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Das Leben als Balkon
Unjuristische Betrachtungen einer Vorsitzenden Richterin am Landgericht
27.03.2008 (GE 6/2008, 345) Als Balkon hat man‘s nicht leicht. Es ist schwierig, Freunde zu gewinnen, wenn man immer nur rumhängt. Aber was soll man tun?

Das Leben als Balkon

Ist man in Berlin nicht existent, erfreut das zumeist nicht den Mieter, verärgert aber vor allem den Vermieter, weil man sogleich für die Mieterhöhung als wohnwertmindernd gilt. Breitet man sich groß und geräumig aus, ärgern sich beide, weil es im Mietspiegel durchaus auf die Größe ankommt. Aber auch das ist eine zwiespältige Angelegenheit, denn ob man nach der II. BV zumindest zur Hälfte zählt oder viel weniger wert ist, kann wiederum zum Streit zwischen Eigentümer und Besitzer führen. Allerdings gibt es die Möglichkeit, ein bisschen zu bröseln und zu knirschen – dann kommt wenigstens ein Mitarbeiter von der Wohnungsaufsicht und kümmert sich. Verbandelt man sich fest und haltbar mit einer Parabolantenne am Geländer, stockt dem Vermieter meist der Atem und es gibt Ärger. Lässt man ihr Freiheit und sie locker, aber diskret bei sich herumstehen, kann die Liaison beim nächsten Herbststurm schon wieder beendet sein. Wird man verglast, droht unangenehme Gesellschaft in Form von Schimmelpilzen.
Schärfster Konkurrent ist der mimosenhafte, weil – siehe oben – feuchtigkeitsanfällige Wintergarten, den der Mieter ständig lüften muss: „Seiner wesentlichen Funktion nach kommt dieser Wintergarten einem Balkon sehr nahe. Es ist deshalb nicht zu erkennen, dass die Anbringung eines Balkons vor diesem Wintergarten für den Mieter einen weiteren Vorteil bieten sollte. Der Wintergarten bietet zudem den Vorteil, dort Pflanzen in Kübeln aufzustellen, wo sie in höherem Maße der Sonne ausgesetzt sind, als wenn sie innerhalb der Wohnräume aufgestellt wären.“ (LG Berlin, GE 2007, 721). Inakzeptabel für einen anständigen Balkon!
Auch der Ort des Herumhängens kann Gegenstand juristischer Kritik sein: „Der Anbau eines Balkons an der Nordseite des Gebäudes, der über einen Abstellraum erreichbar ist und weder die Lichtverhältnisse in der Wohnung verbessert noch eine direkte Verbindung zu dem bereits bestehenden Wohnungsbalkon hat, bewirkt keine Wohnwertverbesserung“ (AG Hannover, WuM 1996, 282).
Was immer man tut – es hat Folgen: Ragt man ein wenig in den Luftraum (was bleibt einem Balkon sonst übrig?), so darf die Behörde gleich Sondernutzungsgebühren kassieren (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, WuM 2007, 150).
Schließlich muss man im Sommer sogar Protokoll führen, denn: „Mieter in Mehrfamilienhäusern dürfen in der Zeit von April bis September einmal monatlich auf Balkon oder Terrasse grillen, wenn sie die Mieter im Haus, deren Belästigung durch Rauchgase unvermeidlich ist, 48 Stunden vorher darüber informiert haben.“ (AG Bonn, WuM 1997, 325).
Nicht einmal die verzweifelte Verwandlung in eine schlichte Terrasse hülfe weiter, sondern würde nur die Gefahr bergen, ernsthaft beschädigt zu werden:
„In der Nacht vom 14. auf den 15. Juni 2005 riss die Beklagte Steine aus der Terrasse der Mitmieterin P. und warf diese gegen die mit Rollläden verschlossenen Fenster.…Die Beklagte behauptet, …sie sei dazu gezwungen gewesen, Steine aus der Terrasse zu reißen und gegen die Rollos zu werfen, weil sie den seit sieben Jahren andauernden Lärm der Mitmieterin P. nicht mehr ertragen habe.“ (LG München, WuM 2006, 524). Das wäre mit einem Balkon nicht passiert.
Gute Aussichten sind wertlos. Es kommt darauf an, wer sie hat.
Karl Kraus, österr. Schriftsteller und Satiriker
Autor: Regine Paschke