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Nach den Auseinandersetzungen in der Potsdamer Straße
Wohnungsprostitution und Bordelle Wo sind sie baurechtlich zulässig, wo nicht?
02.11.2007 (GE 21/2007, 1422) Prostitution wirft für Bauaufsichtsbehörden, Vermieter, Mieter und Wohnungseigentümer verwaltungs- und zivilrechtliche Probleme auf 1). Derzeit geht der Streit um die Errichtung eines Großbordells im Bezirk Tempelhof-Schöneberg durch die Medien. Im folgenden soll dargestellt werden, wie die jüngere verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung damit unter bauplanungsrechtlichen Gesichtspunkten umgeht.
Prostitution, die in baulichen Anlagen ausgeübt wird, fällt unter den Begriff der baulichen und sonstigen Nutzung von Grundstücken im Sinne des Bauplanungsrechts. Im Einzelfall ist daher über ihre Zulässigkeit von den Baugenehmigungsbehörden bzw. im Streitfall von den Gerichten zu entscheiden. Die erste Frage ist, wie man das "älteste Gewerbe der Welt" den bauplanungsrechtlichen Begriffen Wohnungen, Gewerbebetriebe, Vergnügungsstätten, freie Berufe des Baugesetzbuchs und der Baunutzungsverordnung 2) zuordnen soll.
Die Verwaltungsrechtsprechung unterscheidet zwischen Wohnungsprostitution und Bordellen bzw. bordellartigen Betrieben. Für die Wohnungsprostitution ist typisch, daß sexuelle Dienste in der eigenen Wohnung angeboten werden. Bordelle bzw. bordellartige Betriebe sind dagegen typischerweise wie ein Gewerbebetrieb in entsprechend hergerichteten Räumen, mit entsprechender Organisation und mit mehreren Prostituierten organisiert. Diese wohnen dort entweder nicht selbst oder ihre Unterkünfte treten gegenüber der Ausrichtung als Gewerbebetrieb in den Hintergrund. Als bordellartige Betriebe werden von der Rechtsprechung solche Unternehmen bezeichnet, in denen neben den sexuellen Dienstleistungen weitere Einrichtungen wie Bars, Schwimmbäder, Saunen etc. zur Verfügung stehen.
Prostitution in Wohn-/Mischgebieten
Wohnungsprostitution ist nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung teilgewerbliche Nutzung einer Wohnung. Nach einhelliger Rechtsprechung ist die Wohnprostitution in Wohngebieten (reinen und allgemeinen Wohngebieten nach § 3 und 4 BauNVO) bauplanungsrechtlich unzulässig. Das Bundesverwaltungsgericht 3) führt dazu aus, daß in einer Wohnumgebung schon generell die Gefahr einer erheblichen Belästigung der Nachbarschaft bestehe. In dem betreffenden Fall war zusätzlich konkret festgestellt worden, daß durch den Betrieb Konflikte zu den benachbarten Wohnungsnutzern ausgelöst wurden, indem "Mieter durch Freier gefährdet, belästigt oder in der Ruhe gestört worden sind".
Es ist konsequent, wenn die Rechtsprechung in Mischgebieten, die sowohl dem Wohnen als auch der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben dienen (§ 6 BauNVO), die Wohnungsprostitution nicht generell für unzulässig hält 4). Jedoch ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob diese an sich generell zulässige teilgewerbliche Betätigung deswegen gegen das sog. Gebot der Rücksichtnahme verstößt, weil von ihr "Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind" (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Dies wurde z.B. vom VG Sigmaringen 5) mit folgender Begründung bejaht: Andere Mieterinnen hätten sehr häufig an Freiern vorbeigehen müssen, um in Obergeschoßwohnungen zu gelangen. Sie seien auch von Freiern angesprochen, Minderjährige mit leichtbekleideten Damen konfrontiert worden. Derartige massive Belästigungen und Störungen müßten selbst in einem Mischgebiet als für die Nachbarn unzumutbar angesehen werden.
Aus der Unzulässigkeit der Wohnungsprostitution in Wohngebieten und ihrer nur bedingten Zulässigkeit in Mischgebieten folgt ohne weiteres, daß Bordelle und bordellartige Betriebe sowohl in Wohn- als auch in Mischgebieten als störende Gewerbebetriebe bauplanungsrechtlich unzulässig sind 6). Anders ist die bauplanungsrechtliche Lage jedoch in Gewerbegebieten (§ 8 BauNVO) und Kerngebieten (§ 7 BauNVO).
Bordelle und bordellartige Betriebe in Gewerbegebieten
Gewerbegebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben; zulässig sind insbesondere Gewerbebetriebe aller Art (§ 8 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BauNVO). Vergnügungsstätten können dagegen nur ausnahmsweise zugelassen werden (§ 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO). Die Rechtsprechung sieht in Übereinstimmung mit der überwiegenden Kommentarliteratur derartige Einrichtungen nicht als Vergnügungsstätten, sondern als sonstige Gewerbebetriebe ("Gewerbebetriebe sui generis") an 7).
Bordelle und bordellartige Betriebe sind im Gewerbegebiet generell zulässige, nicht erheblich belästigende Gewerbebetriebe 8), denn die Frage der erheblichen Belästigung bezieht sich hier nicht auf benachbartes Wohnen 9), sondern vor allem auf den Grad der Immissionsbelastung der Umwelt.
Aber auch im Gewerbegebiet kann sich im Einzelfall die Frage stellen, ob ein Bordell oder bordellartiger Betrieb das bereits oben erwähnte Gebot der Rücksichtnahme (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO) verletzt. Dies hat das Verwaltungsgericht München 10) für einen geplanten Bordellbetrieb in Form eines sog. Laufhauses bejaht, einem Bordell, bei dem sich die Kunden durch die Gänge und Treppen des Hauses bewegen, während die Prostituierten in bzw. vor ihren Zimmern bei offener Tür auf Kunden warten: Die Summierung der üblichen negativen Auswirkungen Lärm des Zu- und Abgangverkehrs, milieubedingte Unruhe, mögliches anstößiges Verhalten von Besuchern des Betriebes sowie eine mögliche, dem Ansehen anderer Unternehmen in dem Gebiet abträgliche Wirkung widerspreche der Eigenart des betreffenden Gewerbegebiets. Insbesondere sei die Zulassung eines für Münchener Verhältnisse wohl einzigartigen Schwerpunkts der Prostitution für die ansässigen Gewerbebetriebe abträglich, denn sie müßten um ihren Ruf fürchten, wenn sie unter der Anschrift eines stadtbekannten Rotlicht-Bereichs firmierten. Auch der Gesichtspunkt der Verhinderung der Verdrängung anderer gewerblicher Nutzungen könne eine Rolle spielen, wenn schon zahlreiche Bordellbetriebe vorhanden sind. Eine Massierung von Prostitution innerhalb eines kleinen Raumes werfe auch Sicherheitsfragen aufgrund der "milieubedingten" Unruhe auf, die bei der Ansiedlung von Bordellen der besonderen Gewichtung bedürfen.
Kerngebiete
Innerstädtische Zentren, die bauplanungsrechtlich als Kerngebiete ausgewiesen sind, "dienen vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur" (§ 7 Abs. 1 BauNVO); zulässig sind u. a. sonstige nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO). Mit der Zulässigkeit von Bordellbetrieben und bordellartigen Betrieben in Kerngebieten hat sich die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung soweit ersichtlich bisher nicht befaßt. Das mag daran liegen, daß dort wegen der gehobenen Kundschaft und der höheren Mietpreise in den Zentren gewöhnlich nur solche Etablissements bestehen, die nach außen nicht besonders in Erscheinung treten, also nicht das sonst übliche Schmuddelimage haben.
Jedoch gegenüber solchen Betrieben, die erheblich nach außen mit ihren Merkmalen in Erscheinung treten, gilt auch im Kerngebiet das bereits mehrfach erwähnte Gebot der Rücksichtnahme (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Sein Inhalt ist nach der genannten Zweckbestimmung der Kerngebiete zu bestimmen. Es könnte z. B. je nach den Umständen des Einzelfalls die Gefahr bestehen, daß ein nach außen wirkender Bordellbetrieb oder die Häufung solcher Betriebe das betreffende Gebiet zum "Umkippen" in Richtung auf ein Rotlichtmilieu bringt, so daß sich dort ansässige Handelsbetriebe oder zentrale Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur nicht mehr halten können bzw. sich dort nicht mehr ansiedeln. Es kann daher angenommen werden, daß die Verwaltungsrechtsprechung solche Bordellbetriebe auch im Kerngebiet als unzulässig ansieht.
Unbeplanter Innenbereich
Im unbeplanten Innenbereich sind solche baulichen Nutzungen zulässig, die sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen (§ 34 Abs. 1 BauGB). Die Zulässigkeit von Wohnungsprostitution sowie Bordellen und bordellartigen Betrieben richtet sich dementsprechend danach, ob die nähere Umgebung mehr durch Wohnnutzungen oder mehr gewerblich geprägt ist. Für eine Wohnumgebung hat bereits das Bundesverwaltungsgericht in der oben genannten Entscheidung jegliche Wohnungsprostitution für unzulässig erklärt. Dies gilt erst recht für Bordelle und bordellartige Betriebe. Bei gemischter oder rein gewerblicher Umgebung wird unter Berücksichtigung der von den Verwaltungsgerichten angelegten Maßstäbe dafür, wann Erscheinungsformen der Prostitution hinzunehmen sind und wann nicht, zu entscheiden sein.
Planungsrechtliche Möglichkeiten
Will man zukünftig zum Schutz der vorhandenen Bebauung und baulichen Nutzung in der Umgebung in Bereichen, die durch Bebauungsplan als Gewerbe- oder Kerngebiet ausgewiesen sind, Bordelle bzw. bordellartige Betriebe von vornherein verhindern, so bietet das Bauplanungsrecht die Möglichkeit der Aufstellung eines Änderungsbebauungsplans mit dem Ziel der Festsetzung des Ausschlusses dieser speziellen gewerblichen Nutzung nach § 1 Abs. 5 BauNVO. Ein entsprechender Aufstellungsbeschluß des Bezirks in Verbindung mit dem Erlaß einer Veränderungssperre kann entsprechenden Bau- und Nutzungsabsichten sogleich baurechtlich entgegengehalten werden. Entsprechendes gilt für den unbeplanten Innenbereich, wenn erstmalig die Aufstellung eines Bebauungsplans mit entsprechender Zielsetzung beschlossen wird.
Rechtsschutz
Gegen die Wohnungsprostitution in Wohngebieten und je nach den Umständen des Einzelfalls auch in Mischgebieten kann die Bauaufsichtsbehörde aufgrund ihrer bauordnungs-rechtlichen Eingriffbefugnis nach pflichtgemäßem Ermessen einschreiten 11). Bleibt sie untätig oder lehnt sie den Erlaß einer Nutzungsuntersagungsverfügung ab, so können Nachbareigentümer hiergegen beim Verwaltungsgericht Untätigkeitsklage bzw. nach erfolglosem Widerspruch gegen die Ablehnung des Einschreitens Verpflichtungsklage erheben, denn die dargestellten bauplanungsrechtlichen Vorschriften der Baunutzungsverordnung sind nachbarschützend.
Die Einrichtung von Bordellen und bordellähnlichen Betrieben bedarf der Baugenehmigung. Gegen die Erteilung einer solchen Baugenehmigung können benachbarte Grundstückseigentümer nach erfolglosem Widerspruch die verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage mit der Begründung erheben, daß der betreffende Betrieb nach Maßgabe der obigen Darlegungen gegen die Vorschriften der Baunutzungsverordnung, insbesondere das Gebot der Rücksichtnahme, verstößt.
Werden solche Betriebe ohne Baugenehmigung errichtet oder betrieben, so gilt dasselbe wie bei der Wohnungsprostitution: Wird behördlicherseits nicht eingeschritten, gibt es die Untätigkeitsklage bzw. die Verpflichtungsklage auf Einschreiten der Behörde.
Für die Prostitution im unbeplanten Innenbereich, die sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, gelten die vorstehenden Aussagen entsprechend.
____________________
* Anwaltskanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll
1) Das Gesetz zur Reglung der Rechtsverhältnis der Prostituierten (Prostitutionsgesetz ProstG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3983) hat mit den hier behandelten Fragen direkt nichts zu tun, denn es regelt nur zivilrechtliche Ansprüche der Prostituierten für ihre sexuellen Handlungen und Straftatbestände. Wohl aber widerspiegelt es die geänderte gesellschaftliche Haltung gegenüber der Prostitution, so daß auch im Bauplanungsrecht Entscheidungen über die Unzulässigkeit entsprechender Grundstücksnutzungen nicht wie früher mit moralischer Verwerflichkeit der Prostitution begründet werden können.
2) Die nachfolgenden Ausführungen gelten auch für diejenigen Baugebiete im ehemaligen West-Berlin, in denen noch die übergeleiteten Festsetzungen des Baunutzungsplans von 1958/60 in Verbindung mit der Bauordnung von 1958 wirksam sind, weil diese im wesentlichen den Festsetzungen nach der BauNVO entsprechen; vgl. dazu v. Feldmann/Knuth, Berliner Planungsrecht, Grundeigentum-Verlag, 3. Auflage 1998, Rdnr. 72 ff.
3) Beschluß vom 29. Oktober 1987 - 4 B 8.97 = BRS 59 Nr. 62
4) VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 9. August 1996 - 8 S 1987/86 = BRS 58 Nr. 71
5) Urteil vom 8. Juni 2005 - 9 K 302/04 - (veröffentlicht nur bei juris)
6) OVG Berlin, Beschluß vom 9. April 2003 - 2 S 5.03 = GE 2003, 961; OVG Hamburg, Beschluß vom 10. Juni 2005 = BRS 69 Nr. 187; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluß vom 15. Januar 2004 - 8 B 11983/03 = BRS 67 Nr. 72; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Oktober 1990 - 5 S 3103/89 = BRS 52 Nr. 55.
7) vgl. BVerwG aaO; Fickert-Fieseler, Komm. zur BauNVO, 10. Aufl., Rdnr. 5.3 ff. zu § 8.
8) Dasselbe gilt für Industriegebiete (§ 9 BauNVO), vgl. VG Freiburg, Urteil vom 24. Oktober 2000 - 4 K 1178/99 = BRS 63 Nr. 81
9) Wohnungen sind im Gewerbegebiet generell unzulässig; nur ausnahmsweise können Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter zugelassen werden (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO).
10) Urteil vom 25. April 2005 - M8K - (veröffentlicht nur in juris)
11) vgl. zum öffentlich-rechtlichen Nachbarschutz v. Feldmann/Groth in Handbuch des Nachbarrechts Berlin, Schriftenreihe DAS GRUNDEIGENTUM 2002, sowie dieselben in Handbuch des Nachbarrechts Brandenburg, Schriftenreihe DAS GRUNDEIGENTUM 2003
Die Verwaltungsrechtsprechung unterscheidet zwischen Wohnungsprostitution und Bordellen bzw. bordellartigen Betrieben. Für die Wohnungsprostitution ist typisch, daß sexuelle Dienste in der eigenen Wohnung angeboten werden. Bordelle bzw. bordellartige Betriebe sind dagegen typischerweise wie ein Gewerbebetrieb in entsprechend hergerichteten Räumen, mit entsprechender Organisation und mit mehreren Prostituierten organisiert. Diese wohnen dort entweder nicht selbst oder ihre Unterkünfte treten gegenüber der Ausrichtung als Gewerbebetrieb in den Hintergrund. Als bordellartige Betriebe werden von der Rechtsprechung solche Unternehmen bezeichnet, in denen neben den sexuellen Dienstleistungen weitere Einrichtungen wie Bars, Schwimmbäder, Saunen etc. zur Verfügung stehen.
Prostitution in Wohn-/Mischgebieten
Wohnungsprostitution ist nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung teilgewerbliche Nutzung einer Wohnung. Nach einhelliger Rechtsprechung ist die Wohnprostitution in Wohngebieten (reinen und allgemeinen Wohngebieten nach § 3 und 4 BauNVO) bauplanungsrechtlich unzulässig. Das Bundesverwaltungsgericht 3) führt dazu aus, daß in einer Wohnumgebung schon generell die Gefahr einer erheblichen Belästigung der Nachbarschaft bestehe. In dem betreffenden Fall war zusätzlich konkret festgestellt worden, daß durch den Betrieb Konflikte zu den benachbarten Wohnungsnutzern ausgelöst wurden, indem "Mieter durch Freier gefährdet, belästigt oder in der Ruhe gestört worden sind".
Es ist konsequent, wenn die Rechtsprechung in Mischgebieten, die sowohl dem Wohnen als auch der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben dienen (§ 6 BauNVO), die Wohnungsprostitution nicht generell für unzulässig hält 4). Jedoch ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob diese an sich generell zulässige teilgewerbliche Betätigung deswegen gegen das sog. Gebot der Rücksichtnahme verstößt, weil von ihr "Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind" (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Dies wurde z.B. vom VG Sigmaringen 5) mit folgender Begründung bejaht: Andere Mieterinnen hätten sehr häufig an Freiern vorbeigehen müssen, um in Obergeschoßwohnungen zu gelangen. Sie seien auch von Freiern angesprochen, Minderjährige mit leichtbekleideten Damen konfrontiert worden. Derartige massive Belästigungen und Störungen müßten selbst in einem Mischgebiet als für die Nachbarn unzumutbar angesehen werden.
Aus der Unzulässigkeit der Wohnungsprostitution in Wohngebieten und ihrer nur bedingten Zulässigkeit in Mischgebieten folgt ohne weiteres, daß Bordelle und bordellartige Betriebe sowohl in Wohn- als auch in Mischgebieten als störende Gewerbebetriebe bauplanungsrechtlich unzulässig sind 6). Anders ist die bauplanungsrechtliche Lage jedoch in Gewerbegebieten (§ 8 BauNVO) und Kerngebieten (§ 7 BauNVO).
Bordelle und bordellartige Betriebe in Gewerbegebieten
Gewerbegebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben; zulässig sind insbesondere Gewerbebetriebe aller Art (§ 8 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BauNVO). Vergnügungsstätten können dagegen nur ausnahmsweise zugelassen werden (§ 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO). Die Rechtsprechung sieht in Übereinstimmung mit der überwiegenden Kommentarliteratur derartige Einrichtungen nicht als Vergnügungsstätten, sondern als sonstige Gewerbebetriebe ("Gewerbebetriebe sui generis") an 7).
Bordelle und bordellartige Betriebe sind im Gewerbegebiet generell zulässige, nicht erheblich belästigende Gewerbebetriebe 8), denn die Frage der erheblichen Belästigung bezieht sich hier nicht auf benachbartes Wohnen 9), sondern vor allem auf den Grad der Immissionsbelastung der Umwelt.
Aber auch im Gewerbegebiet kann sich im Einzelfall die Frage stellen, ob ein Bordell oder bordellartiger Betrieb das bereits oben erwähnte Gebot der Rücksichtnahme (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO) verletzt. Dies hat das Verwaltungsgericht München 10) für einen geplanten Bordellbetrieb in Form eines sog. Laufhauses bejaht, einem Bordell, bei dem sich die Kunden durch die Gänge und Treppen des Hauses bewegen, während die Prostituierten in bzw. vor ihren Zimmern bei offener Tür auf Kunden warten: Die Summierung der üblichen negativen Auswirkungen Lärm des Zu- und Abgangverkehrs, milieubedingte Unruhe, mögliches anstößiges Verhalten von Besuchern des Betriebes sowie eine mögliche, dem Ansehen anderer Unternehmen in dem Gebiet abträgliche Wirkung widerspreche der Eigenart des betreffenden Gewerbegebiets. Insbesondere sei die Zulassung eines für Münchener Verhältnisse wohl einzigartigen Schwerpunkts der Prostitution für die ansässigen Gewerbebetriebe abträglich, denn sie müßten um ihren Ruf fürchten, wenn sie unter der Anschrift eines stadtbekannten Rotlicht-Bereichs firmierten. Auch der Gesichtspunkt der Verhinderung der Verdrängung anderer gewerblicher Nutzungen könne eine Rolle spielen, wenn schon zahlreiche Bordellbetriebe vorhanden sind. Eine Massierung von Prostitution innerhalb eines kleinen Raumes werfe auch Sicherheitsfragen aufgrund der "milieubedingten" Unruhe auf, die bei der Ansiedlung von Bordellen der besonderen Gewichtung bedürfen.
Kerngebiete
Innerstädtische Zentren, die bauplanungsrechtlich als Kerngebiete ausgewiesen sind, "dienen vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur" (§ 7 Abs. 1 BauNVO); zulässig sind u. a. sonstige nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO). Mit der Zulässigkeit von Bordellbetrieben und bordellartigen Betrieben in Kerngebieten hat sich die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung soweit ersichtlich bisher nicht befaßt. Das mag daran liegen, daß dort wegen der gehobenen Kundschaft und der höheren Mietpreise in den Zentren gewöhnlich nur solche Etablissements bestehen, die nach außen nicht besonders in Erscheinung treten, also nicht das sonst übliche Schmuddelimage haben.
Jedoch gegenüber solchen Betrieben, die erheblich nach außen mit ihren Merkmalen in Erscheinung treten, gilt auch im Kerngebiet das bereits mehrfach erwähnte Gebot der Rücksichtnahme (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Sein Inhalt ist nach der genannten Zweckbestimmung der Kerngebiete zu bestimmen. Es könnte z. B. je nach den Umständen des Einzelfalls die Gefahr bestehen, daß ein nach außen wirkender Bordellbetrieb oder die Häufung solcher Betriebe das betreffende Gebiet zum "Umkippen" in Richtung auf ein Rotlichtmilieu bringt, so daß sich dort ansässige Handelsbetriebe oder zentrale Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur nicht mehr halten können bzw. sich dort nicht mehr ansiedeln. Es kann daher angenommen werden, daß die Verwaltungsrechtsprechung solche Bordellbetriebe auch im Kerngebiet als unzulässig ansieht.
Unbeplanter Innenbereich
Im unbeplanten Innenbereich sind solche baulichen Nutzungen zulässig, die sich in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen (§ 34 Abs. 1 BauGB). Die Zulässigkeit von Wohnungsprostitution sowie Bordellen und bordellartigen Betrieben richtet sich dementsprechend danach, ob die nähere Umgebung mehr durch Wohnnutzungen oder mehr gewerblich geprägt ist. Für eine Wohnumgebung hat bereits das Bundesverwaltungsgericht in der oben genannten Entscheidung jegliche Wohnungsprostitution für unzulässig erklärt. Dies gilt erst recht für Bordelle und bordellartige Betriebe. Bei gemischter oder rein gewerblicher Umgebung wird unter Berücksichtigung der von den Verwaltungsgerichten angelegten Maßstäbe dafür, wann Erscheinungsformen der Prostitution hinzunehmen sind und wann nicht, zu entscheiden sein.
Planungsrechtliche Möglichkeiten
Will man zukünftig zum Schutz der vorhandenen Bebauung und baulichen Nutzung in der Umgebung in Bereichen, die durch Bebauungsplan als Gewerbe- oder Kerngebiet ausgewiesen sind, Bordelle bzw. bordellartige Betriebe von vornherein verhindern, so bietet das Bauplanungsrecht die Möglichkeit der Aufstellung eines Änderungsbebauungsplans mit dem Ziel der Festsetzung des Ausschlusses dieser speziellen gewerblichen Nutzung nach § 1 Abs. 5 BauNVO. Ein entsprechender Aufstellungsbeschluß des Bezirks in Verbindung mit dem Erlaß einer Veränderungssperre kann entsprechenden Bau- und Nutzungsabsichten sogleich baurechtlich entgegengehalten werden. Entsprechendes gilt für den unbeplanten Innenbereich, wenn erstmalig die Aufstellung eines Bebauungsplans mit entsprechender Zielsetzung beschlossen wird.
Rechtsschutz
Gegen die Wohnungsprostitution in Wohngebieten und je nach den Umständen des Einzelfalls auch in Mischgebieten kann die Bauaufsichtsbehörde aufgrund ihrer bauordnungs-rechtlichen Eingriffbefugnis nach pflichtgemäßem Ermessen einschreiten 11). Bleibt sie untätig oder lehnt sie den Erlaß einer Nutzungsuntersagungsverfügung ab, so können Nachbareigentümer hiergegen beim Verwaltungsgericht Untätigkeitsklage bzw. nach erfolglosem Widerspruch gegen die Ablehnung des Einschreitens Verpflichtungsklage erheben, denn die dargestellten bauplanungsrechtlichen Vorschriften der Baunutzungsverordnung sind nachbarschützend.
Die Einrichtung von Bordellen und bordellähnlichen Betrieben bedarf der Baugenehmigung. Gegen die Erteilung einer solchen Baugenehmigung können benachbarte Grundstückseigentümer nach erfolglosem Widerspruch die verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage mit der Begründung erheben, daß der betreffende Betrieb nach Maßgabe der obigen Darlegungen gegen die Vorschriften der Baunutzungsverordnung, insbesondere das Gebot der Rücksichtnahme, verstößt.
Werden solche Betriebe ohne Baugenehmigung errichtet oder betrieben, so gilt dasselbe wie bei der Wohnungsprostitution: Wird behördlicherseits nicht eingeschritten, gibt es die Untätigkeitsklage bzw. die Verpflichtungsklage auf Einschreiten der Behörde.
Für die Prostitution im unbeplanten Innenbereich, die sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, gelten die vorstehenden Aussagen entsprechend.
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* Anwaltskanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll
1) Das Gesetz zur Reglung der Rechtsverhältnis der Prostituierten (Prostitutionsgesetz ProstG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3983) hat mit den hier behandelten Fragen direkt nichts zu tun, denn es regelt nur zivilrechtliche Ansprüche der Prostituierten für ihre sexuellen Handlungen und Straftatbestände. Wohl aber widerspiegelt es die geänderte gesellschaftliche Haltung gegenüber der Prostitution, so daß auch im Bauplanungsrecht Entscheidungen über die Unzulässigkeit entsprechender Grundstücksnutzungen nicht wie früher mit moralischer Verwerflichkeit der Prostitution begründet werden können.
2) Die nachfolgenden Ausführungen gelten auch für diejenigen Baugebiete im ehemaligen West-Berlin, in denen noch die übergeleiteten Festsetzungen des Baunutzungsplans von 1958/60 in Verbindung mit der Bauordnung von 1958 wirksam sind, weil diese im wesentlichen den Festsetzungen nach der BauNVO entsprechen; vgl. dazu v. Feldmann/Knuth, Berliner Planungsrecht, Grundeigentum-Verlag, 3. Auflage 1998, Rdnr. 72 ff.
3) Beschluß vom 29. Oktober 1987 - 4 B 8.97 = BRS 59 Nr. 62
4) VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 9. August 1996 - 8 S 1987/86 = BRS 58 Nr. 71
5) Urteil vom 8. Juni 2005 - 9 K 302/04 - (veröffentlicht nur bei juris)
6) OVG Berlin, Beschluß vom 9. April 2003 - 2 S 5.03 = GE 2003, 961; OVG Hamburg, Beschluß vom 10. Juni 2005 = BRS 69 Nr. 187; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluß vom 15. Januar 2004 - 8 B 11983/03 = BRS 67 Nr. 72; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Oktober 1990 - 5 S 3103/89 = BRS 52 Nr. 55.
7) vgl. BVerwG aaO; Fickert-Fieseler, Komm. zur BauNVO, 10. Aufl., Rdnr. 5.3 ff. zu § 8.
8) Dasselbe gilt für Industriegebiete (§ 9 BauNVO), vgl. VG Freiburg, Urteil vom 24. Oktober 2000 - 4 K 1178/99 = BRS 63 Nr. 81
9) Wohnungen sind im Gewerbegebiet generell unzulässig; nur ausnahmsweise können Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter zugelassen werden (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO).
10) Urteil vom 25. April 2005 - M8K - (veröffentlicht nur in juris)
11) vgl. zum öffentlich-rechtlichen Nachbarschutz v. Feldmann/Groth in Handbuch des Nachbarrechts Berlin, Schriftenreihe DAS GRUNDEIGENTUM 2002, sowie dieselben in Handbuch des Nachbarrechts Brandenburg, Schriftenreihe DAS GRUNDEIGENTUM 2003
Autor: RA Dr. Peter von Feldmann*