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Ende des bezirklichen Durcheinanders der letzten Jahre?
Auf einheitliche Basis gestellt: Die Freistellung von Sozialwohnungen
11.10.2006 (GE 19/06, Seite 1188) Sozialwohnungen dürfen nur an Wohnberechtigte vermietet werden. Dieser Grundsatz ist in den vergangenen Jahren – mit Recht – vielfach durchbrochen worden. Ende 2005 unterlagen von 224.000 Berliner Sozialwohnungen nur noch 80.000 (36 %) einer Belegungsbindung (vgl. Finger GE 2006, 1128). Der Rest ist freigestellt. Zum größeren Teil durch Freistellung ganzer Gebiete, zum Teil im Wege individueller Freistellung. Aufgrund ihrer Miethöhe, aber auch anderer Faktoren finden sich immer weniger interessierte Wohnberechtigte (vgl. GE 2006, 998). Die in Berlin zuständigen Bezirksämter haben bislang eine wenig durchschaubare Freistellungspraxis entwickelt. Durch neue Ausführungsvorschriften (vgl. Wortlaut Seite 1218) drängt der Senat auf Vereinheitlichung.
Rechtsgrundlage für die Freistellung von Belegungsbindungen bei Sozialwohnungen ist § 7 Abs. 1 Wohnungsbindungsgesetz in Verbindung mit § 30 Wohnraumförderungsgesetz. Nach § 30 Abs. 1 WoFG kann die zuständige Stelle den Verfügungsberechtigten von den Bindungen freistellen, wenn und soweit
1. nach den örtlichen wohnungswirtschaftlichen Verhältnissen ein überwiegendes öffentliches Interesse an den Bindungen nicht mehr besteht oder
2. an der Freistellung ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht
oder
3. die Freistellung der Schaffung und Erhaltung sozial stabiler Bewohnerstrukturen dient oder
4. an der Freistellung ein überwiegendes berechtigtes Interesse des Verfügungsberechtigten oder eines Dritten besteht
und für die Freistellung ein Ausgleich erfolgt (Belegungsrecht für Ersatzwohnungen, Geldausgleich, sonstiger Ausgleich).
Nach § 30 Abs. 2 WoFG können Freistellungen für bestimmte Wohnungen, für Wohnungen bestimmter Art oder für Wohnungen in bestimmten Gebieten erteilt werden.
Bei einer Freistellung kann nach § 30 Abs. 3 WoFG von einem Ausgleich abgesehen werden, wenn und soweit die Freistellung im überwiegenden öffentlichen Interesse erteilt wird.
Der Bezirk Neukölln hatte durch Bekanntmachung vom 19. April 2005 (ABl. Berlin S. 1671) alle bezirklichen Sozialwohnungen befristet (1. Mai 2005 bis 31. Juli 2006) freigestellt und für den Zeitraum auf Ausgleichszahlungen verzichtet. Erhebungen über die örtlichen wohnungswirtschaftlichen Verhältnisse und/oder die Bewohnerstrukturen waren nicht erfolgt.
Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg hat-te am 9. August 2005 eine gleicharti-ge Entscheidung getroffen (ABl. Berlin S. 3533, Freistellung vom 1. August 2005 bis 31. Juli 2006) und von einer Da-tenerhebung ebenfalls abgesehen.
Nach Ansicht des Berliner Senats haben sol-che Entscheidungen Auswirkungen auf die Wohnungspolitik der ganzen Stadt und könnten sich nicht nur auf die so-zialen Strukturen der angrenzenden Bezirke negativ auswirken, sondern auch die Handlungsfähigkeit des Senats bei gesamtstädtischen wohnungswirtschaftlichen Entscheidungen stören.
So würden über Kooperationsverträge vertraglich Freistellungen von den Belegungsbindungen bei Neuvermietung mit den städtischen Wohnungsunternehmen, mit Wohnungsgenossenschaften und auch mit privaten Vermietern geschlossen, die z. T. auch eine vorzeitige Rückzahlung von öffentlichen Darlehen vorsehen und dem Landeshaushalt seit 2001 Einnahmen in Höhe von 253 Mio. € beschert hätten; das Land hat weitere Erlöse bereits einkalkuliert.
Durch die neuen Ausführungsvorschriften (von denen der Bezirk Neukölln schon vor ihrer Veröffentlichung Gebrauch gemacht hat, vgl. Freistellung bestimmter sta-tistischer Gebiete Seite 1218) will der Se-nat einerseits ein nachvollziehbares Ver-fahren bei Gebietsfreistellungen durch Festlegung einheitlicher Prüfkri-te-rien vorgeben und andererseits das ob-jektive öffentliche Interesse an Gebiets-freistellungen so transparent machen, daß nach § 30 Abs. 3 WoFG ggf. auch der Verzicht auf einen Ausgleich für die erteilte Freistellung begründbar ist. Letztlich ist damit auch ein restriktives Ele-ment verbunden: Der Senat möchte nicht, daß nach den beiden Vorreitern noch weitere Bezirke ihren gesamten So-zialwohnungsbestand freistellen.
Immerhin bieten die neuen Ausführungsvorschriften genaue Parameter, die nachprüfbar sind und auch als Argument für die Freistellung größerer Gebiete herangezogen werden können.
Entscheidungen im Sinne von § 30 Abs.1 und 2 WoFG für Einzelfreistellungen, Freistellungen von Wohnungen bestimmter Art oder Freistellungen kleinerer Gebiete unterhalb statistischer Gebiete sind von den neuen Ausführungsvorschriften nicht erfaßt. Sie sollen weiter nach den bisherigen Grundsätzen durch die Bezirke erteilt werden.
Das letzte Wort können die Ausführungsvorschriften nicht sein, denn sie behindern nach wie vor die notwendige soziale Durchmischung der Bestände. Berlin sollte deshalb im Rahmen der mit der Föderalismusreform neu entstandenen Möglichkeiten die Wohnberechtigung und Belegungsbindung auf neue, praktikablere Füße stellen. Hinweise dazu werden auch die Ergebnisse einer vom Senat beauftragten und von der IBB dieser Tage durchgeführten Befragung der Vermieter von Sozialwohnungen geben.