücksichtigt.
Das LG Berlin hat - in Kenntnis der Entscheidung des LG Hamburg aus dem Jahr 198012) - das Kriterium der marktbedingten Veränderung allein nicht ausreichen lassen, um die Genossenschaftspraxis unterschiedlicher Nutzungsentgeltgestaltung in den Verträgen zu rechtfertigen, sondern es hat eine Gleichbehandlung der Mitglieder bei Vertragsabschlüssen in „nahem zeitlichen Zusammenhang“ gefordert und damit ein zusätzliches Kriterium eingeführt, das möglicherweise bei der Entscheidung des LG Hamburg „unterschwellig“ zum Tragen, jedoch nicht klar zum Ausdruck gekommen ist.
IV. Grenzen der Gleichbehandlung bei martkbedingten Schwankungen
In der Entscheidung „Genossenschaftswohnung II“ vom 27. Oktober 1998 - 63 S 148/98 - (unveröffentlicht) hat dieselbe Zivilkammer des LG Berlin eine Verletzung des genossenschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes verneint13). Dem Urteil lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
1. Zum Sachverhalt des Urteils des LG Berlin vom 27. Oktober 1998 -
„Genossenschaftswohnung II“
Die Parteien schlossen am 14. Dezember 1995 einen Nutzungsvertrag über eine mit öffentlichen Fördermitteln der Investitionsbank Berlin (IBB) errichtete Wohnung mit einer Größe von 64,02 m2. Die Klägerin zahlte eine monatliche Nutzungsgebühr in Höhe von 18,50 DM/m2 (netto kalt). Zwischen der Vermietung an die Klägerin zu einer Miete von 18,50 DM/m2 ab 1. Januar 1996 und den weiteren Vermietungen der beklagten Wohnungsgenossenschaft von drei Wohnungen ab 1. September 1996 bzw. 1. Oktober 1996 zu einer Miete von 14 DM/m2 (netto kalt) lag ein Zeitraum von neun Monaten. Die Klägerin machte unter dem Gesichtspunkt genossenschaftsrechtlicher Gleichbehandlung einen Anspruch auf Herabsetzung der Miete und auf Schadensersatz (§ 249 f. BGB) in Höhe des zuviel gezahlten Mietanteils von monatlich 288,09 DM für die Zeit von September 1996 bis Mai 1997 geltend, insgesamt also einen Betrag von 2.592,81 DM (nebst 4 % Zinsen).
2. LG Berlin: Kein Gleichbehandlungsgebot bei rückläufiger Nachfrage über längeren Zeitraum
In dieser Entscheidung hat das LG Berlin im wesentlichen ausgeführt, daß ein Verstoß gegen den genossenschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht anzunehmen sei, „wenn für die Ungleichbehandlung ein sachgemäßer Grund besteht. Ein solcher sachgemäßer Grund für die Vermietung zu unterschiedlichen Entgelten liegt insbesondere dann vor, wenn die Marktlage bezüglich der Wohnungen rückläufig ist (LG Hamburg, GWW 1980, 547). Daraus folgt kein Anspruch der übrigen Genossen auf eine Senkung der von ihnen zu zahlenden Miete bzw. Nutzungsentschädigung auf das jeweils niedrigste Niveau“14).
Das Gericht hat hier angenommen, daß bei einem Zeitraum von neun Monaten zwischen den zu vergleichenden Vertragsabschlüssen sich die Marktlage durchaus in einer Weise geändert haben könne, die im Rahmen der Neuvermietung Zugeständnisse hinsichtlich der zu erzielenden Miete erfordere. Hinzu kam für das Gericht, daß es sich um öffentlich geförderte Wohnungen handelte und die IBB gegenüber der Beklagten unter Androhung der Entziehung der Fördermittel auf eine Vermietung gedrängt hatte. Es stellte nach Ansicht des LG Berlin unter diesen Umständen eine sachgemäße Erwägung der beklagten Genossenschaft dar, auf einen Teil der möglicherweise zu erzielenden Mieteinkünfte zu verzichten, statt durch einen Verlust der öffentlichen Fördermittel einen noch größeren wirtschaftlichen Nachteil zu erleiden. Hieraus könne die Klägerin keinen Anspruch auf Anpassung der von ihr geschuldeten Miete herleiten, denn die Vermietung an sie sei unter nicht vergleichbaren Umständen erfolgt.
In diesem Zusammenhang ist das LG Berlin - ebensowenig wie übrigens das LG Hamburg15) in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1980 - der Frage nachgegangen, ob überhaupt außerhalb des Nutzungs- und Mitgliedschaftsverhältnisses liegende Umstände, wie etwa die Änderung der Marktverhältnisse, Einfluß auf die Reichweite des genossenschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes entfalten und ein sachliches Differenzierungskriterium bilden können. Die Beantwortung dieser Frage, die hier nicht abschließend erfolgen kann, wird u. a. auch davon abhängen, welcher der Beteiligten das Risiko des Mietpreisverfalls (oder Mietpreisanstiegs) auf dem Wohnungsmarkt (oder in bestimmten Marktsegmenten) zu tragen hat, weil dieser Umstand eher in seine „Sphäre“ fällt. Demgegenüber wird man zu berücksichtigen haben, daß beide Beteiligte - je nach Marktlage - Anbieter bzw. Nachfrager auf demselben (Wohnungs-) Markt sind, was unter diesem Gesichtspunkt möglicherweise eine Zuordnung nach vertraglichen „Risikosphären“ erschwert.
V. Schlußfolgerungen für die Beratungspraxis
Die entscheidende Frage für die relative Gleichbehandlung in den Wohnungsgenossenschaften besteht nach der jüngsten Rechtsprechung des LG Berlin darin, ob der Zeitraum der zu vergleichenden Vertragsabschlüsse noch als ein „naher zeitlicher Zusammenhang“ angesehen werden kann. Bei einem Abstand von ca. zwei bis vier Monaten hat das LG Berlin einen solchen Zusammenhang bejaht, bei einem Zeitraum von neun Monaten verneint.
An diesem von der Rechtsprechung vorgegebenen Zeitrahmen werden künftig zu beurteilende Fälle zu messen sein. Für Mieter und Vermieter empfiehlt sich daher eine sorgfältige Prüfung jedes Einzelfalls, um unnötige Prozeßkostenrisiken zu vermeiden.
Für die Genossenschaften ergeben sich künftig höhere Anforderungen an das Vertragsmanagement und -controlling. Nach der Entscheidung des LG Berlin sind sie gehalten, die nutzungsvertraglichen Konditionen nicht von Fall zu Fall (unterschiedlich) festzulegen, sondern zeitabschnittsweise einheitlicher und vor allem transparenter als bisher zu gestalten. Dies erfordert intern stets einen Überblick über die aktuellen Vertragskonditionen, der z. B. durch den Aufbau eines „Vertragskatasters“ und Einführung laufender Berichtspflichten sichergestellt werden kann, und nach außen in verstärktem Maße die Beachtung von Hinweis- und Aufklärungspflichten der im Unternehmen tätigen Mitarbeiter gegenüber den Mitgliedern. Diese Verpflichtung erstreckt sich insbesondere auf die Mitteilung über die aufgrund veränderter Marktlage geltenden neuen Vertragskonditionen.
* Der Autor ist Rechtsanwalt in der Sozietät Schlawien Naab Partnerschaft, Berlin.
1) Vgl. Bultmann, Der Tagesspiegel v. 26./27. Mai 1996, S. 29 m. w. N.
2) Siehe Lang/Weidmüller/Metz/Schaffland, GenG, 33. Aufl. 1997, § 18 Rn. 17; Meyer/Meulenbergh/Beuthien, GenG, 12. Aufl. 1983 (m. Nachtr. 1986), § 18 Rn. 37; s. auch Großfeld/ Aldejohann, BB 1987, 2377 ff. m. w. N.
3) Vgl. dazu Lang/Weidmüller/Metz/Schaffland, a. a. O., § 18 Rn. 18.
4) Lang/Weidmüller/Metz/Schaffland, a. a. O., § 18 Rn. 19 m. w. N.
5) Siehe Lang/Weidmüller/Metz/Schaffland, a. a. O. unter Hinweis auf LG Kassel, ZfG 1975, 1156 zur Ermäßigung der Nutzungsgebühr für bestimmte Mitglieder entsprechend der bescheideneren Ausstattung und Lage der Wohnung.
6) BGH, NJW 1960, 2142, 2143 - Kleinwohnungen.
7) Vgl. auch Bultmann, Anm. zu LG Berlin, ZAP 1999 F. 4 R, 335.
8) LG Hamburg, GWW 1980, 547- „Eintrittsgeld“ - m. zust. Anm. von Riebandt-Korfmacher/ Höffken
9) Siehe LG Hamburg, a. a. O. - „Eintrittsgeld“.
10) Der vollständige Sachverhalt der Entscheidung ist im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils des AG Schöneberg (MM 1999, 209 - Genossenschaftswohnung III) wiedergegeben.
11) GE 1999, 575 = MM 1999, 210 - Genossenschaftswohnung IV; erstinstanzlich im Ergebnis ebenso AG Schöneberg, MM 1999, 209 - Genossenschaftswohnung III.
12) GWW 1980, 547 - „Eintrittsgeld“.
13) So auch das AG Schöneberg in der dazu ergangenen erstinstanzlichen Entscheidung vom 6. November 1997 - 18 C 325/97 - Genossenschaftswohnung I (unveröffentlicht).
14) LG Berlin, Urteil v. 27. Oktober 1998 - 63 S 148/98 -, S. 2 der Gründe (Leseabschrift) - Genossenschaftswohnung II.
15) GWW 1980, 547 - „Eintrittsgeld“.
Autor: RA Stephan J. Bultmann