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Lieber Jürgen Graul
06.10.2000 (GRUNDEIGENTUM 10/2000, 621) Jürgen Graul - 21 Jahre standest Du an der Spitze der Berliner Dachorganisation der Privateigentümer und der privaten Immobilienwirtschaft. Und was hast Du nicht alles bewegt in dieser Zeit.
Schnellebig ist sie geworden, unsere Zeit. Gnadenlos hektisch und oft ohne die Muße, einen klaren Gedanken zu fassen und ihn dann auch noch zu Ende zu denken.
Wenn man früher, bevor es diese Kisten gab, die nur Ja und Nein, Null und Eins, Auf und Zu denken können, einen Brief schrieb, erwartete man frühestens nach acht Tagen eine Antwort, denn die Rechnung war einfach: Zwei Tage braucht die Post hin, zwei Tage braucht die Post zurück, ein bis zwei Tage sind für die Bearbeitung nötig, und der Sonntag war heilig.
Und heute? Die sogenannten eMails brauchen nur Sekunden von einem Rechner zum anderen rund um die Welt. Und wehe, nach einer halben Stunde ist keine Antwort da. Da kann es schon passieren, daß Mister Ungeduld am anderen Ende der Leitung wieder auf den Knopf drückt: „Hat Sie meine Mail nicht erreicht?”
Die Halbwertzeiten dessen, was der Mensch sich sucht, werden immer kürzer. 350.000 Jahre kam man mit dem Faustkeil aus, 6.000 Jahre hielt das Pferdefuhrwerk. Und heute: Schon nach ein paar Jahrzehnten werden eingeführte Produkte und Firmennamen geändert - gleichgültig, ob es um Schokoriegel oder Wohnungsunternehmen geht -, weil man offenbar nur dem Neuen einen Aufmerksamkeitswert zutraut.
Und doch gibt es sie noch, die guten Dinge abseits der bunten, spektakulären Aufgeblasenheit unserer Yuppi-Welt. Und es gibt auch noch die Menschen, die Kontinuität, Verläßlichkeit, Dauerhaftigkeit verkörpern.
Einer von diesen Menschen bist Du, lieber Jürgen Graul. In diesen Tagen ist Deine letzte Amtszeit als Vorsitzender des Bundes der Berliner Haus- und Grundbesitzervereine zu Ende gegangen. Es ist nicht übertrieben, wenn ich an dieser Stelle sage: Damit ist eine Ära zu Ende gegangen.
1979 haben Dich die Delegierten der Berliner Haus- und Grundbesitzervereine zum ersten Mal zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Und seitdem haben sie Dir in dreijährigem Rhythmus immer wieder ihr Vertrauen ausgesprochen.
Berlin war am Anfang Deiner (ersten) Amtszeit der letzte Schwarze Kreis in der Bundesrepublik, der letzte Flecken, wo das private Eigentum noch durch starre Mietpreisbindung an Entfaltung und damit vernünftigen Investitionen gehindert war. Du hast die Fanfare zum Sturm auf diese Bastion geblasen, die dann in weniger als zehn Jahren fiel.
Du hast dafür gesorgt, daß die damals noch zerstrittene Landschaft der Berliner Grundbesitzer sich einigte und fast alle Grundbesitzervereine wieder zurück unter das gemeinsame Dach fanden.
Du hast dafür gesorgt, daß die Dienstleistungspalette des Verbandes breiter wurde und die politischen Möglichkeiten besser ausgeschöpft wurden.
Deine Art - geradeaus, zupackend, offen und streitbar - hat Dir sicherlich nicht nur Freunde beschert, aber damit müssen Menschen, die sich über den Durchschnitt erheben, in jeder Gesellschaft leben.
Dein Nachfolger, den die Delegierten der Haus- und Grundbesitzervereine dieser Stadt jetzt gewählt haben, stand viele Jahre als Mitstreiter an Deiner Seite. Ich bin sicher, er wäre auch Deine Wahl gewesen, wenn Deine Gesundheit es Dir gestattet hätte, mitzuwählen.
Wir haben eine Generation lang auf Dich, auf Deine überragende Sachkunde ebenso bauen dürfen wie auf deine Hilfsbereitschaft und Dein Engagement. Dafür danken Dir Berlins private Haus- und Grundeigentümer. Und sie verbinden es mit dem Wunsch, daß sie auch nach Ende Deiner Amtszeit auf Deinen Rat bauen dürfen.
Autor: Dieter Blümmel