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Haus & Grund gewinnt nach 7 Jahren: BSR werden "gläsern"
Anspruch auf Einsicht in die Kalkulationsunterlagen
26.10.2007 (GE 20/2007, Seite 1340) Haus & Grund Berlin hat vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ein rund sieben Jahre dauerndes Verfahren gegen das Land Berlin um Akteneinsicht in die Tarifgenehmigungsunterlagen der Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) gewonnen. Revision wurde nicht zugelassen. Die Kosten des Verfahrens müssen das Land Berlin und die BSR je zur Hälfte tragen. Im Verlaufe des Prozeßverfahrens war Haus & Grund Berlin aber bereits Teileinsicht gewährt worden, die dazu führte, daß die Stadtreinigungsbetriebe ihren Kunden bereits rund 250 Millionen Euro zurückzahlen mußten – teils direkt, teils durch Verrechnung mit den laufenden Tarifentgelten. Damit hat ein spektakuläres Verfahren sein vorläufiges Ende gefunden. Die Entscheidungsbegründung liegt noch nicht vor. Ob das Land Berlin gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde einlegt, ist offen.
Haus & Grund Berlin hatte sich im Jahre 2000 auf das Berliner Informationsfreiheitsgesetz berufen, das jedermann ein umfassendes Informations- und Akteneinsichtsrecht in die bei öffentlichen Stellen geführten Akten gibt, und von der zuständigen Senatsverwaltung für Wirtschaft Einsicht in die Akten zur Genehmigung der Tarife der Berliner Stadtreinigungsbetriebe für die Abfallentsorgung und Straßenreinigung für die Kalkulationsperioden 1999/2000 sowie 2001/2002 einschließlich der entsprechenden Kalkulationsunterlagen verlangt. Das war zunächst verweigert worden. Im Widerspruchsverfahren erhielt Haus & Grund Teileinsicht, allerdings waren viele Seiten und Teile von Seiten geschwärzt mit der Begründung, die geschwärzten Teile enthielten Geschäftsgeheimnisse der BSR, und Anspruch auf Einsicht in Geschäftsgeheimnisse gewährt das Informationsfreiheitsgesetz nicht.
Das von Haus & Grund Berlin angestrengte Verfahren verstärkte auf Senatsseite offenbar den Wunsch nach zusätzlicher Sicherheit: Die zuständige Senatsverwaltung ließ die BSR-Kalkulation noch einmal nachprüfen. Diese Nachkalkulation förderte zutage, daß die BSR für die Tarifperiode 1999/2000 und – dafür wissentlich – 2001/2002 Teile der Straßenreinigungskosten zum Nachteil der Kunden doppelt angesetzt hatte. Einschließlich Zinsen zahlte das Unternehmen 60 Millionen Euro zurück; der Strafprozeß gegen das zuständige Vorstandsmitglied läuft noch.
Im Zuge der über das Widerspruchsverfahren gewährten Teileinsicht ermittelte Haus & Grund Berlin, daß das Unternehmen viel zu hohe Beträge für die Deponienachsorge zurückgestellt hatte, die es von den Kunden über Entgelte eingenommen hatte; Haus & Grund schätzte das Volumen auf rund 250 Millionen Euro und verlangte in der Folge von den BSR wie der Politik, den Kunden auch diesen Betrag wieder zurückzuerstatten. Die BSR ließen daraufhin die Deponierückstellungen noch einmal gutachterlich überprüfen. Ergebnis: Die Rückstellungen waren nach Ansicht der BSR um rund 190 Millionen Euro zu hoch. Es wurde Einvernehmen mit den Verbänden erzielt, diese Summe kalkulationsmindernd über fünf Jahre verteilt zurückzuzahlen (demnächst werden, da diese Minderung bald aufgebraucht ist, die Tarife etwas stärker steigen).
Seinen Anspruch auf einschränkungslose Einsicht in die Tarifkalkulation verfolgte Haus & Grund Berlin vor dem Berliner Verwaltungsgericht weiter. Das Verfahren zog sich in die Länge – der Terminsstand vor dem VG ist hoch, die Zuständigkeit von Kammern für das Verfahren wechselte, das VG wollte zwischenzeitlich das Verfahren als In-Camera-Verfahren führen – das ist möglich, wenn nur durch Geheimhaltung existenzielle Belange des Bundes oder der Länder auf dem Spiel stehen. Dieser Wendung schob das OVG Berlin einen Riegel vor und verwies die Sache zur endgültigen Entscheidung an das VG Berlin, das die Klage von Haus & Grund im April 2006 abwies (vgl. GE 2006, 751, 785) – eine skandalöse Entscheidung unter dem Vorsitz der Präsidentin des Berliner Verwaltungsgerichts: Der zuständige Senatsbeamte hatte in der mündlichen Verhandlung erklärt, er habe acht Tage zuvor die Akten an die BSR zurückgegeben. Und wo keine Akten mehr seien, könnte auch keine Einsicht mehr gewährt werden. Das VG machte dieses böse Hase-und-Igel-Spiel mit und wies die Klage ab - und nicht nur Haus & Grund fragte sich, ob das nun das Verwaltungsgericht oder das Gericht der Verwaltung war, das da entschieden hatte. Das OVG ließ jedenfalls jetzt in der Berufungsverhandlung deutlich erkennen, was es von dieser speziellen Art Berliner Aktenführung hält.
Am 2. Oktober stand die Berufung vor dem OVG Berlin-Brandenburg an. Den Vorsitz des zuständigen 12. Senats führte der Präsident des OVG, Kipp, höchstselbst. Mit Einverständnis aller Beteiligten wurde in einem Termin nicht nur die Berufung von Haus & Grund verhandelt, sondern auch zwei Verfahren nach dem Informationsfreiheitsgesetz, die der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) parallel ab 2004 gegen das Land Berlin und gegen die Berliner Wasserbetriebe (BWB) auf Akteneinsicht in die Tarifkalkulationen der BWB geführt hatte (Verfahren OVG 12 B 9.07, OVG 12 B 11.07 und OVG 12 B 12.07).
Nach vielstündiger Verhandlung kam dann am späten Nachmittag der Richterspruch: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg verpflichtete das Land Berlin als Genehmigungsbehörde, dem Dachverband der privaten Eigentümer Einsicht in die Akten der zuständigen Senatsverwaltung zur Genehmigung der Straßenreinigungs- und Müllabfuhrtarife einschließlich der Kalkulationsunterlage zu gewähren.
Dem BBU wurde nämliches Recht in bezug auf die Berliner Wasserbetriebe gewährt. In beiden Fällen beschränkt sich dieses Recht – mehr war von Haus & Grund auch nicht verlangt worden – auf jene Unterlagen, die das Berliner Monopolgeschäft (Straßenreinigung, Müllabfuhr, Wasser, Abwasser) betreffen.
Dieter Blümmel, der Verbandssprecher von Haus & Grund Berlin, zeigte sich sehr zufrieden: "Wieder einmal hat sich der Satz bewahrheitet, daß es noch Richter in Berlin gibt. Die Pflicht zur gläsernen Buchführung wird uns künftig helfen, die Entgelte der BSR und der Wasserbetriebe zum Nutzen aller Berliner genauer zu kontrollieren. Das zeigen bereits die bisherigen Ergebnisse des Verfahrens, worunter ich nicht nur die finanzielle Seite verstehe. In den letzten Jahren ist, was auch mit den handelnden Personen zu tun hat, die Bereitschaft beider Unternehmen – BSR wie BWB – deutlich gewachsen, uns in ihre Bücher sehen zu lassen und mit der Geheimniskrämerei Schluß zu machen. Die OVG-Entscheidungen stärken nicht nur die Berliner Verbraucher, sondern auch jene Verantwortlichen in den beiden Unternehmen, die für mehr Offenheit ihren Kunden gegenüber eintreten."
Die OVG-Entscheidungen geben übrigens jedermann das Recht, Einsicht zu nehmen, nicht etwa nur den Verbänden. Allerdings braucht man erheblichen Sachverstand, sich durch die Unterlagen zu arbeiten. Es wird deshalb wohl auch in Zukunft in erster Linie Aufgabe der wohnungswirtschaftlichen Verbände bleiben, ggf. mit fachkundiger Hilfe Einsicht zu nehmen und ggf. entsprechende Fragen zu formulieren.
Zwei Mitgliedsunternehmen des BBU führen übrigens Zivilrechtsstreite gegen die Berliner Wasserbetriebe, weil die Unternehmen die Billigkeit der Berliner Wasser- und Abwasserpreise bezweifeln. Sie führen dabei ein Gutachten des auf diesem Felde außerordentlich renommierten Frankfurter Volkswirtschaftlers Prof. Erik Gawel ins Felde. Gawel war bereits in dem von Haus & Grund Berlin ab 1996 geführten Musterprozeß gegen die Berliner Wasserbetriebe vom Kammergericht als Sachverständiger in diesem Verfahren bestellt worden und hatte zur Überzeugung des Kammergerichts nachgewiesen, daß die Tarifkalkulation der BWB in den 90er Jahren zu um mehr als 18 % überhöhten Preisen geführt hatte. Die BWB hatten in dem erst 2003 beendeten Prozeß ihre Forderungen in dieser Höhe (ca. 18 %) im Wege eines Vergleichs zurückgenommen. Alle, die damals mit auf den Zug von Haus & Grund gesprungen waren, erhielten entsprechende Beträge zurück – ein Berliner Großunternehmen rund 1 Million Euro. Weil bei Prozeßende Ansprüche aus den 90er Jahren verjährt waren, sofern sie nicht durch Klageerhebung unterbrochen wurden, durften die BWB (so ihre interne Berechnung) knapp 400 Millionen Euro zu Unrecht kassierter Entgelte behalten.
Ob die jetzt von zwei Mitgliedsunternehmen des BBU geführten Verfahren Erfolg haben, muß abgewartet werden. Seit der Teilprivatisierung gibt es nämlich gesetzliche Grundlagen für die Kalkulation der Wasser- und Abwasserpreise. Bis 2000 gab es die nicht, so daß sich der Spielraum für Tarifkalkulationen an allgemeinen Maßstäben wie der Billigkeit oder dem Äquvalenz- und Kostenverursachungsprinzip zu orientieren hatte; dabei gab es mehr Spielraum für unterschiedliche (und damit auch für verbraucherfreundliche) Interpretationen. Dieser Spielraum ist seit 2000 in Berlin weitgehend entfallen. Statt dessen hat das Land durch seine Gesetzgebung dafür gesorgt, daß die Wasser- und Abwasserpreise möglichst hoch kalkuliert werden können. Das betrifft vor allem die fiktiven Bestandteile der Preise wie die Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals. Sowohl dessen Höhe als auch die Höhe des vom Senat festgelegten Zinssatzes garantieren hohe Wasser- und Abwasserpreise.
Die in diesem Zusammenhang neu auftretenden Rechtsfragen hatte Haus & Grund Berlin bereits vor ein paar Jahren durch die Rechtsprechung klären lassen wollen. Vor allem war als Argument ins Feld geführt worden, das betriebsnotwendige Vermögen der BWB sei zu 90 % aus den Entgelten früherer Jahre geschaffen worden und deshalb eigentlich Kundeneigentum. Es könne nicht angehen, daß jemand Geld zur Bank trage und die Bank dafür nicht nur keine Zinsen zahle, sondern sogar vom Kunden Zinsen dafür verlange. Das Kammergericht hat diese einfache Logik nicht verstanden und die Musterklage von Haus & Grund Berlin abgewiesen, Revision nicht zugelassen und auch die Revisionsbeschwerde verworfen.
Zu hoffen ist, daß die beiden jetzt klagenden Wohnungsunternehmen das Verfahren bis zum BGH treiben können, damit abschließend geklärt werden kann, ob die Tarife der Berliner Wasserbetriebe der Billigkeit entsprechen oder nicht.

Den Link zur dazugehörigen Pressemitteilung finden Sie unten.


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