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Streit um Steuerprüfungen eskaliert
Thilo Sarazin: Vom Knechter zum Geknechteten
26.10.2007 (GE 20/2007, Seite 1336) Wer austeilt, muß auch einstecken können, weiß der Volksmund. Manche unserer Volksvertreter wissen das nicht. Nachschulungsbedarf haben insbesondere die Abgeordneten Ralf Hillenberg (SPD), Rainer-Michael Lehmann (FDP) und der frühere Abgeordnete Ulrich Brinsa (CDU).
Das Triumvirat war nicht unserer Empfehlung (siehe GE 2007 [17] 1337) gefolgt, zum Zwecke der Wahrheitsfindung in der sog. "Mobbing-Affäre" ihr Steuergeheimnis aufheben zu lassen. Das tat dann der zuständige Finanzsenator Thilo Sarrazin, der zu einer der schärfsten Waffen griff, die es im deutschen Recht gibt, die aber kaum einer kennt: der Abgabenordnung. Mit diesem Gesetz haben sich die Finanzbeamten Befugnisse verschafft, von denen man im Zivilrecht nur träumen kann. Und mit ihr kann man auch das Steuergeheimnis aufheben dann zum Beispiel, wenn nur dadurch in der Öffentlichkeit erhobene unwahre Behauptungen, die das Vertrauen in die Verwaltung erschüttern könnten, richtiggestellt werden können. Sarrazin machte von dieser Bestimmung (§ 30 AO) Gebrauch und veröffentlichte Anfang Oktober mit Billigung des Bundesfinanzministeriums die steuerlichen Hintergründe der "Sonderprüfungen", denen sich die drei Abgeordneten angeblich als Folge ihrer aufklärerischen Bemühungen um vorgebliches "Mobbing" in der Finanzverwaltung ausgesetzt sahen. Um es vorweg zu sagen: Nichts, aber auch gar nichts deutet nach dieser Veröffentlichung darauf hin, daß an den von den drei Parlamentariern erhobenen Vorwürfen in bezug auf die angeblichen Sonderprüfungen je etwas dran war. Alles deutet darauf hin, daß Sarrazin einschränkungslos recht hatte, als er die Vorwürfe als "absurd" und "vollständig haltlos" bezeichnete. Jetzt, nachdem die Vorgänge offen zutage liegen, räumen wenigstens Ralf Hillenberg und Rainer-Michael Lehmann ein, daß Sarrazins Darstellung "in der Sache richtig" sei. Zu dieser Erkenntnis hätten sie früher kommen können, schließlich kannten sie ja ihre eigenen Steuerangelegenheiten und die Auslöser für die Prüfungen durch die Finanzämter alle diese Vorgänge lagen zeitlich weit vor den emsigen Versuchen der drei um vorgebliche oder tatsächliche Mobbing-Fälle in der Verwaltung. Daß die teilweise Veröffentlichung von Besteuerungstatbeständen den Abgeordneten jetzt peinlich ist, kann jeder nachvollziehen, der Sarrazins siebenseitige Erklärung liest. Da erfährt man dann beispielsweise, daß die von dem früheren Abgeordneten Ulrich Brinsa (CDU) geltend gemachten Betriebsausgaben zu großen Teilen aus Fahrtkosten im In- und Ausland bestanden, ohne daß der Steuerpflichtige Brinsa trotz mehrfacher Anforderungen durch das Finanzamt sich bemüßigt fühlte, Belege vorzulegen. Das Finanzamt führte deshalb eine bereits im April 2003 abgeschlossene Nachschau durch. Jetzt klagt Brinsa vor dem Finanzgericht und versucht offenbar, mittels seiner politischen Verbindungen seine privaten Steuerprobleme zu lösen: 2006 bat der den ehemaligen OFD-Präsidenten Peter Skrodzki um Vermittlung eines Gesprächs mit dem zuständigen Finanzamt, nahm den von dort angebotenen Termin jedoch nicht wahr, sondern antichambrierte eine Etage höher beim Berliner Finanzstaatssekretär Klaus Teichert, der ihm riet, das Verfahren vor dem FG abzuwarten. Man stelle sich das vor: Da behelligt ein Steuerpflichtiger wegen einer Auseinandersetzung um fehlende Belege einen leibhaftigen Staatssekretär. Was für ein Verständnis von Rechtsstaatlichkeit steckt hinter einem solchen Vorgehen? Ralf Hillenbergs angebliche "Sonder-" und "Tiefenprüfungen" entpuppten sich u. a. in Wahrheit als Teil einer bundesweit von den Finanzbehörden durchgeführten Aktion zur Aufspürung und Enttarnung von Briefkasten- und Scheinfirmen in der Baubranche Hillenbergs Firma war nur eine von 774 Firmen allein in Berlin, die entsprechende Fragebögen erhalten hatte. Und die vom Finanzamt in Hillenbergs Firma vorgenommene normale Betriebsprüfung war bereits Mitte 2001 in die Wege geleitet worden Jahre, bevor der Abgeordnete Hillenberg das Thema Mobbing entdeckt hatte. Und schließlich der Abgeordnete Lehmann: Der hatte schlicht Steuerrückstände und durchlief das übliche Verfahren, dem sich alle Steuerpflichtigen auch Abgeordnete stellen müssen und das ist bei den Finanzämtern längst automatisiert und wird von Computern erledigt. Und von denen ist bisher nicht bekannt, daß sie von parlamentarischen Aktivitäten einzelner Steuerpflichtiger beeinflußt werden könnten abgesehen davon stammten die Rückstände auch aus Vorzeiten. Und daß in solchen Fällen irgendwann der Punkt kommt, wo auch bei einem steuerpflichtigen Abgeordneten das Bankkonto gepfändet wird, entspricht der Rechtslage die Abgabenordnung macht's möglich. Obwohl das Triumvirat das alles wußte, hat es auch nach entschiedener Dementierung durch den Finanzsenator alles getan, um sich in der Öffentlichkeit als Verfolgte darzustellen solchen Parlamentariern hätte die Mißbilligung ausgesprochen werden müssen. Statt dessen nahm die Opposition mit diesem Antrag erfolglos den Finanzsenator ins Visier. Überhaupt die Opposition. Was soll man denn von einem Mann wie dem FDP-Fraktionsvorsitzenden Martin Lindner halten, der für Sarrazins Vorgehen Formulierungen wählte wie "ein staatsstreichartiger Angriff auf das gesamte Parlament in der Manier weißrussischer oder nordkoreanischer Potentaten"? Ja, tickt der noch richtig? Und Friedbert Pflüger war kaum besser: "Anschlag auf die Freiheit des Parlaments", tönte der CDU-Vormann und stellte damit die jetzt offenkundigen Tatsachen komplett auf den Kopf. Solch politischer Schaum vor dem Mund verbietet sich für alle, die ernsthaft dem Wohl des Volkes dienen wollen. Erklärbar ist er schon: Die Opposition in Berlin hat es aufgegeben, den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit politisch zu stellen. Er ist der Reichweite der gegnerischen Musketen längst entrückt und hat es sogar geschafft, mit seiner kürzlich vorgelegten und in vielen Bereichen anrührenden und sogar authentischen Lebensbeichte die Distanz zu seinen politischen Widersachern noch zu vergrößern fast uneinholbar. Da schlägt man halt die Säcke, um den Esel zu treffen. Und dafür muß Thilo Sarrazin jetzt herhalten, und angeblich hat die CDU auch gegen das zweite Aushängeschild der Koalition, Innensenator Erhart Körting, noch was auf Flasche gezogen. Wenn man schon nicht Wowereit zu Fall bringen kann, muß man den Versuch machen, seine Stützen zu stürzen mit Mißbilligungsanträgen und gegebenenfalls Strafanzeigen sozusagen der Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln in Zeiten, in denen es uns bildlich gesprochen so gut geht, daß auch mal ganze Eselsherden aufs Eis gehen.
Autor: Dieter Blümmel