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Schöner Schwan oder hässliches Entlein?
11.05.2007 (GE 9/2007, Seite 608) Dr. Peter Traichel, Geschäftsführer der Berliner Baukammer, ist immer für die eine oder andere rabiate Behauptung gut. Dieser Tage trat er mit der apodiktischen Behauptung auf: "Wer nein sagt zum ICC, der sagt nein zur Baukultur."
So jedenfalls die Überschrift in einer Pressemitteilung der Baukammer vom April (allerdings nicht vom 1. April). Mit der Überschrift hat es jedoch nicht sein Bewenden. Die Pressemitteilung selbst enthält noch einige Behauptungen mehr, bei denen sich der unbefangene Betrachter die Augen reibt. Beispiel gefällig? "Es (das ICC, d. Red.) ist bis heute im Hinblick auf alle Fachrichtungen des Bauingenieurwesens ein einmaliger und herausragender Beweis der Leistungsfähigkeit der Ingenieure. In dieser Einmaligkeit ist das ICC nicht nur ein städtisches Symbol der Ingenieurkunst, es ist bekanntermaßen weltweit ein Spitzenprodukt deutscher Ingenieurkunst." Wir halten also fest, was uns bisher auch wegen der vielfältigen Macken, die den Bau zeitlebens nie zur Ruhe kommen ließen nicht bewußt war: Nach Auffassung der Berliner Baukammer ist das ICC der einzige Beweis ("einmaliger") für die Leistungsfähigkeit des deutschen Bauingenieurwesens. Da lachen ganze Hühnerställe. Alles ist, wenn man der Berliner Baukammer glauben darf, an diesem bei den Berlinern nie beliebten Klotz aus der Kategorie "Höchstleistungen": die technische Gebäudeausrüstung, die Bauphysik, die Akustik, die Bodenmechanik, der Erd- und Grundbau, die Umwelt- und Sicherheitstechnik. Ein "Unikat einer technischen Meisterleistung" (O-Ton). Man fragt sich reflexartig, wieso angesichts unseres ICCs die Kölner noch stolz auf ihren Dom sein können. Hintergrund dieses Hohelieds auf deutsche Ingenieurskunst ist, daß das ICC abgerissen werden soll. "Ein Stück Baukulturgeschichte" werde mit dem ICC geschleift, wettert die öffentlich-rechtliche Berliner Baukammer. So ist das halt mit Geschichte. Wenn alles bleibt, wie es ist, gibt es auch nichts zu erzählen. Zur Kultur der Beschleunigungsgesellschaft gehört eben auch, was die Baukammer erst noch begreifen muß, daß auch deutsche Ingenieurskunst nur für die Zeit, nicht für die Ewigkeit baut. Und noch eins: Wo nicht mehr abgerissen und neugebaut wird, da braucht man auch keine Bauingenieure, die zeigen könnten, daß sich die von der Baukammer hochgelobte deutsche Ingenieurskunst in den letzten 30 Jahren weiterentwickelt hat.
Autor: Dieter Blümmel