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Eigenverantwortung
Regine Paschkes (VRi'inLG) unjuristische Betrachtungen
30.10.2006 (GE 20/06, Seite 1241) Mieter und Vermieter aller Bundesländer, seid stark! Eigenverantwortung heißt die Parole jetzt im Mietrecht! Im Zuge stetig wachsender Arbeitslosigkeit trägt nach neuester regierungsamtlicher Sprachregelung nicht nur der vormalige Arbeitnehmer ab sofort die Eigenverantwortung für seinen Zustand ohne Arbeit, auch die Parteien anderer Vertragsverhältnisse werden gesellschaftlich und juristisch zunehmend auf sich selbst zurückgeworfen – Motto: Selber schuld ...

Eigenverantwortung

Diese Sichtweise widerspricht allerdings eklatant der im angloamerikanischen Raum vorherrschenden Rechtsansicht, wonach für jedes Übel ein (zahlender) Verantwortlicher zu finden ist. So kommt es, daß in Detroit der Umstand, daß sich eine 81jährige Kundin eines Fast-Food-Restaurants heißen Kaffee über den Körper schüttete, dazu führte, daß die Fast-Food-Kette 7,8 Millionen $ aufbringen mußte, weil die sensible Fast-Food-Liebhaberin (contradictio in adjecto?) nicht auf die Tatsache hingewiesen wurde, daß der Kaffee heiß war.
Bei uns ist das anders: Der sich in ein Restaurant begebende Gast muß sich vor Betreten desselben mutterseelenallein um den Zustand seiner (auch der dritten?) Zähne kümmern.
Wer in Deutschland Cevapcici ißt, tut das im Zweifel auf eigene Gefahr: Wenn beim Herumkauen ein Zahn abbricht, muß nämlich der Gast beweisen, daß seine Zähne nicht vorgeschädigt waren: „Das Abbrechen eines Zahns beim Verzehr eines aus verschiedenen Fleischstücken und Hackfleischröllchen bestehenden Gerichts ist nicht nach der Lebenserfahrung typischerweise auf das Vorhandensein eines in der Hackfleischmasse verborgenen festen (Fremd-)Körpers zurückzuführen. Vielmehr kommen dafür auch andere, nicht fernliegende Ursachen wie etwa eine Vorschädigung des abgebrochenen Zahns oder die versehentliche Mitaufnahme von Knochen- oder Knorpelresten, die nach dem Verzehr anderer Fleischstücke im Laufe der Mahlzeit auf dem Teller zurückgeblieben sind, in Betracht.„ (BGH vom 30.5.2006 - VIII ZR 283/05, NJW 2006, 2262). Der gewissenhafte Anwalt wird seinem Mandanten daher vor dem Restaurantbesuch zu einem ärztlichen Attest über den Status quo seiner Zähne raten, um künftige Beweisschwierigkeiten zu vermeiden.
Und im Mietrecht? Der der alters-demographischen Entwicklung Deutschlands gegensteuernde – also nicht kinderlose – Mieter trägt die Folgen seines Handelns nicht nur ökonomisch allein, sondern hat den Nachwuchs in den gemieteten vier Wänden auch ganz selbständig zu behüten. Denn der Bundesgerichtshof fördert – pädagogisch richtig – die Selbstverantwortung in allen Lebensbereichen:
Der Vermieter, der die Wohnung an Mieter mit Kleinkind vermietet, muß nicht etwa Sicherheitsglas in Zimmertüren anbringen lassen, um alterstypische kindliche Stürze zu lindern, wenn nur die baurechtlichen Vorschriften eingehalten sind: Eine Fahrlässigkeit seinerseits ist auch in nur einfachverglasten Türen nicht zu sehen, „denn der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt … ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält … Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise – hier der Wohnungsvermieter – für ausreichend halten darf, um andere Personen – hier: Mieter und deren Kinder – vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind …„ (BGH vom 16.5.2006 - VI ZR 189/05, GE 2006, 906).
Daß die Rechtsprechung nicht allein aus pädagogischer Großmut, sondern vielleicht auch aus gesundheits- und finanzpolitischer Staatsräson die Verantwortlichkeit des Mieters für die eigene Gesundheit fördert, indem sie dem ohnehin gesellschaftlich gequälten Raucher nicht nur das Grauen vor sich selbst, sondern sogar die Wurzel seines (Sucht-) Übels – die Zigarette - in der Mietwohnung beläßt, auf daß er sein Leben eigenverantwortlich verkürze, ist ja an dieser Stelle bereits besprochen worden.
„Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.„ – Molière
Autor: VRi'inLG Regine Paschke