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"Bescheidenheit ist eine Zier, nur weiter kommt man ohne ihr."
29.05.2007 (GE 10/2007, Seite 674) Ist das zu fassen? Wann immer er in den letzten Jahren auf seine unnachahmliche, trockene Art ein Tabu gebrochen in ihrer Diktion: ein Fettnäpfchen betreten hatte, sind sie über ihn hergefallen.
Und jetzt heulen sie alle unisono: Thilo, verlaß uns nicht. Die Rede ist von Dr. Thilo Sarrazin, dem Berliner Finanzsenator, dem Abwanderungsgedanken nachgesagt werden, allerdings erst für 2009, wenn ein Vorstandssitz bei der Bundesbank frei wird. Unisono reagierten alle Parteien des Berliner Abgeordnetenhauses auf die Spekulationen über Sarrazins geplanten Weggang mit: "Das kann er doch nicht machen!" (Friedbert Pflüger: "Schwerer Schlag für Klaus Wowereit", der Grüne Jochen Esser: "Lotse ginge zu früh von Bord", PDS-Carola Bluhm: "Früchte der Arbeit noch einsammeln"). Sarrazin dürfte das mit Recht ein wenig anders sehen. Den Berliner Primärhaushalt (ohne Berücksichtigung der Schuldzinsen) hat er schon ausgeglichen, möglicherweise 2008 muß das arme Land überhaupt keine neuen Schulden mehr aufnehmen, die Berliner Beteiligungsunternehmen stehen vergleicht man sie mit ihrem Zustand bei Sarrazins Amtsübernahme glänzend da, das Land liegt beim Personalabbau gut im Plan, vor allem aber hat Sarrazin das Bewußtsein der Berliner völlig verändert: Über seine Verhältnisse zu leben, gilt nicht mehr als sexy. Wenn er denn, bei etwas besseren Bezügen, die letzten Jahre seines Arbeitslebens etwas angenehmer gestalten will, so ist er der letzte, dem man das nicht gönnen darf. Sarrazin selbst antwortet auf die Spekulationen stur und stoisch, wie er ist mit immer demselben Satz: "Ich bin Finanzsenator, und ich bin es gern." Nach Richard von Weizsäcker ist er jedenfalls die beeindruckendste Gestalt in der Berliner Politik der letzten 40 Jahre.
Autor: Dieter Blümmel