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Heulsusen-Auftritt
Wall AG schlechter Verlierer
12.09.2006 (GE 17/06, Seite 1056) Der Hang zu Sonntagsreden ist nicht auf Politiker beschränkt. Daß auch der Berliner Unternehmer Hans Wall, der Stadtmöbel-König und Meister der Toiletten und Wartehäuschen, zur Spezies jener gehört, die öffentlich Wasser predigen und heimlich Wein trinken, bewies er kürzlich eindrucksvoll, als nach einer erbitterten Bieterschlacht um die BVG-Werbetochter VVR-Berek nicht die Firma von Wall, sondern dessen größter Konkurrent, der französische Außenwerber JC Decaux, das Rennen machte.
Die Franzosen hatten 103 Millionen Euro und damit schlicht 23 Millionen Euro mehr als Wall dafür geboten. Wall tobte: Ein Armutszeugnis für Berlin sei das, er werde den Sitz seiner Firma aus Berlin verlegen und auch seine Produktionsstätte aus Velten abziehen. Hunderte von Arbeitsplätzen werde das kosten. Man reibt sich die Augen und fragt sich, ob man träumt? Zunächst einmal wurde die VVR Berek, die einen bis 2014 geltenden Konzessionsvertrag über Werbeflächen im öffentlichen Straßenland u.a. gehören mehr als 3.000 Litfaßsäulen dazu mit dem Land Berlin ihr eigen nennt und außerdem durch langfristige Verträge über die Werbeflächen der BVG auf Bussen, U-Bahnen und Wartehallen verfügt, wie es zwingendem europäischem Recht entspricht, öffentlich ausgeschrieben. Diese Gesetze, die den Wettbewerb garantieren und auch nationalen oder gar lokalen Nepotismus verhindern sollen, gelten für alle, auch für schwäbische Mittelständler. Und das heißt eben auch: Wer über 22 % weniger bietet als sein Konkurrent, hat verloren. Und das machen ihm die Gerichte spätestens im Nachprüfungsverfahren klar. Das zum einen. Zum anderen verwischte Hans Wall mit seinem Heulsusen-Auftritt auch, wem er neben seinen zweifellos eigenen Verdiensten seinen Aufstieg aus der schwäbischen Provinz noch zu verdanken hat. Wall hatte 1976 mit 5.000 DM väterlichem Startkapital in einem Schuppen hinterm Haus begonnen, sein erster Auftrag waren 100 Wartehäuschen im beschaulichen Heidelberg. Und so beschaulich wäre es mit Wall vielleicht auch weitergegangen, hätte ihn nicht 1984 der damalige Direktor der BVG, Joachim Piefke (der mit der Fliege), aufgesucht und an der Spree ins Geschäft gebracht, weil pikantes Detail am Rande der damals schon größte Außenwerber Europas, eben JC Decaux, sich geweigert hatte, für Berlin andere Wartehäuschen oder Toiletten zu entwerfen als für Paris oder Marseille. Mit diesem Bein in Berlin begann Hans Walls eigentlicher, kometenhafter Aufstieg. Berlin wurde sein eigentlich unbezahlbares Referenzobjekt für vergleichbare Aktivitäten in aller Welt. Hat er das, an der eigenen Legende strickend, vergessen, verdrängt? Noch in diesem Jahr überreichte ihm das Land Berlin die in der neuen Bauordnung versteckte "Lex Wall", mit der hemmungslos alle baurechtlichen Hindernisse beseitigt wurden, die der Werbeflut in unserem Straßenraum bisher noch einigermaßen Halt geboten hatten. Noch 2004 hatte der Wirtschaftspolitische Club Deutschland e.V. Hans Wall den Förderpreis "Soziale Marktwirtschaft" verliehen eine Fehlentscheidung, wie sich jetzt herausstellt. Denn Wall hat weder begriffen, daß Marktwirtschaft sich in erster Linie aus Wettbewerb speist, noch hat er die soziale Komponente unserer Wirtschaftsordnung wirklich verinnerlicht, wenn er meint, aus der verständlichen Enttäuschung über eine Niederlage im Wettbewerb heraus das Recht zu haben, ein paar hundert Mitarbeiter mir nichts dir nichts entweder aus allen ihren sozialen Bezügen reißen oder gar in die Hartz-IV-Wüste schicken zu dürfen. Der Mann ist maßlos egoistisch. Man hätte ihn ziehen oder jedenfalls ohne öffentliches Händchenhalten zur besseren Einsicht kommen lassen sollen.
Autor: Dieter Blümmel