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Die Hühner aus Wolkenkuckucksheim
11.05.2007 (GE 9/2007, Seite 601) Mit Stolz legte Berlins Finanzsenator Dr. Thilo Sarrazin kürzlich seinen jüngsten Bericht über die Entwicklung der Landesbeteiligungen vor. Das waren schon einige Schwalben, die Hoffnung auf den Sommer machen.

Die Hühner aus Wolkenkuckucksheim

Und, was beinahe schon an ein Wunder grenzt, alle städtischen Wohnungsbaugesellschaften gehörten diesmal zu den Schwalben und nicht zu den Pleitegeiern – sogar die Wohnungsbaugesellschaft Berlin Mitte (WBM), die in den letzten Monaten fast nur negative Schlagzeilen machte.
Viel Zeit, sich über diese Entwicklung zu freuen, blieb Berlins oberstem Kassenwart aber nicht. Das Störfeuer kam bald, und es kam von Sarrazins Kollegin, der Senatorin für Stadtentwicklung. Ingeborg Junge-Reyer paßt es offenbar nicht, daß sich auch die städtischen Wohnungsunternehmen wirtschaftlich vernünftig verhalten. Was war geschehen?
Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM), die von allen städtischen Wohnungsbaugesellschaften die schwierigste wirtschaftliche Situation zu meistern hat, wollte in knapp 160 Wohnungen des Nikolaiviertels die Miete von 4,57 Euro im Schnitt auf 5,33 Euro erhöhen. Nun ist das Nikolaiviertel zwar kein gewachsenes schönes Altbauviertel, auch wenn es so tut, sondern eine Art DDR-Disneyland. Aber beliebt ist das Viertel um Ephraimpalais und Nikolaikirche, das sich ans Rote Rathaus und die Spree schmiegt, nicht nur bei den Touristen, sondern auch bei den Einheimischen. Und die Lage ist so erstklassig, wie eine innerstädtische Berliner Lage nur sein kann. Beliebt war das Viertel deshalb bereits in der DDR. Man darf vermuten, daß man zumindest Funktionäre oder ein halber Held der Arbeit sein mußte, um dort an eine Bleibe zu kommen. Und nahe liegt deshalb auch die Vermutung, daß der Anteil der doppelt berechtigten Spitzenrentner keine vernachlässigbare Größe darstellt.
Weil aber der Berliner Mietspiegel die gewünschte Miete nicht hergab, entschloß sich die WBM, ein Sachverständigengutachten einzuholen, das auch die Besonderheiten des Nikolaiviertels berücksichtigen sollte. Der Gutachter kam, was keine Überraschung ist, auf höhere Mieten als der Mietspiegel. Gestützt auf dieses Gutachten verlangte die WBM Mieten über dem Oberwert.
Daß ein zur Wirtschaftlichkeit geradezu genötigter Geschäftsführer einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft mit wirtschaftlichem Verhalten aber in Berlin sehr schnell seinen Job verlieren kann, darf beim WBM-Geschäftsführer Lars Ernst nicht als bekannt vorausgesetzt werden. Der kommt aus der Wohnungswirtschaft von außerhalb und muß daher nicht unbedingt wissen, daß nämliches Vorgehen bei einer Mieterhöhung seinen früheren Kollegen Dr. Eckart Baum bei der städtischen HoWoGe letztlich Amt und Besoldung kosteten. Auch die HoWoGe hatte die Mieten über den Oberwert des Mietspiegels angehoben, die meisten Mieter hatten zugestimmt (!), sind sie doch häufig genug vernünftiger als ihre politischen Vertreter. Auf Druck des damaligen Stadtentwicklungssenators Peter Strieder mußte die HoWoGe die Mieterhöhungen zurücknehmen, wenig später mußte der HoWoGe-Geschäftsführer, obwohl gerade erst für fünf Jahre neu bestellt, den Hut nehmen.
Nun, Lars Ernst hat das wohl weniger zu befürchten, denn zur WBM will – wie kürzlich berichtet – im Moment ja keiner als Geschäftsführer.
Die jetzige Intervention der Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer gegen die Mieterhöhungen im Nikolaiviertel wird die Kandidatensuche nicht einfacher machen. Ingeborg Junge-Reyer möchte, daß sich die Mieterhöhungen bei städtischen Wohnungsunternehmen ausschließlich am Mietspiegel orientieren. Man fragt sich, wieso die Mieter landeseigener Wohnungen auf Kosten des Steuerzahlers besser gestellt sein sollen als andere Mieter.
In Schieflagen sind die städtischen Wohnungsgesellschaften vor allem dann gekommen, wenn sie sich der ständigen politischen Einflußnahme nicht entzogen, sondern Handspanndienste jeglicher Art geleistet haben – von der Belegung über die Grundstücksakquise bis hin zu (unsinnigen) Investitionen. Auch die Gutmenschen in der Politik müssen begreifen, daß es die Hühner, deren eine Hälfte man zum Kochen und deren andere Hälfte man zum Eierlegen haben kann, nur in Wolkenkuckucksheim gibt.
Autor: Dieter Blümmel